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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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und eine in vielen Tausenden von Exemplaren im ganzen Reiche verbreitete
kaiserliche Proklamation gebot den Schutz aller in China reisenden Fremden.
Sonst haben die Engländer, obwohl sie inzwischen durch Besitznahme von
Oberbirma unmittelbare Nachbarn der Chinesen geworden sind, an der Grenze
wenig von Unruhen zu leiden. Viel hat hierzu beigetragen, daß man stets
auf die Empfindlichkeit des Kaisers von China alle mögliche Rücksicht genommen
hat. Dieser hat nämlich bis zum heutigen Tage noch nicht den Anspruch
aufgegeben, Suzerän des Königs von Birma zu sein. Aller zwölf Jahre
einmal ging früher eine Gesandtschaft von Vhamv nach Peking, um Geschenke
des birmanischen Vasallen zu überbringen, zuletzt im Jahre 1881. In diesem
Jahre soll es nun ebenso gemacht werden. Die Welt wird dann also das
wunderliche Schauspiel sehen, daß im Namen eines gar nicht mehr vorhandnen
Königs Geschenke überreicht werden. Da aber dieser König jetzt thatsächlich
die Königin Viktoria ist, so wird es nicht leicht sein, eine beide Seiten be¬
friedigende Fassung der Adresse zu finden. Ohnehin wird der ganze Vorgang
der von vielen hohen chinesischen Würdenträgern noch immer im stillen ge¬
hegten Auffassung neue Nahrung geben, daß alle ausländischen Herrscher
eigentlich Basalten des Sohns des Himmels seien. Der Schritt ist daher von
zweifelhaftem Wert. Immerhin hat man dadurch Ruhe vor den lästigen
Grenzplackereien, die den benachbarten Franzosen den Besitz Tongkings schon
längst verleidet haben.

Die Franzosen sind nicht sehr beliebt bei den Chinesen. Der Hauptgrund
hierfür ist auf religiösem Gebiete zu suchen. Während die große Masse des
chinesischen Volks natürlich weder einen Unterschied zwischen den Angehörigen
der einzelnen ausländischen Staaten, noch zwischen Protestanten und Katholiken
zu machen versteht, sind in den Augen der etwas besser unterrichteten alle
protestantischen Missionsstationen englisch und alle katholischen französisch.
Nun hegt man aber gerade gegen die Findelhäuser der katholischen Mission
ein unüberwindliches Mißtrauen. Früher war die Mission unvorsichtig genug,
dies Mißtrauen noch dadurch zu vermehren, daß sie den Überbringern von
angeblich gefundnen Säuglingen Belohnungen gab. Das soll, wie die Chi¬
nesen auch jetzt noch aufs bestimmteste behaupten, oft genug Kiuderraub zur
Folge gehabt haben, und wer die Chinesen kennt, der wird das auch leicht
für möglich halten. Genug, solche unvernünftige Belohnungen verursachten
die schlimmste Bewegung, die bis jetzt in China jemals gegen christliche
Missionare vorgekommen ist: im Juni 1870 wurden der französische Konsul
in Tientsin nebst seinem Begleiter und achtzehn Nonnen scheußlich ermordet.
Vielleicht Hütte sich der wütende Pöbel hiermit noch nicht begnügt, wenn er
nicht durch einen glücklicherweise eintretenden starken Regen zerstreut worden
wäre. Nur dem bald darauf beginnenden Kriege zwischen Deutschland und
Frankreich hatten es die Chinesen zu danken, daß die Franzosen sie für diese


und eine in vielen Tausenden von Exemplaren im ganzen Reiche verbreitete
kaiserliche Proklamation gebot den Schutz aller in China reisenden Fremden.
Sonst haben die Engländer, obwohl sie inzwischen durch Besitznahme von
Oberbirma unmittelbare Nachbarn der Chinesen geworden sind, an der Grenze
wenig von Unruhen zu leiden. Viel hat hierzu beigetragen, daß man stets
auf die Empfindlichkeit des Kaisers von China alle mögliche Rücksicht genommen
hat. Dieser hat nämlich bis zum heutigen Tage noch nicht den Anspruch
aufgegeben, Suzerän des Königs von Birma zu sein. Aller zwölf Jahre
einmal ging früher eine Gesandtschaft von Vhamv nach Peking, um Geschenke
des birmanischen Vasallen zu überbringen, zuletzt im Jahre 1881. In diesem
Jahre soll es nun ebenso gemacht werden. Die Welt wird dann also das
wunderliche Schauspiel sehen, daß im Namen eines gar nicht mehr vorhandnen
Königs Geschenke überreicht werden. Da aber dieser König jetzt thatsächlich
die Königin Viktoria ist, so wird es nicht leicht sein, eine beide Seiten be¬
friedigende Fassung der Adresse zu finden. Ohnehin wird der ganze Vorgang
der von vielen hohen chinesischen Würdenträgern noch immer im stillen ge¬
hegten Auffassung neue Nahrung geben, daß alle ausländischen Herrscher
eigentlich Basalten des Sohns des Himmels seien. Der Schritt ist daher von
zweifelhaftem Wert. Immerhin hat man dadurch Ruhe vor den lästigen
Grenzplackereien, die den benachbarten Franzosen den Besitz Tongkings schon
längst verleidet haben.

Die Franzosen sind nicht sehr beliebt bei den Chinesen. Der Hauptgrund
hierfür ist auf religiösem Gebiete zu suchen. Während die große Masse des
chinesischen Volks natürlich weder einen Unterschied zwischen den Angehörigen
der einzelnen ausländischen Staaten, noch zwischen Protestanten und Katholiken
zu machen versteht, sind in den Augen der etwas besser unterrichteten alle
protestantischen Missionsstationen englisch und alle katholischen französisch.
Nun hegt man aber gerade gegen die Findelhäuser der katholischen Mission
ein unüberwindliches Mißtrauen. Früher war die Mission unvorsichtig genug,
dies Mißtrauen noch dadurch zu vermehren, daß sie den Überbringern von
angeblich gefundnen Säuglingen Belohnungen gab. Das soll, wie die Chi¬
nesen auch jetzt noch aufs bestimmteste behaupten, oft genug Kiuderraub zur
Folge gehabt haben, und wer die Chinesen kennt, der wird das auch leicht
für möglich halten. Genug, solche unvernünftige Belohnungen verursachten
die schlimmste Bewegung, die bis jetzt in China jemals gegen christliche
Missionare vorgekommen ist: im Juni 1870 wurden der französische Konsul
in Tientsin nebst seinem Begleiter und achtzehn Nonnen scheußlich ermordet.
Vielleicht Hütte sich der wütende Pöbel hiermit noch nicht begnügt, wenn er
nicht durch einen glücklicherweise eintretenden starken Regen zerstreut worden
wäre. Nur dem bald darauf beginnenden Kriege zwischen Deutschland und
Frankreich hatten es die Chinesen zu danken, daß die Franzosen sie für diese


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/158>, abgerufen am 26.08.2024.