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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Leopold Kümmerlich

zu sehen, und bald waren die beiden Kollegen mit ihrer Unterhaltung mitten
drin in den lustigsten Studentengeschichten, die sie von den jungen Referendaren
und den alten Räten bei Gelegenheit aufgeschnappt hatten; sie sprachen darüber
mit einem Eifer und einer Freudigkeit, als hätten sie die Geschichten alle
selbst erlebt.

Ja, das Studentenleben muß ein Leben für Götter sein! sagte der alte
Kümmerlich. Immer kein Geld, und immer in clliloi ,se>dit"! Und ans
der Mensur, ha! Wenn man so dem Gegner eine Tiefqnnrt hineinsank,
wie Leopold? Na, so einen kleinen Renommirschmiß an der linken Backe,
wie der Assessor Müller, den mußt du mir auch einmal mitbringen, das sieht
zu famos aus.

Kollege Hickelbein bestätigte das, indem er noch hinzufügte, daß der
Assessor Müller ein sehr schneidiger Herr sei. Neulich habe er eigenhändig
zwei dumme Bauern, die ihn nicht verstanden hätten, hinausgeworfen.

Ja, rief der alte Kümmerlich selig, man ist nur einmal jung. Wenn ich
das nötige Kleingeld hätte, Donner und Doria! Leopold, so ein paar Tage
möchte ich schon einmal mit dir unter den Berliner Studenten zubringen!
So einmal stolz durch die Universität schreiten und eine Weile wie ein Pro¬
fessor vor dem schwarzen Brete stehen und all den Unsinn und die Witze
lesen, die darauf stehe", das muß ein Hauptspaß sein! --

Als Leopold kurze Zeit darauf mit deu andern Studenten der kleinen
Stadt auf dem Bahnhöfe stand und in die vierte Wagenklasse einsteigen wollte,
um nach Berlin zu fahren, gab ihm sein Vater noch ein sorgfältig ge¬
schnürtes Paket.

Hier, sagte er mit zitternder Stimme, hast du ein Lorxus ^juris. Das
hat mir der alte pensionirte Kreisgerichtsdirektor früher einmal geschenkt. Mit
den sechs Thalern, die ich dir gegeben habe, wirst du wohl eine Weile reichen,
und dann wirst du in Berlin schon auf andre Weise durchkommen, für Leute
von deinen Kenntnissen giebts überall zu verdienen. Und noch eins -- der
Alte zog aus der Brusttasche ein Bild und gab es Leopold: Hier ist das Bild
deiner Mutter, nimm es mit, ich habe zu Hanse noch el" andres.

Es war eine alte Dcignerrvtypie; man konnte das magre, eingefallne
Gesicht darauf kaum noch erkennen. Leopold verwahrte sie aber sorgsam,
schüttelte dem Bater noch einmal die Hand und stieg in den Wage".

In den Ferien werde ich wohl kaum uach Hanse komme", sagte er durch
das vergitterte Fettster zu dem Alte".

Schadet nichts, komm nur wieder, wenn dn Referendar bist. Drei Jahre
vergehen schnell. --

Als aber Leopold in Berlin war, vergingen ihm die Jahre gar nicht
schnell. Der verzweifelte Kampf ums Dasein, den er bald zu kämpfen hatte,
raubte ihm selbst die ""schuldige Frende an seiner studentischen Freiheit. Er


Leopold Kümmerlich

zu sehen, und bald waren die beiden Kollegen mit ihrer Unterhaltung mitten
drin in den lustigsten Studentengeschichten, die sie von den jungen Referendaren
und den alten Räten bei Gelegenheit aufgeschnappt hatten; sie sprachen darüber
mit einem Eifer und einer Freudigkeit, als hätten sie die Geschichten alle
selbst erlebt.

Ja, das Studentenleben muß ein Leben für Götter sein! sagte der alte
Kümmerlich. Immer kein Geld, und immer in clliloi ,se>dit»! Und ans
der Mensur, ha! Wenn man so dem Gegner eine Tiefqnnrt hineinsank,
wie Leopold? Na, so einen kleinen Renommirschmiß an der linken Backe,
wie der Assessor Müller, den mußt du mir auch einmal mitbringen, das sieht
zu famos aus.

Kollege Hickelbein bestätigte das, indem er noch hinzufügte, daß der
Assessor Müller ein sehr schneidiger Herr sei. Neulich habe er eigenhändig
zwei dumme Bauern, die ihn nicht verstanden hätten, hinausgeworfen.

Ja, rief der alte Kümmerlich selig, man ist nur einmal jung. Wenn ich
das nötige Kleingeld hätte, Donner und Doria! Leopold, so ein paar Tage
möchte ich schon einmal mit dir unter den Berliner Studenten zubringen!
So einmal stolz durch die Universität schreiten und eine Weile wie ein Pro¬
fessor vor dem schwarzen Brete stehen und all den Unsinn und die Witze
lesen, die darauf stehe», das muß ein Hauptspaß sein! —

Als Leopold kurze Zeit darauf mit deu andern Studenten der kleinen
Stadt auf dem Bahnhöfe stand und in die vierte Wagenklasse einsteigen wollte,
um nach Berlin zu fahren, gab ihm sein Vater noch ein sorgfältig ge¬
schnürtes Paket.

