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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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lassung erst vor dreißig Jahren, und Weltstadt erst vor fünfzehn Jahren dnrch
den Anschluß an die Pncificeisenbahn, wonach sich Börse, Kabelbahn und Welt¬
fleisch marke dazu fanden.

Als ich mich einige Tage zuvor von Newyork her über den Niagara und
Chicago diesem Mittelpunkte der großen Republik des Westens mit dem stcppen-
durchrasenden Dampfroß näherte, war ich allerdings trotz der immer ärmlicher
ciusschnuendeu Bahnstationen, trotz der immer primitiveren Ansiedlungen darauf
gefaßt, endlich einmal wieder etwas imponirendes zu sehen; schon von meinem
frühern fünfjährigen Aufenthalt in Newhork her kannte ich ja nordamerikanische
Verhältnisse und die Gewalt des dortigen Fortschritts in Handel und Industrie.
Aber etwas so verblüffendes hatte ich doch nicht erwartet.

Um den berühmten Wcltfleischmarkt, besonders die Armonrschen Packhäuser
(U-nzinng-lwusos) vom hygienischen Standpunkt aus kennen zu lernen und zu¬
gleich Verwandte, die seit kurzem in Kansas wohnten, zu besuchen, hatte ich
Eude Januar 1890 in Begleitung meiner Frau die Reise unternommen, nach-
dem ich sechzehn Jahre vorher diese Lünderstrecken zum letztenmale bereist hatte.
Wer die alte Welt in Zwischenräumen von fünfzehn oder sechzehn Jahren
durchreist, findet dort wenig Veränderungen vor. Wer aber die Vereinigten
Staaten wiedersieht, nachdem er sie zehn bis fünfzehn Jahre lang nicht ge¬
sehen hat, der findet des Unerwartetem und Neuen kein Ende. Nichts inter¬
essanteres von Länderbeschreibungen könnte ich mir denken, als eine vermehrte
und verbesserte Auflage eines Reisewerkes über Amerika wie des Cronauschen,
fünfzehn Jahre nach der ersten Reise wieder herausgegeben nach einer zweiten
Reise zu denselben Punkten und Stationen.

Wie wir in dem bequemen Schlafwagen vom Osten her diese weite"
Länderstrecken durchflogen, da gewahrte ich, wo vor sechzehn Jahren nur
ein Bretterhaus mit blau und weißem Schilde ^Vsstsrn Union löloZiÄvu)
gcstcindeu hatte, ganze Städtchen mit stattlicher elektrischer Beleuchtung, mit
Omnibus und Pferdebahn, auch elektrischer Bahn; da wo Wald und Gestrüpp
gewesen war, standen jetzt wvhlumzäunte Fabrikgebäude; wo früher lange Fels¬
wände mit der meilenweit leuchtenden Inschrift: völnionioo UiUIos 8.yrux Uso-
ioral geprangt hatten, da war die Reklamenschrift von dem Felsenufer ver¬
schwunden, denn der Fels hatte den neuen Schienensträngen oder dem Stein¬
metzen weichen müssen, der Paläste daraus geschaffen hatte, und ein langer
Segeltnchzaun prangte mit Blookers Cacao, Mondamin u. s. w. in haus¬
hohen, nachts elektrisch cmgestrahlteu Lettern oft sogar mitten in schein¬
barer Präriewildnis, auf tagemarschlangen öden Heiden. Keine Heide aber
war öde genug, daß uicht die Heilsarmee wenigstens zur Reklame einige
Zelte darauf zurückgelassen oder eine Temperenzgcsellschaft ihre Traktätchen-
reklameschilder darauf angebracht hätte, sei es auch nur die Bcpinselnng eines
Steines in einem Sumpf etwa mit deu Worten: "IInz Aorai livos in Uns rook.


lassung erst vor dreißig Jahren, und Weltstadt erst vor fünfzehn Jahren dnrch
den Anschluß an die Pncificeisenbahn, wonach sich Börse, Kabelbahn und Welt¬
fleisch marke dazu fanden.

Als ich mich einige Tage zuvor von Newyork her über den Niagara und
Chicago diesem Mittelpunkte der großen Republik des Westens mit dem stcppen-
durchrasenden Dampfroß näherte, war ich allerdings trotz der immer ärmlicher
ciusschnuendeu Bahnstationen, trotz der immer primitiveren Ansiedlungen darauf
gefaßt, endlich einmal wieder etwas imponirendes zu sehen; schon von meinem
frühern fünfjährigen Aufenthalt in Newhork her kannte ich ja nordamerikanische
Verhältnisse und die Gewalt des dortigen Fortschritts in Handel und Industrie.
Aber etwas so verblüffendes hatte ich doch nicht erwartet.

Um den berühmten Wcltfleischmarkt, besonders die Armonrschen Packhäuser
(U-nzinng-lwusos) vom hygienischen Standpunkt aus kennen zu lernen und zu¬
gleich Verwandte, die seit kurzem in Kansas wohnten, zu besuchen, hatte ich
Eude Januar 1890 in Begleitung meiner Frau die Reise unternommen, nach-
dem ich sechzehn Jahre vorher diese Lünderstrecken zum letztenmale bereist hatte.
Wer die alte Welt in Zwischenräumen von fünfzehn oder sechzehn Jahren
durchreist, findet dort wenig Veränderungen vor. Wer aber die Vereinigten
Staaten wiedersieht, nachdem er sie zehn bis fünfzehn Jahre lang nicht ge¬
sehen hat, der findet des Unerwartetem und Neuen kein Ende. Nichts inter¬
essanteres von Länderbeschreibungen könnte ich mir denken, als eine vermehrte
und verbesserte Auflage eines Reisewerkes über Amerika wie des Cronauschen,
fünfzehn Jahre nach der ersten Reise wieder herausgegeben nach einer zweiten
Reise zu denselben Punkten und Stationen.

