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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Die politischen Beziehungen Chinas

angekommner fremder Gesandten, vom Kaiser in seinem Palast empfangen zu
werden, haben sie bisher noch stets wenigstens teilweise zu umgehen verstanden.
Es ist recht bedauerlich, daß die Engländer und Franzosen beim letzten Friedens¬
schlüsse in dieser für Asiaten so wichtigen Formfrage nicht viel durchgreifender
verfahren sind. Jetzt kann man, nachdem das Versäumnis einmal geschehen
ist, dem gewünschten Ziele nur Schritt sür Schritt näher kommen, weil
niemand um einer solchen Ursache willen Krieg mit China wird anfangen
wollen.

Als der vorige Kaiser, Tung-tschi, für volljährig erklärt wurde, verlangten
die in Peking anwesenden Vertreter der fremden Mächte alsbald, von ihm
empfangen zu werden. Lange sträubten sich die chinesischen Staatsmänner,
dies zum erstenmal an sie gestellte ungeheure Ansinnen zu befürworten, wenn
sich die Fremden nicht vor dem Kaiser niederwerfen wollten. Nach vier-
monatigen Verhandlungen gaben sie endlich nach; statt des Fußfalls wurde
eine neunmalige Verbeugung vereinbart. Noch viele Jahre später erzählte sich
das Volk in Peking, daß dem Doyen des diplomatischen Korps, Sir Thomas
Wade, beim Anblick des Sohnes des Himmels der kalte Angstschweiß aus
allen Poren gebrochen sei.

Der junge .Kaiser starb schon im Jahre 1875, mild wieder folgte eine
Regentschaft, sooaß die Frage weiterer Audienzen die Diplomatie erst vor zwei
Jahren abermals zu beschäftigen begann. Beim ersten Empfang hatten sich
die Fremden nicht sonderlich um den Ort, wo er stattfinden sollte, gekümmert.
Dies machten sich die schlauen Chinesen zu nutze und bestimmten für die zweite
Audienz eine Halle, in der früher oft tributpflichtige Fürsten oder deren Ab¬
gesandte empfangen worden waren. Als davon noch rechtzeitig etwas ruchbar
wurde, weigerten sich die Gesandten anfangs, in dieser Halle zu erscheinen,
gäbe" aber schließlich nach unter der Bedingung, daß das nächstemal el"
p"!heuterer Ort gewählt würde. Hätten sie sich damals klar gemacht, daß
über dieser Empfangshalle angebrachten Schriftzeichen "Halle der Er¬
niedrigung" bedeuten, so würden sie schwerlich hineingegangen sein. Alle Ge¬
sandten wurden also nun vom jetzigen Kaiser Kucmg-Hsü empfangen. Der
Doyen war diesmal der deutsche Gesandte, Herr von Brandt.

Seitdem sind'bereits mehrere Wechsel im Pekinger diplomatischen Korps
^'getreten. Aber weder mit dem neuen russischen noch mit dem neuen fran¬
zösischen Gesandten haben sich die chinesischen Staatsmänner bis jetzt über
eine Audienz einigen können. Beide verlangen vom Kaiser in seinem Palast
empfangen zu werden. Dem neuen österreichischen Gesandten für China und
^npan, Herrn von Biegeleben, wurde im vorigen Herbst eine Audienz in einem
^-eile des Palastes bewilligt, der von frühern Herrschern bewohnt worden ist.
derselbe Ort wurde kürzlich für den Empfang des neuen englischen Gesandten,
Herrn O'Conor, gebraucht, und diesem wurde die Benutzung des in diesen


Die politischen Beziehungen Chinas

angekommner fremder Gesandten, vom Kaiser in seinem Palast empfangen zu
werden, haben sie bisher noch stets wenigstens teilweise zu umgehen verstanden.
Es ist recht bedauerlich, daß die Engländer und Franzosen beim letzten Friedens¬
schlüsse in dieser für Asiaten so wichtigen Formfrage nicht viel durchgreifender
verfahren sind. Jetzt kann man, nachdem das Versäumnis einmal geschehen
ist, dem gewünschten Ziele nur Schritt sür Schritt näher kommen, weil
niemand um einer solchen Ursache willen Krieg mit China wird anfangen
wollen.

Als der vorige Kaiser, Tung-tschi, für volljährig erklärt wurde, verlangten
die in Peking anwesenden Vertreter der fremden Mächte alsbald, von ihm
empfangen zu werden. Lange sträubten sich die chinesischen Staatsmänner,
dies zum erstenmal an sie gestellte ungeheure Ansinnen zu befürworten, wenn
sich die Fremden nicht vor dem Kaiser niederwerfen wollten. Nach vier-
monatigen Verhandlungen gaben sie endlich nach; statt des Fußfalls wurde
eine neunmalige Verbeugung vereinbart. Noch viele Jahre später erzählte sich
das Volk in Peking, daß dem Doyen des diplomatischen Korps, Sir Thomas
Wade, beim Anblick des Sohnes des Himmels der kalte Angstschweiß aus
allen Poren gebrochen sei.

