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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Soldateilnot

des Geldpunktes könnte vielleicht dazu führen, an die Militärverwaltung das
Ansinnen zu stellen, die ausgehöhlten Mannschaften anders als bisher zu ver¬
teilen. Sollen die Polen in deutsche Umgebung kommen, gut! Warum müssen
sie aber von der äußersten Grenze im Osten nach dem fernsten Westen ge¬
bracht werden? Warum können sie nicht in Pommern, Brandenburg, Nieder¬
schlesien, Sachsen, Thüringen, Hannover, Hessen untergebracht werden, und
die in Mittel- und Westdeutschland dadurch überschüssig werdenden Rekruten
in dem ihrer Heimat nicht gar so fernen Reichslande? Dann könnte niemand
über Ungerechtigkeit klagen. Der höhere Offizier wird vielleicht erwidern: So kann
nur ein Laie urteilen! Das wäre freilich leicht gesagt. Die Notwendigkeit
aber zu beweisen, daß die Nekruteneiustellung gerade so und nicht anders ein¬
gerichtet werden müsse, dürfte viel schwerer sein.

Einige Übelstände, die die Einstellung des preußischen Ersatzes in die in
den westlichen Teilen des Reichs liegenden Truppenteile zur Folge hat, seien
hier noch nebenbei erwähnt. Die dem Ackerbau sich widmenden Gebiete im
Osten klagen über den Mangel an Arbeitskräften. Der Zug nach dem Westen
macht sich der Landwirtschaft schon seit langer Zeit schmerzlich fühlbar. Der
im Reichslande dienende Soldat aus dem Osten bemerkt sehr wohl, daß der
Arbeiter hier viel besser bezahlt wird als in seiner Heimat. Auch die Lebens¬
weise des gemeinen Mannes ist im Westen viel besser als im Osten. Da läßt
sich mancher zum Bleiben verleiten. So verliert der Osten manche Arbeits¬
kraft, die er doch so nötig braucht. Und meistens sind es gerade die
intelligentern Leute, die er auf diese Weise einbüßt. Man entgegne nicht,
daß es doch immer nur einzelne seien, die in der Garnisonstadt bleiben.
Nach Jahren giebt es eine große Zahl. Ein Beispiel dafür ist die Stadt
Kostin in Hinterpommern. Dort ist ein Vataillvn Infanterie in Garnison.
Die Stadt ist von jeher protestantisch gewesen; neuerdings aber ist eine nicht
unbedeutende katholische Gemeinde am Ort. Wo kommt sie in dem doch fast
rein protestantischen Pommern her? Die Garnison hat sie gebracht. Das
Bataillon hatte Ersatz aus katholischer Gegend. Der Ersatz gab Kapitulanten.
Natürlich waren es meistens die tüchtigsten Leute. Es wurden Liebschaften
angeknüpft, zuweilen folgte die Heirat; meistens gab es Mischehen. Da griff
die reiche römische Kirche ein; sie hat ja immer Geld für ihre Gemeinden in
der Zerstreuung. Kostin liegt im Sprengel des Fürstbischofs von Breslau.
Wozu bezieht denn der die reichen Einkünfte von dem protestantischen Preußen?
Er baut in der Diaspora Kirchen. So auch in Kostin. Ein geeigneter Geist¬
licher erhält die Diasporagemeinde, und sie wächst jedes Jahr. Wie hier, so
ist es vielfach auch anderswo, nur daß es nicht so in die Augen fällt, weil
die Bevölkerung von jeher konfessionell gemischt war. Sicherlich ist es nicht
gut, wenn die an und für sich schon sehr geringe Seßhaftigkeit der Bewohner des
Ostens durch deu Heeresdienst noch geringer wird und sich jedes Jahr mehr lockert.


Soldateilnot

des Geldpunktes könnte vielleicht dazu führen, an die Militärverwaltung das
Ansinnen zu stellen, die ausgehöhlten Mannschaften anders als bisher zu ver¬
teilen. Sollen die Polen in deutsche Umgebung kommen, gut! Warum müssen
sie aber von der äußersten Grenze im Osten nach dem fernsten Westen ge¬
bracht werden? Warum können sie nicht in Pommern, Brandenburg, Nieder¬
schlesien, Sachsen, Thüringen, Hannover, Hessen untergebracht werden, und
die in Mittel- und Westdeutschland dadurch überschüssig werdenden Rekruten
in dem ihrer Heimat nicht gar so fernen Reichslande? Dann könnte niemand
über Ungerechtigkeit klagen. Der höhere Offizier wird vielleicht erwidern: So kann
nur ein Laie urteilen! Das wäre freilich leicht gesagt. Die Notwendigkeit
aber zu beweisen, daß die Nekruteneiustellung gerade so und nicht anders ein¬
gerichtet werden müsse, dürfte viel schwerer sein.

Einige Übelstände, die die Einstellung des preußischen Ersatzes in die in
den westlichen Teilen des Reichs liegenden Truppenteile zur Folge hat, seien
hier noch nebenbei erwähnt. Die dem Ackerbau sich widmenden Gebiete im
Osten klagen über den Mangel an Arbeitskräften. Der Zug nach dem Westen
macht sich der Landwirtschaft schon seit langer Zeit schmerzlich fühlbar. Der
im Reichslande dienende Soldat aus dem Osten bemerkt sehr wohl, daß der
Arbeiter hier viel besser bezahlt wird als in seiner Heimat. Auch die Lebens¬
weise des gemeinen Mannes ist im Westen viel besser als im Osten. Da läßt
sich mancher zum Bleiben verleiten. So verliert der Osten manche Arbeits¬
kraft, die er doch so nötig braucht. Und meistens sind es gerade die
intelligentern Leute, die er auf diese Weise einbüßt. Man entgegne nicht,
daß es doch immer nur einzelne seien, die in der Garnisonstadt bleiben.
Nach Jahren giebt es eine große Zahl. Ein Beispiel dafür ist die Stadt
Kostin in Hinterpommern. Dort ist ein Vataillvn Infanterie in Garnison.
Die Stadt ist von jeher protestantisch gewesen; neuerdings aber ist eine nicht
unbedeutende katholische Gemeinde am Ort. Wo kommt sie in dem doch fast
rein protestantischen Pommern her? Die Garnison hat sie gebracht. Das
Bataillon hatte Ersatz aus katholischer Gegend. Der Ersatz gab Kapitulanten.
Natürlich waren es meistens die tüchtigsten Leute. Es wurden Liebschaften
angeknüpft, zuweilen folgte die Heirat; meistens gab es Mischehen. Da griff
die reiche römische Kirche ein; sie hat ja immer Geld für ihre Gemeinden in
der Zerstreuung. Kostin liegt im Sprengel des Fürstbischofs von Breslau.
Wozu bezieht denn der die reichen Einkünfte von dem protestantischen Preußen?
Er baut in der Diaspora Kirchen. So auch in Kostin. Ein geeigneter Geist¬
licher erhält die Diasporagemeinde, und sie wächst jedes Jahr. Wie hier, so
ist es vielfach auch anderswo, nur daß es nicht so in die Augen fällt, weil
die Bevölkerung von jeher konfessionell gemischt war. Sicherlich ist es nicht
gut, wenn die an und für sich schon sehr geringe Seßhaftigkeit der Bewohner des
Ostens durch deu Heeresdienst noch geringer wird und sich jedes Jahr mehr lockert.


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/14>, abgerufen am 23.07.2024.