Hier, sagte er mit zitternder Stimme, hast du ein Lorxus ^juris. Das
hat mir der alte pensionirte Kreisgerichtsdirektor früher einmal geschenkt. Mit
den sechs Thalern, die ich dir gegeben habe, wirst du wohl eine Weile reichen,
und dann wirst du in Berlin schon auf andre Weise durchkommen, für Leute
von deinen Kenntnissen giebts überall zu verdienen. Und noch eins — der
Alte zog aus der Brusttasche ein Bild und gab es Leopold: Hier ist das Bild
deiner Mutter, nimm es mit, ich habe zu Hanse noch el» andres.

Es war eine alte Dcignerrvtypie; man konnte das magre, eingefallne
Gesicht darauf kaum noch erkennen. Leopold verwahrte sie aber sorgsam,
schüttelte dem Bater noch einmal die Hand und stieg in den Wage».

In den Ferien werde ich wohl kaum uach Hanse komme», sagte er durch
das vergitterte Fettster zu dem Alte».

Schadet nichts, komm nur wieder, wenn dn Referendar bist. Drei Jahre
vergehen schnell. —

Als aber Leopold in Berlin war, vergingen ihm die Jahre gar nicht
schnell. Der verzweifelte Kampf ums Dasein, den er bald zu kämpfen hatte,
raubte ihm selbst die »»schuldige Frende an seiner studentischen Freiheit. Er


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[0140] Leopold Kümmerlich zu sehen, und bald waren die beiden Kollegen mit ihrer Unterhaltung mitten drin in den lustigsten Studentengeschichten, die sie von den jungen Referendaren und den alten Räten bei Gelegenheit aufgeschnappt hatten; sie sprachen darüber mit einem Eifer und einer Freudigkeit, als hätten sie die Geschichten alle selbst erlebt. Ja, das Studentenleben muß ein Leben für Götter sein! sagte der alte Kümmerlich. Immer kein Geld, und immer in clliloi ,se>dit»! Und ans der Mensur, ha! Wenn man so dem Gegner eine Tiefqnnrt hineinsank, wie Leopold? Na, so einen kleinen Renommirschmiß an der linken Backe, wie der Assessor Müller, den mußt du mir auch einmal mitbringen, das sieht zu famos aus. Kollege Hickelbein bestätigte das, indem er noch hinzufügte, daß der Assessor Müller ein sehr schneidiger Herr sei. Neulich habe er eigenhändig zwei dumme Bauern, die ihn nicht verstanden hätten, hinausgeworfen. Ja, rief der alte Kümmerlich selig, man ist nur einmal jung. Wenn ich das nötige Kleingeld hätte, Donner und Doria! Leopold, so ein paar Tage möchte ich schon einmal mit dir unter den Berliner Studenten zubringen! So einmal stolz durch die Universität schreiten und eine Weile wie ein Pro¬ fessor vor dem schwarzen Brete stehen und all den Unsinn und die Witze lesen, die darauf stehe», das muß ein Hauptspaß sein! — Als Leopold kurze Zeit darauf mit deu andern Studenten der kleinen Stadt auf dem Bahnhöfe stand und in die vierte Wagenklasse einsteigen wollte, um nach Berlin zu fahren, gab ihm sein Vater noch ein sorgfältig ge¬ schnürtes Paket. Hier, sagte er mit zitternder Stimme, hast du ein Lorxus ^juris. Das hat mir der alte pensionirte Kreisgerichtsdirektor früher einmal geschenkt. Mit den sechs Thalern, die ich dir gegeben habe, wirst du wohl eine Weile reichen, und dann wirst du in Berlin schon auf andre Weise durchkommen, für Leute von deinen Kenntnissen giebts überall zu verdienen. Und noch eins — der Alte zog aus der Brusttasche ein Bild und gab es Leopold: Hier ist das Bild deiner Mutter, nimm es mit, ich habe zu Hanse noch el» andres. Es war eine alte Dcignerrvtypie; man konnte das magre, eingefallne Gesicht darauf kaum noch erkennen. Leopold verwahrte sie aber sorgsam, schüttelte dem Bater noch einmal die Hand und stieg in den Wage». In den Ferien werde ich wohl kaum uach Hanse komme», sagte er durch das vergitterte Fettster zu dem Alte». Schadet nichts, komm nur wieder, wenn dn Referendar bist. Drei Jahre vergehen schnell. — Als aber Leopold in Berlin war, vergingen ihm die Jahre gar nicht schnell. Der verzweifelte Kampf ums Dasein, den er bald zu kämpfen hatte, raubte ihm selbst die »»schuldige Frende an seiner studentischen Freiheit. Er

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/140>, abgerufen am 23.07.2024.