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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Leopold Kümmerlich

sichtlichem Behagen verzehrte er dann ein saftiges Beefsteak oder ein Wiener
Schnitzel, das ich ans eigner Machtvollkommenheit für ihn bestellte, weil er
selbst immer nur Appetit auf Brot mit etwas Käse zu haben behauptete. Ein
Glas Echtes löste ihm dann die Zunge, und so erfuhr ich denn mancherlei
aus seinem wunderlichen, mühseligen, oft tragikomischen Stndentendasein.

Um ein paar Groschen zu verdienen, verfiel er auf die sonderbarsten
Dinge. Als er einmal keine Privatstunden finden konnte, bot er sich im In-
telligenzblatt als Fest- und Gelegenheitsdichter an. Er bekam auch Aufträge,
aber er bemerkte bald, daß ihm der poetische Schwung vollständig fehlte, und
daß ihm auch die einfachste Reimerei schwer wurde, wenn er mit seinen Er¬
innerungen aus Schiller und Goethe zu Ende war. Lustige Verse konnte er
überhaupt uicht machen, alles, was er besang, wurde traurig und schwermütig,
aber gerade lustige Verse verlangten die Leute. Einmal schickte ihm ein
Fleischermeister das gelieferte Pvlterabendgedicht zurück mit einem groben Briefe:
das sei ein Leichengesang, aber kein Hvchzeitsgedicht, seine Tochter sei außer
sich, er passe zum Dichter wie ein Stachelschwein zum Kanarienvogel. Das
Stachelschwein kränkte ihn sehr, und er ließ die Dichterei dann entmutigt liegen.

In der Akademischen Bierhalle, wo er sich zuweilen für fünfzig Pfennige
ein Mittagessen gönnte, unter reichlicher Ausnutzung der hochgefüllteu Brot-
und Semmelkörbe, lernte er einen gescheiterten frühern Studenten kennen, der
sich auf Physiognomik geworfen hatte, und sofort setzte Leopold in die Zeitung,
er sei imstande, aus der Photographie oder der Handschrift den Charakter einer
Person richtig zu beurteilen. Wieder wandten sich viele Wißbegierige um ihn,
aber auch in dieser Kunst machte er bald Fiasko. Eines Tages erhielt er
von einer Witwe aus der Gipsstraße die Photographie eines Mannes, dessen
Gesichtszüge ihm wenig sympathisch waren. Trotzdem pries er, wie ers bis
dahin immer gethan hatte, das Original als einen edeln Charakter, reich an
Geist und Gemüt, voll Ehrlichkeit und jener tiefgehenden Liebe, die der Selbst¬
aufopferung fähig sei. Kaum waren aber acht Tage verflossen, da bekam
Leopold von der Witwe einen Brief, worin sie schrieb, er sei ein ganz ge¬
meiner Schwindler, alle seine Angaben seien gelogen, der ehrliche, an Geist
und Gemüt reiche Mann sei ihr mit dem Eheversprechen und der Ladenkasse
auf Nimmerwiedersehen durchgebrannt, Leopold stecke wohl gar mit dem Gauner
unter einer Decke, sie würde es der Polizei anzeigen. Der hineiugefallne
Physiognomiker bekam furchtbare Angst, doch es geschah ihm nichts. Er hatte
aber eingesehen, daß auch mit dieser Wissenschaft kein Geschäft zu machen sei.

Ein Versuch, im Friedrich-Wilhelmstädtischen Theater als Statist mitzu-
wirken, was ihm jedesmal fünf Groschen eingebracht hätte, scheiterte gleich am
ersten Abend. Er stellte sich zu ungeschickt an und trat hinter den Kulissen
der Soubrette gerade in dem Augenblick auf die Schleppe, wo sie vvrstürzen
sollte. Sie hatte gerade noch Zeit genug, sich umzudrehen und Leopold eine


Leopold Kümmerlich

sichtlichem Behagen verzehrte er dann ein saftiges Beefsteak oder ein Wiener
Schnitzel, das ich ans eigner Machtvollkommenheit für ihn bestellte, weil er
selbst immer nur Appetit auf Brot mit etwas Käse zu haben behauptete. Ein
Glas Echtes löste ihm dann die Zunge, und so erfuhr ich denn mancherlei
aus seinem wunderlichen, mühseligen, oft tragikomischen Stndentendasein.

Um ein paar Groschen zu verdienen, verfiel er auf die sonderbarsten
Dinge. Als er einmal keine Privatstunden finden konnte, bot er sich im In-
telligenzblatt als Fest- und Gelegenheitsdichter an. Er bekam auch Aufträge,
aber er bemerkte bald, daß ihm der poetische Schwung vollständig fehlte, und
daß ihm auch die einfachste Reimerei schwer wurde, wenn er mit seinen Er¬
innerungen aus Schiller und Goethe zu Ende war. Lustige Verse konnte er
überhaupt uicht machen, alles, was er besang, wurde traurig und schwermütig,
aber gerade lustige Verse verlangten die Leute. Einmal schickte ihm ein
Fleischermeister das gelieferte Pvlterabendgedicht zurück mit einem groben Briefe:
das sei ein Leichengesang, aber kein Hvchzeitsgedicht, seine Tochter sei außer
sich, er passe zum Dichter wie ein Stachelschwein zum Kanarienvogel. Das
Stachelschwein kränkte ihn sehr, und er ließ die Dichterei dann entmutigt liegen.

In der Akademischen Bierhalle, wo er sich zuweilen für fünfzig Pfennige
ein Mittagessen gönnte, unter reichlicher Ausnutzung der hochgefüllteu Brot-
und Semmelkörbe, lernte er einen gescheiterten frühern Studenten kennen, der
sich auf Physiognomik geworfen hatte, und sofort setzte Leopold in die Zeitung,
er sei imstande, aus der Photographie oder der Handschrift den Charakter einer
Person richtig zu beurteilen. Wieder wandten sich viele Wißbegierige um ihn,
aber auch in dieser Kunst machte er bald Fiasko. Eines Tages erhielt er
von einer Witwe aus der Gipsstraße die Photographie eines Mannes, dessen
Gesichtszüge ihm wenig sympathisch waren. Trotzdem pries er, wie ers bis
dahin immer gethan hatte, das Original als einen edeln Charakter, reich an
Geist und Gemüt, voll Ehrlichkeit und jener tiefgehenden Liebe, die der Selbst¬
aufopferung fähig sei. Kaum waren aber acht Tage verflossen, da bekam
Leopold von der Witwe einen Brief, worin sie schrieb, er sei ein ganz ge¬
meiner Schwindler, alle seine Angaben seien gelogen, der ehrliche, an Geist
und Gemüt reiche Mann sei ihr mit dem Eheversprechen und der Ladenkasse
auf Nimmerwiedersehen durchgebrannt, Leopold stecke wohl gar mit dem Gauner
unter einer Decke, sie würde es der Polizei anzeigen. Der hineiugefallne
Physiognomiker bekam furchtbare Angst, doch es geschah ihm nichts. Er hatte
aber eingesehen, daß auch mit dieser Wissenschaft kein Geschäft zu machen sei.

Ein Versuch, im Friedrich-Wilhelmstädtischen Theater als Statist mitzu-
wirken, was ihm jedesmal fünf Groschen eingebracht hätte, scheiterte gleich am
ersten Abend. Er stellte sich zu ungeschickt an und trat hinter den Kulissen
der Soubrette gerade in dem Augenblick auf die Schleppe, wo sie vvrstürzen
sollte. Sie hatte gerade noch Zeit genug, sich umzudrehen und Leopold eine


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/142>, abgerufen am 25.08.2024.