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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Soldatennot

nu"g --, aber nun giebt es doch auch eher einmal ein paar freie Abend¬
stunden. Wo soll sie aber der Soldat zubringen? In der frischen Luft hat
er sich gerade genug bewegt; in den Straßen der Stadt herumzulaufen wird
ihm auch nur bei günstigem Wetter behagen und solange ihm die Verhältnisse
und die Umgebung noch neu sind. Wohin aber, wenn schlechtes Wetter ist?
In die Kneipe! Und Sonntags in den Tingeltangel, auf den Tanzboden u.s. w.
Wir messen nicht alle Schuld hieran den Einrichtungen unsrer Kasernen bei,
aber doch einen großen Teil. Wo soll sich der Soldat aufhalten, wenn er
nicht durch seinen Dienst in Anspruch genommen ist? In der Manuschafts-
stube ist kaum Platz für ihn. Die Betten und Schranke füllen sie so aus,
daß zu irgend welcher Thätigkeit, die nicht Dienst ist, gar kein Raum vor¬
handen ist. Der Tisch ist meist von denen in Anspruch genommen, die Kleider
und Waffen in Ordnung bringen. Ein Buch zu lesen oder gar einen Brief
zu schreiben ist in den meisten Fällen so gut wie unmöglich. Gerade der
letzte Umstand aber trägt dazu bei, die Verbindung mit der Heimat zu lockern.
Und fest wird sie dann nur selten wieder. Man hat neuerdings sein Augen¬
merk darauf gerichtet, dem Soldaten guten Lesestoff in die Hand zu geben.
Es geschieht viel in dieser Beziehung. Der Berliner Verein zur Verbreitung
christlicher Zeitschriften hat Leistungen anzuweisen, die beispiellos dastehen.
Die "Kaisergabe" wird in zahllosen Exemplaren im Heere verbreitet und sicher¬
lich auch gelesen. Sie und die Mannschaftsbiblivthek würden aber erst recht
zur Geltung kommen, wenn der Soldat seine knapp zugemessene Zeit wenigstens
zum Lesen verwenden könnte. Aber er hat keine Stätte dazu. Damit ist ein
großer Notstand berührt. In einer gut eingerichteten Kaserne sollte es nicht
an einem Raume fehlen, wo sich der gemeine Soldat als Mensch fühlen könnte.
Es müßte eine Art Mannschaftskasinv geben und in ihm ein Raum, wo der
Soldat ohne Störung lesen und einen Brief schreiben könnte. Nichts aber
kennzeichnet die Unzulänglichkeit der jetzigen Verhältnisse so deutlich wie der
Umstand, daß der Militürgeistliche, der die vorgeschriebnen Kasernenabcndstunden
abhalten will, oft zurückgewiesen werden muß, weil kein Raum vorhanden ist,
der eine nennenswerte Anzahl der Mannschaften fassen könnte. Oft wird Rat
geschafft, indem eine Mannschaftsstube völlig ausgeräumt wird; aber das macht
große Schwierigkeiten, denn wohin mit den Betten und Schränken? Es geht
oft bei dem besten Willen der Vorgesetzten nicht. Es wird sehr schwer sein,
hier Besserung zu schaffen. Aber nicht überall ist es unmöglich, dem Übel zu
steuern. Und wo es geschehen kann, müßten es sich auch alle, die mitzusprechen
berufen sind, zur Aufgabe machen, für Abstellung der Übelstände zu sorgen.

Wie schmerzlich diese Übelstände empfunden werden, geht daraus her¬
vor, daß neuerdings vielfach mit der Einrichtung von sogenannten Soldaten-
Heimen vorgegangen worden ist. Es scheint, als sei das ucimentlich von dem
gegenwärtigen evangelischen Feldpropst ausgegangen, da namentlich die evan-


Soldatennot

nu»g —, aber nun giebt es doch auch eher einmal ein paar freie Abend¬
stunden. Wo soll sie aber der Soldat zubringen? In der frischen Luft hat
er sich gerade genug bewegt; in den Straßen der Stadt herumzulaufen wird
ihm auch nur bei günstigem Wetter behagen und solange ihm die Verhältnisse
und die Umgebung noch neu sind. Wohin aber, wenn schlechtes Wetter ist?
In die Kneipe! Und Sonntags in den Tingeltangel, auf den Tanzboden u.s. w.
Wir messen nicht alle Schuld hieran den Einrichtungen unsrer Kasernen bei,
aber doch einen großen Teil. Wo soll sich der Soldat aufhalten, wenn er
nicht durch seinen Dienst in Anspruch genommen ist? In der Manuschafts-
stube ist kaum Platz für ihn. Die Betten und Schranke füllen sie so aus,
daß zu irgend welcher Thätigkeit, die nicht Dienst ist, gar kein Raum vor¬
handen ist. Der Tisch ist meist von denen in Anspruch genommen, die Kleider
und Waffen in Ordnung bringen. Ein Buch zu lesen oder gar einen Brief
zu schreiben ist in den meisten Fällen so gut wie unmöglich. Gerade der
letzte Umstand aber trägt dazu bei, die Verbindung mit der Heimat zu lockern.
Und fest wird sie dann nur selten wieder. Man hat neuerdings sein Augen¬
merk darauf gerichtet, dem Soldaten guten Lesestoff in die Hand zu geben.
Es geschieht viel in dieser Beziehung. Der Berliner Verein zur Verbreitung
christlicher Zeitschriften hat Leistungen anzuweisen, die beispiellos dastehen.
Die „Kaisergabe" wird in zahllosen Exemplaren im Heere verbreitet und sicher¬
lich auch gelesen. Sie und die Mannschaftsbiblivthek würden aber erst recht
zur Geltung kommen, wenn der Soldat seine knapp zugemessene Zeit wenigstens
zum Lesen verwenden könnte. Aber er hat keine Stätte dazu. Damit ist ein
großer Notstand berührt. In einer gut eingerichteten Kaserne sollte es nicht
an einem Raume fehlen, wo sich der gemeine Soldat als Mensch fühlen könnte.
Es müßte eine Art Mannschaftskasinv geben und in ihm ein Raum, wo der
Soldat ohne Störung lesen und einen Brief schreiben könnte. Nichts aber
kennzeichnet die Unzulänglichkeit der jetzigen Verhältnisse so deutlich wie der
Umstand, daß der Militürgeistliche, der die vorgeschriebnen Kasernenabcndstunden
abhalten will, oft zurückgewiesen werden muß, weil kein Raum vorhanden ist,
der eine nennenswerte Anzahl der Mannschaften fassen könnte. Oft wird Rat
geschafft, indem eine Mannschaftsstube völlig ausgeräumt wird; aber das macht
große Schwierigkeiten, denn wohin mit den Betten und Schränken? Es geht
oft bei dem besten Willen der Vorgesetzten nicht. Es wird sehr schwer sein,
hier Besserung zu schaffen. Aber nicht überall ist es unmöglich, dem Übel zu
steuern. Und wo es geschehen kann, müßten es sich auch alle, die mitzusprechen
berufen sind, zur Aufgabe machen, für Abstellung der Übelstände zu sorgen.

Wie schmerzlich diese Übelstände empfunden werden, geht daraus her¬
vor, daß neuerdings vielfach mit der Einrichtung von sogenannten Soldaten-
Heimen vorgegangen worden ist. Es scheint, als sei das ucimentlich von dem
gegenwärtigen evangelischen Feldpropst ausgegangen, da namentlich die evan-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/16>, abgerufen am 23.07.2024.