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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Leopold Kümmerlich

Sehr richtig! rief der Kupferschmied Schulz dazwischen, wertlos. völlig
wertlos! Aber Gehaltserhöhung wollen sie natürlich haben, wir werde" ihnen
aber was pfeifen!

Der Präsident klingelte abermals, und der Verteidiger fuhr fort: Die
Schuld, daß jetzt soviel gescheiterte Existenzen in der Welt herumlaufen, trifft
nicht diese Unglücklichen, sie trifft unsre verkehrten Einrichtungen, sie trifft den
Staat, der die alten Gelehrtenschulen zu Volksschulen für den Vürgerstand
gemacht hat und durch die Massenzüchtung eines gelehrten Proletariats An¬
sprüche und Forderungen großzieht, die er dann nicht erfüllen kann.

Sehr richtig! rief wieder der Kupferschmied Schulz, sehr richtig! Faulenzer
werden erzogen und hochnäsige Schmarotzer, die wir Männer von der schwie¬
ligen Faust dann ernähren müssen! ,

Ich bitte, den Herrn Verteidiger nicht fortwährend zu unterbrechen, sagte
der Präsident. Der .Kammergerichtsrat zog die Augenbrauen zusammen, blickte
auf den alten Kümmerlich, der ganz geknickt dasaß, und fuhr dann fort: Die
Schuld trifft ferner die thörichten ehrgeizigen Väter -- der alte Kanzlist schrie
auf, als führe ihm ein Dolch durchs Herz -- ja, die Väter, wiederholte der
Verteidiger langsam und nachdrücklich, die, obwohl sie ohne alle Mittel sind,
aus ihren unfähigen Söhnen mit aller Gewalt studirte Leute und hohe Staats¬
beamte machen möchten. Der Angeklagte, meine Herren, ist sich seiner geistigen
und wirtschaftlichen Armut wohl bewußt. Er ist ein bescheidner Mensch, er
hat sich nicht eigenmächtig in dieses für ihn ganz ungeeignete Lebensgebiet
gedrängt, er ist von andern hineingedrängt worden. Seine Studienzeit ist
eine wahre Leidenszeit gewesen, voll Entbehrungen, Mühseligkeiten und
Kränkungen, aber er hat nie unlautere Dinge im Herzen gehabt. Er ist des
Betruges und der Kuppelei angeklagt, ich halte ihn für unschuldig. Wenn
er gefehlt hat, so hat er sicher nur aus Not gefehlt. Ich bitte, den An¬
geklagten freizusprechen.

Kanzlist Kümmerlich, sagte der Kreisgerichtsdirektor, lesen Sie das Prü¬
fungsprotokoll vor!

Der Alte las leise und mit weinerlicher Stimme: Meine einzige Pas¬
sion ist mein Leopold, mein Sohn, meine einzige Passion ist mein Leopold,
mein Sohn!

Im Saale herrschte Totenstille. Alle sahen düster vor sich hin, nur der
alte Kümmerlich schluchzte und hielt sich die Hände vors Gesicht.

Dann muß er sterben! sagte der Kreisgerichtsdirektor eintönig und traurig.

Mich packte im Traum eine namenlose Wut über dieses Gerichtsverfahren.
Der Schweiß trat mir auf die Stirn; ich wollte schreien, aber die Kehle war
mir wie zugeschnürt. Da ergriff ich das vor mir stehende Tintenfaß, schmet¬
terte es auf den Tisch und rief: Das ist schreiende Ungerechtigkeit, das giebt
einen Justizmord!


Leopold Kümmerlich

Sehr richtig! rief der Kupferschmied Schulz dazwischen, wertlos. völlig
wertlos! Aber Gehaltserhöhung wollen sie natürlich haben, wir werde« ihnen
aber was pfeifen!

Der Präsident klingelte abermals, und der Verteidiger fuhr fort: Die
Schuld, daß jetzt soviel gescheiterte Existenzen in der Welt herumlaufen, trifft
nicht diese Unglücklichen, sie trifft unsre verkehrten Einrichtungen, sie trifft den
Staat, der die alten Gelehrtenschulen zu Volksschulen für den Vürgerstand
gemacht hat und durch die Massenzüchtung eines gelehrten Proletariats An¬
sprüche und Forderungen großzieht, die er dann nicht erfüllen kann.

Sehr richtig! rief wieder der Kupferschmied Schulz, sehr richtig! Faulenzer
werden erzogen und hochnäsige Schmarotzer, die wir Männer von der schwie¬
ligen Faust dann ernähren müssen! ,

Ich bitte, den Herrn Verteidiger nicht fortwährend zu unterbrechen, sagte
der Präsident. Der .Kammergerichtsrat zog die Augenbrauen zusammen, blickte
auf den alten Kümmerlich, der ganz geknickt dasaß, und fuhr dann fort: Die
Schuld trifft ferner die thörichten ehrgeizigen Väter — der alte Kanzlist schrie
auf, als führe ihm ein Dolch durchs Herz — ja, die Väter, wiederholte der
Verteidiger langsam und nachdrücklich, die, obwohl sie ohne alle Mittel sind,
aus ihren unfähigen Söhnen mit aller Gewalt studirte Leute und hohe Staats¬
beamte machen möchten. Der Angeklagte, meine Herren, ist sich seiner geistigen
und wirtschaftlichen Armut wohl bewußt. Er ist ein bescheidner Mensch, er
hat sich nicht eigenmächtig in dieses für ihn ganz ungeeignete Lebensgebiet
gedrängt, er ist von andern hineingedrängt worden. Seine Studienzeit ist
eine wahre Leidenszeit gewesen, voll Entbehrungen, Mühseligkeiten und
Kränkungen, aber er hat nie unlautere Dinge im Herzen gehabt. Er ist des
Betruges und der Kuppelei angeklagt, ich halte ihn für unschuldig. Wenn
er gefehlt hat, so hat er sicher nur aus Not gefehlt. Ich bitte, den An¬
geklagten freizusprechen.

Kanzlist Kümmerlich, sagte der Kreisgerichtsdirektor, lesen Sie das Prü¬
fungsprotokoll vor!

Der Alte las leise und mit weinerlicher Stimme: Meine einzige Pas¬
sion ist mein Leopold, mein Sohn, meine einzige Passion ist mein Leopold,
mein Sohn!

Im Saale herrschte Totenstille. Alle sahen düster vor sich hin, nur der
alte Kümmerlich schluchzte und hielt sich die Hände vors Gesicht.

Dann muß er sterben! sagte der Kreisgerichtsdirektor eintönig und traurig.

Mich packte im Traum eine namenlose Wut über dieses Gerichtsverfahren.
Der Schweiß trat mir auf die Stirn; ich wollte schreien, aber die Kehle war
mir wie zugeschnürt. Da ergriff ich das vor mir stehende Tintenfaß, schmet¬
terte es auf den Tisch und rief: Das ist schreiende Ungerechtigkeit, das giebt
einen Justizmord!


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/197>, abgerufen am 03.07.2024.