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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Zur Iesuitenfrage

die "abgeschafft" werden ohne Angabe eines andern Grundes, als daß sie sich
lästig gemacht haben. Die Ausweisung inländischer Jesuiten aber aus ihrem
dermaligen Aufenthaltsorte und ihre Jnternirung an gewissen Orten kam?
doch nur den Zweck haben, sie und ihre Glaubensgenossen zu ärgern. Oder
weiß jemand sonst noch einen möglichen Zweck anzugeben? Hat sich der
Jesuit eines Verbrechens schuldig gemacht, so internirt oder exmittirt man ihn
nicht, sondern man sperrt ihn ein; hat er aber keins begangen, so wäre es
wohl eines kleinen Tyrannen, aber nicht eines europäischen Großstaats würdig,
ihn zu ärgern, weil man sich selbst über seine Nase oder über den Schnitt
seines Rocks oder über seine Predigten ärgert. Einen Unbeliebten einsperren
zu lassen, ist ja heute so unendlich leicht bei uns. Ein Polizist braucht bloß
zu versichern, daß der Mann ein Wort gesprochen habe, von dem sich möglicher¬
weise eine Behörde oder ein angesehuer Privatmann beleidigt fühlt, und ein
paar Monate Gefängnis sind fertig. Warum also, wenn man einen Jesuiten
ärgern will, nicht lieber zu diesem gewöhnlichen ganz unauffälligen Mittel
greifen? So bliebe noch die Möglichkeit, daß sie neue Niederlassungen grün¬
deten. Nur die Möglichkeit; denn zur wirklichen Gründung gehört in jedem
einzelnen Falle die Erlaubnis der Landesregierung, die in Baiern wahrscheinlich
erteilt, in Preußen wahrscheinlich, in allen übrigen deutschen Staaten ganz
gewiß verweigert werden würde. Jedenfalls aber würden die Jesuiten, auch
ohne eigne Niederlassungen zu haben, überall im Reiche gastweise predigen,
Messe lesen und Beichte hören dürfen, was ihnen jetzt untersagt ist; denn die
Ausführungsbestimmungen erläutern die Ausschließung des Ordens aus den:
Gebiete des deutschen Reiches noch dahin, daß seineu Angehörigen die Aus¬
übung irgendwelcher Ordensthätigkeit, insbesondre in Kirche und Schule, so¬
wie die Abhaltung von Missionen nicht zu gestatten sei. Nun, die Schule
kommt uicht in Betracht; es ist gar nicht daran zu denken, daß in absehbarer
Zeit irgend eine deutsche Negierung die Errichtung eines Jesuitengymnasiums
gestatten oder Jesuiten als Katecheten in Volksschulen zulassen sollte. Auch
zur Abhaltung von sogenannten Missionen bedarf es in jedem einzelnen Falle
der obrigkeitlichen Erlaubnis, die wohl bei der heutzutage herrschenden Angst
aller Regierungen vor aufregenden Zwischenfällen nicht leicht erteilt werden
dürfte. Jesuiten, die Vorträge halten, Bücher herausgeben und in Familien
verkehren, haben wir auch heute schon im Reiche. Die Wirkung der Auf¬
hebung des Gesetzes würde sich also darauf beschränken, daß diese Jesuiten
auch predigen und Beichte hören dürften, daß sich ihnen noch ein paar Dutzend
oder vielleicht auch ein paar hundert beigesellen würden, und daß möglicher¬
weise hie und da ein Haus nebst einem Kirchlein daneben erstünde, worin
mehrere Jesuiten zusammenwohnten. Wäre das uun etwas so entsetzliches,
daß sich das deutsche Reich, um dieses entsetzliche abzuwenden, jahraus jahrein
das Geschrei von ein paar Millionen katholischer Staatsbürger gefallen lassen