Der junge .Kaiser starb schon im Jahre 1875, mild wieder folgte eine
Regentschaft, sooaß die Frage weiterer Audienzen die Diplomatie erst vor zwei
Jahren abermals zu beschäftigen begann. Beim ersten Empfang hatten sich
die Fremden nicht sonderlich um den Ort, wo er stattfinden sollte, gekümmert.
Dies machten sich die schlauen Chinesen zu nutze und bestimmten für die zweite
Audienz eine Halle, in der früher oft tributpflichtige Fürsten oder deren Ab¬
gesandte empfangen worden waren. Als davon noch rechtzeitig etwas ruchbar
wurde, weigerten sich die Gesandten anfangs, in dieser Halle zu erscheinen,
gäbe» aber schließlich nach unter der Bedingung, daß das nächstemal el»
p"!heuterer Ort gewählt würde. Hätten sie sich damals klar gemacht, daß
über dieser Empfangshalle angebrachten Schriftzeichen „Halle der Er¬
niedrigung" bedeuten, so würden sie schwerlich hineingegangen sein. Alle Ge¬
sandten wurden also nun vom jetzigen Kaiser Kucmg-Hsü empfangen. Der
Doyen war diesmal der deutsche Gesandte, Herr von Brandt.

Seitdem sind'bereits mehrere Wechsel im Pekinger diplomatischen Korps
^'getreten. Aber weder mit dem neuen russischen noch mit dem neuen fran¬
zösischen Gesandten haben sich die chinesischen Staatsmänner bis jetzt über
eine Audienz einigen können. Beide verlangen vom Kaiser in seinem Palast
empfangen zu werden. Dem neuen österreichischen Gesandten für China und
^npan, Herrn von Biegeleben, wurde im vorigen Herbst eine Audienz in einem
^-eile des Palastes bewilligt, der von frühern Herrschern bewohnt worden ist.
derselbe Ort wurde kürzlich für den Empfang des neuen englischen Gesandten,
Herrn O'Conor, gebraucht, und diesem wurde die Benutzung des in diesen


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[0161] Die politischen Beziehungen Chinas angekommner fremder Gesandten, vom Kaiser in seinem Palast empfangen zu werden, haben sie bisher noch stets wenigstens teilweise zu umgehen verstanden. Es ist recht bedauerlich, daß die Engländer und Franzosen beim letzten Friedens¬ schlüsse in dieser für Asiaten so wichtigen Formfrage nicht viel durchgreifender verfahren sind. Jetzt kann man, nachdem das Versäumnis einmal geschehen ist, dem gewünschten Ziele nur Schritt sür Schritt näher kommen, weil niemand um einer solchen Ursache willen Krieg mit China wird anfangen wollen. Als der vorige Kaiser, Tung-tschi, für volljährig erklärt wurde, verlangten die in Peking anwesenden Vertreter der fremden Mächte alsbald, von ihm empfangen zu werden. Lange sträubten sich die chinesischen Staatsmänner, dies zum erstenmal an sie gestellte ungeheure Ansinnen zu befürworten, wenn sich die Fremden nicht vor dem Kaiser niederwerfen wollten. Nach vier- monatigen Verhandlungen gaben sie endlich nach; statt des Fußfalls wurde eine neunmalige Verbeugung vereinbart. Noch viele Jahre später erzählte sich das Volk in Peking, daß dem Doyen des diplomatischen Korps, Sir Thomas Wade, beim Anblick des Sohnes des Himmels der kalte Angstschweiß aus allen Poren gebrochen sei. Der junge .Kaiser starb schon im Jahre 1875, mild wieder folgte eine Regentschaft, sooaß die Frage weiterer Audienzen die Diplomatie erst vor zwei Jahren abermals zu beschäftigen begann. Beim ersten Empfang hatten sich die Fremden nicht sonderlich um den Ort, wo er stattfinden sollte, gekümmert. Dies machten sich die schlauen Chinesen zu nutze und bestimmten für die zweite Audienz eine Halle, in der früher oft tributpflichtige Fürsten oder deren Ab¬ gesandte empfangen worden waren. Als davon noch rechtzeitig etwas ruchbar wurde, weigerten sich die Gesandten anfangs, in dieser Halle zu erscheinen, gäbe» aber schließlich nach unter der Bedingung, daß das nächstemal el» p"!heuterer Ort gewählt würde. Hätten sie sich damals klar gemacht, daß über dieser Empfangshalle angebrachten Schriftzeichen „Halle der Er¬ niedrigung" bedeuten, so würden sie schwerlich hineingegangen sein. Alle Ge¬ sandten wurden also nun vom jetzigen Kaiser Kucmg-Hsü empfangen. Der Doyen war diesmal der deutsche Gesandte, Herr von Brandt. Seitdem sind'bereits mehrere Wechsel im Pekinger diplomatischen Korps ^'getreten. Aber weder mit dem neuen russischen noch mit dem neuen fran¬ zösischen Gesandten haben sich die chinesischen Staatsmänner bis jetzt über eine Audienz einigen können. Beide verlangen vom Kaiser in seinem Palast empfangen zu werden. Dem neuen österreichischen Gesandten für China und ^npan, Herrn von Biegeleben, wurde im vorigen Herbst eine Audienz in einem ^-eile des Palastes bewilligt, der von frühern Herrschern bewohnt worden ist. derselbe Ort wurde kürzlich für den Empfang des neuen englischen Gesandten, Herrn O'Conor, gebraucht, und diesem wurde die Benutzung des in diesen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/161>, abgerufen am 24.07.2024.