Wie wir in dem bequemen Schlafwagen vom Osten her diese weite»
Länderstrecken durchflogen, da gewahrte ich, wo vor sechzehn Jahren nur
ein Bretterhaus mit blau und weißem Schilde ^Vsstsrn Union löloZiÄvu)
gcstcindeu hatte, ganze Städtchen mit stattlicher elektrischer Beleuchtung, mit
Omnibus und Pferdebahn, auch elektrischer Bahn; da wo Wald und Gestrüpp
gewesen war, standen jetzt wvhlumzäunte Fabrikgebäude; wo früher lange Fels¬
wände mit der meilenweit leuchtenden Inschrift: völnionioo UiUIos 8.yrux Uso-
ioral geprangt hatten, da war die Reklamenschrift von dem Felsenufer ver¬
schwunden, denn der Fels hatte den neuen Schienensträngen oder dem Stein¬
metzen weichen müssen, der Paläste daraus geschaffen hatte, und ein langer
Segeltnchzaun prangte mit Blookers Cacao, Mondamin u. s. w. in haus¬
hohen, nachts elektrisch cmgestrahlteu Lettern oft sogar mitten in schein¬
barer Präriewildnis, auf tagemarschlangen öden Heiden. Keine Heide aber
war öde genug, daß uicht die Heilsarmee wenigstens zur Reklame einige
Zelte darauf zurückgelassen oder eine Temperenzgcsellschaft ihre Traktätchen-
reklameschilder darauf angebracht hätte, sei es auch nur die Bcpinselnng eines
Steines in einem Sumpf etwa mit deu Worten: "IInz Aorai livos in Uns rook.


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[0185] lassung erst vor dreißig Jahren, und Weltstadt erst vor fünfzehn Jahren dnrch den Anschluß an die Pncificeisenbahn, wonach sich Börse, Kabelbahn und Welt¬ fleisch marke dazu fanden. Als ich mich einige Tage zuvor von Newyork her über den Niagara und Chicago diesem Mittelpunkte der großen Republik des Westens mit dem stcppen- durchrasenden Dampfroß näherte, war ich allerdings trotz der immer ärmlicher ciusschnuendeu Bahnstationen, trotz der immer primitiveren Ansiedlungen darauf gefaßt, endlich einmal wieder etwas imponirendes zu sehen; schon von meinem frühern fünfjährigen Aufenthalt in Newhork her kannte ich ja nordamerikanische Verhältnisse und die Gewalt des dortigen Fortschritts in Handel und Industrie. Aber etwas so verblüffendes hatte ich doch nicht erwartet. Um den berühmten Wcltfleischmarkt, besonders die Armonrschen Packhäuser (U-nzinng-lwusos) vom hygienischen Standpunkt aus kennen zu lernen und zu¬ gleich Verwandte, die seit kurzem in Kansas wohnten, zu besuchen, hatte ich Eude Januar 1890 in Begleitung meiner Frau die Reise unternommen, nach- dem ich sechzehn Jahre vorher diese Lünderstrecken zum letztenmale bereist hatte. Wer die alte Welt in Zwischenräumen von fünfzehn oder sechzehn Jahren durchreist, findet dort wenig Veränderungen vor. Wer aber die Vereinigten Staaten wiedersieht, nachdem er sie zehn bis fünfzehn Jahre lang nicht ge¬ sehen hat, der findet des Unerwartetem und Neuen kein Ende. Nichts inter¬ essanteres von Länderbeschreibungen könnte ich mir denken, als eine vermehrte und verbesserte Auflage eines Reisewerkes über Amerika wie des Cronauschen, fünfzehn Jahre nach der ersten Reise wieder herausgegeben nach einer zweiten Reise zu denselben Punkten und Stationen. Wie wir in dem bequemen Schlafwagen vom Osten her diese weite» Länderstrecken durchflogen, da gewahrte ich, wo vor sechzehn Jahren nur ein Bretterhaus mit blau und weißem Schilde ^Vsstsrn Union löloZiÄvu) gcstcindeu hatte, ganze Städtchen mit stattlicher elektrischer Beleuchtung, mit Omnibus und Pferdebahn, auch elektrischer Bahn; da wo Wald und Gestrüpp gewesen war, standen jetzt wvhlumzäunte Fabrikgebäude; wo früher lange Fels¬ wände mit der meilenweit leuchtenden Inschrift: völnionioo UiUIos 8.yrux Uso- ioral geprangt hatten, da war die Reklamenschrift von dem Felsenufer ver¬ schwunden, denn der Fels hatte den neuen Schienensträngen oder dem Stein¬ metzen weichen müssen, der Paläste daraus geschaffen hatte, und ein langer Segeltnchzaun prangte mit Blookers Cacao, Mondamin u. s. w. in haus¬ hohen, nachts elektrisch cmgestrahlteu Lettern oft sogar mitten in schein¬ barer Präriewildnis, auf tagemarschlangen öden Heiden. Keine Heide aber war öde genug, daß uicht die Heilsarmee wenigstens zur Reklame einige Zelte darauf zurückgelassen oder eine Temperenzgcsellschaft ihre Traktätchen- reklameschilder darauf angebracht hätte, sei es auch nur die Bcpinselnng eines Steines in einem Sumpf etwa mit deu Worten: "IInz Aorai livos in Uns rook.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/185>, abgerufen am 23.07.2024.