Zur Iesuitenfrage

die „abgeschafft" werden ohne Angabe eines andern Grundes, als daß sie sich
lästig gemacht haben. Die Ausweisung inländischer Jesuiten aber aus ihrem
dermaligen Aufenthaltsorte und ihre Jnternirung an gewissen Orten kam?
doch nur den Zweck haben, sie und ihre Glaubensgenossen zu ärgern. Oder
weiß jemand sonst noch einen möglichen Zweck anzugeben? Hat sich der
Jesuit eines Verbrechens schuldig gemacht, so internirt oder exmittirt man ihn
nicht, sondern man sperrt ihn ein; hat er aber keins begangen, so wäre es
wohl eines kleinen Tyrannen, aber nicht eines europäischen Großstaats würdig,
ihn zu ärgern, weil man sich selbst über seine Nase oder über den Schnitt
seines Rocks oder über seine Predigten ärgert. Einen Unbeliebten einsperren
zu lassen, ist ja heute so unendlich leicht bei uns. Ein Polizist braucht bloß
zu versichern, daß der Mann ein Wort gesprochen habe, von dem sich möglicher¬
weise eine Behörde oder ein angesehuer Privatmann beleidigt fühlt, und ein
paar Monate Gefängnis sind fertig. Warum also, wenn man einen Jesuiten
ärgern will, nicht lieber zu diesem gewöhnlichen ganz unauffälligen Mittel
greifen? So bliebe noch die Möglichkeit, daß sie neue Niederlassungen grün¬
deten. Nur die Möglichkeit; denn zur wirklichen Gründung gehört in jedem
einzelnen Falle die Erlaubnis der Landesregierung, die in Baiern wahrscheinlich
erteilt, in Preußen wahrscheinlich, in allen übrigen deutschen Staaten ganz
gewiß verweigert werden würde. Jedenfalls aber würden die Jesuiten, auch
ohne eigne Niederlassungen zu haben, überall im Reiche gastweise predigen,
Messe lesen und Beichte hören dürfen, was ihnen jetzt untersagt ist; denn die
Ausführungsbestimmungen erläutern die Ausschließung des Ordens aus den:
Gebiete des deutschen Reiches noch dahin, daß seineu Angehörigen die Aus¬
übung irgendwelcher Ordensthätigkeit, insbesondre in Kirche und Schule, so¬
wie die Abhaltung von Missionen nicht zu gestatten sei. Nun, die Schule
kommt uicht in Betracht; es ist gar nicht daran zu denken, daß in absehbarer
Zeit irgend eine deutsche Negierung die Errichtung eines Jesuitengymnasiums
gestatten oder Jesuiten als Katecheten in Volksschulen zulassen sollte. Auch
zur Abhaltung von sogenannten Missionen bedarf es in jedem einzelnen Falle
der obrigkeitlichen Erlaubnis, die wohl bei der heutzutage herrschenden Angst
aller Regierungen vor aufregenden Zwischenfällen nicht leicht erteilt werden
dürfte. Jesuiten, die Vorträge halten, Bücher herausgeben und in Familien
verkehren, haben wir auch heute schon im Reiche. Die Wirkung der Auf¬
hebung des Gesetzes würde sich also darauf beschränken, daß diese Jesuiten
auch predigen und Beichte hören dürften, daß sich ihnen noch ein paar Dutzend
oder vielleicht auch ein paar hundert beigesellen würden, und daß möglicher¬
weise hie und da ein Haus nebst einem Kirchlein daneben erstünde, worin
mehrere Jesuiten zusammenwohnten. Wäre das uun etwas so entsetzliches,
daß sich das deutsche Reich, um dieses entsetzliche abzuwenden, jahraus jahrein
das Geschrei von ein paar Millionen katholischer Staatsbürger gefallen lassen


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[0203] Zur Iesuitenfrage die „abgeschafft" werden ohne Angabe eines andern Grundes, als daß sie sich lästig gemacht haben. Die Ausweisung inländischer Jesuiten aber aus ihrem dermaligen Aufenthaltsorte und ihre Jnternirung an gewissen Orten kam? doch nur den Zweck haben, sie und ihre Glaubensgenossen zu ärgern. Oder weiß jemand sonst noch einen möglichen Zweck anzugeben? Hat sich der Jesuit eines Verbrechens schuldig gemacht, so internirt oder exmittirt man ihn nicht, sondern man sperrt ihn ein; hat er aber keins begangen, so wäre es wohl eines kleinen Tyrannen, aber nicht eines europäischen Großstaats würdig, ihn zu ärgern, weil man sich selbst über seine Nase oder über den Schnitt seines Rocks oder über seine Predigten ärgert. Einen Unbeliebten einsperren zu lassen, ist ja heute so unendlich leicht bei uns. Ein Polizist braucht bloß zu versichern, daß der Mann ein Wort gesprochen habe, von dem sich möglicher¬ weise eine Behörde oder ein angesehuer Privatmann beleidigt fühlt, und ein paar Monate Gefängnis sind fertig. Warum also, wenn man einen Jesuiten ärgern will, nicht lieber zu diesem gewöhnlichen ganz unauffälligen Mittel greifen? So bliebe noch die Möglichkeit, daß sie neue Niederlassungen grün¬ deten. Nur die Möglichkeit; denn zur wirklichen Gründung gehört in jedem einzelnen Falle die Erlaubnis der Landesregierung, die in Baiern wahrscheinlich erteilt, in Preußen wahrscheinlich, in allen übrigen deutschen Staaten ganz gewiß verweigert werden würde. Jedenfalls aber würden die Jesuiten, auch ohne eigne Niederlassungen zu haben, überall im Reiche gastweise predigen, Messe lesen und Beichte hören dürfen, was ihnen jetzt untersagt ist; denn die Ausführungsbestimmungen erläutern die Ausschließung des Ordens aus den: Gebiete des deutschen Reiches noch dahin, daß seineu Angehörigen die Aus¬ übung irgendwelcher Ordensthätigkeit, insbesondre in Kirche und Schule, so¬ wie die Abhaltung von Missionen nicht zu gestatten sei. Nun, die Schule kommt uicht in Betracht; es ist gar nicht daran zu denken, daß in absehbarer Zeit irgend eine deutsche Negierung die Errichtung eines Jesuitengymnasiums gestatten oder Jesuiten als Katecheten in Volksschulen zulassen sollte. Auch zur Abhaltung von sogenannten Missionen bedarf es in jedem einzelnen Falle der obrigkeitlichen Erlaubnis, die wohl bei der heutzutage herrschenden Angst aller Regierungen vor aufregenden Zwischenfällen nicht leicht erteilt werden dürfte. Jesuiten, die Vorträge halten, Bücher herausgeben und in Familien verkehren, haben wir auch heute schon im Reiche. Die Wirkung der Auf¬ hebung des Gesetzes würde sich also darauf beschränken, daß diese Jesuiten auch predigen und Beichte hören dürften, daß sich ihnen noch ein paar Dutzend oder vielleicht auch ein paar hundert beigesellen würden, und daß möglicher¬ weise hie und da ein Haus nebst einem Kirchlein daneben erstünde, worin mehrere Jesuiten zusammenwohnten. Wäre das uun etwas so entsetzliches, daß sich das deutsche Reich, um dieses entsetzliche abzuwenden, jahraus jahrein das Geschrei von ein paar Millionen katholischer Staatsbürger gefallen lassen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/203>, abgerufen am 26.08.2024.