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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Leopold Kiimmerlich

Gehaltserhöhung petitionirt! Wir werden ihnen was pfeifen! -- Das letzte sagte
er sehr wuchtig nach dem Honoratiorentisch in der dienen Stube hinüber. --
Das hat der Bürgermeister von nur ordentlich zu hören bekommen in der letzten
Stadtverordnetenfitzung! Nein, weg mit dem ganzen Gymnasium! Es ist ein
Unsinn, ist ein ganz infamer Luxus für unsre armselige Kommune!

Lieber Schulz, sagte der alte Kanzlist mit überlegnem Lächeln, das ist
nun einmal der Fortschritt der Kulturgeschichte. Weshalb haben sie denn das
Gymnasium eingerichtet?

Ja, wer seits denn gethan? Das ist ja gerade der Schwindel! Als dem
Bürgermeister seine Jungens und die vom Prediger und die von den Amts¬
richtern und dem Apotheker alt genug waren, dn wurde geredet und gewühlt
und petitionirt, bis unsre alte gute Bürgerschule zusammengerissen und diese
neue Menagerie dafür aufgebaut wurde. Na und nun, wo die Jungens von
den obern Zehntausend alle durch sind, da sitzen wir dummen Teufel da mit
den alten Göttern, die sie uns ausgeschwatzt haben. Sagen Sie um alles in
der Welt, für wen unterhalten wir deun noch den ganzen Krempel? Für
el>? paar Dutzend Judenjungen -- der Lumpenlevi allein hat fünf Schlingel
drauf, zwei davon frei - und für die paar Bürger, die zu hochnäsig sind,
ihre dummen Bengels nach der Kommunalschule zu schicken. Weg damit, sage
ich, und wieder her mit der alten billigen Bürgerschule!

Das ist nun einmal der Fortschritt der Kulturgeschichte und der mensch¬
lichen Vervollkommnung, wiederholte Künunerlich etwas unwillig.

Der menschlichen Verfälschung, wollen Sie sagen; hören Sie, die ist ge¬
fährlicher als alle Lebensmittelverfälschung. Aus Blaubeeren kann selbst der
Teufel keinen Wein machen; es bleibt immer Blaubeerwasser, so sehr sie auch
Presse", mischen und klären. Leopold ist auch solch Vlaubeerwasser, das
Partout Rotwein geben soll. Zum Studiren sind alle unsre hiesigen Jungens
zu dumm, und wenn sie dreimal das Examen machen, Leopold auch, lind
dazu soll ich gratuliren? Danke gehorsamst! Schuster, bleib bei deinem Leisteli.
Guten Morgen, meine Herren!

Der Kupferschmied traut schnell sein Glas aus, griff nach seiner Mütze
"ud ging fort.

Der alte Kanzlist war vor Wild aufgesprungen, und Leopold saß zn-
snmmeugekauert da wie ein Sünder und wagte nicht, die Angen aufzuschlagen.
Aber Hickelbein lachte, zog den zitternden Alten wieder ans den Stuhl und
s"gte: Das ist alles blasser Neid, lieber Kollege. Weil seine Jungens Tange-
"ichtse geworden sind, so schimpft er muss Gymnasium und muss Studium.
Leopold wird ihnen schon zeigen, was Blanbeerwasser ist. Trinken wir ein-
u>"l aus auf sei" Wohl, der hats Portefeuille in der Tasche!

Kümmerlichs Entrüstung legte sich denn mich bald wieder vor dem stolzen
Gefühle, seinen Sohn ans der erstell Stufe zur höhern Staatsbeamtenlanfbahu


Greiizboteii II I8N! >7
Leopold Kiimmerlich

Gehaltserhöhung petitionirt! Wir werden ihnen was pfeifen! — Das letzte sagte
er sehr wuchtig nach dem Honoratiorentisch in der dienen Stube hinüber. —
Das hat der Bürgermeister von nur ordentlich zu hören bekommen in der letzten
Stadtverordnetenfitzung! Nein, weg mit dem ganzen Gymnasium! Es ist ein
Unsinn, ist ein ganz infamer Luxus für unsre armselige Kommune!

Lieber Schulz, sagte der alte Kanzlist mit überlegnem Lächeln, das ist
nun einmal der Fortschritt der Kulturgeschichte. Weshalb haben sie denn das
Gymnasium eingerichtet?

Ja, wer seits denn gethan? Das ist ja gerade der Schwindel! Als dem
Bürgermeister seine Jungens und die vom Prediger und die von den Amts¬
richtern und dem Apotheker alt genug waren, dn wurde geredet und gewühlt
und petitionirt, bis unsre alte gute Bürgerschule zusammengerissen und diese
neue Menagerie dafür aufgebaut wurde. Na und nun, wo die Jungens von
den obern Zehntausend alle durch sind, da sitzen wir dummen Teufel da mit
den alten Göttern, die sie uns ausgeschwatzt haben. Sagen Sie um alles in
der Welt, für wen unterhalten wir deun noch den ganzen Krempel? Für
el>? paar Dutzend Judenjungen — der Lumpenlevi allein hat fünf Schlingel
drauf, zwei davon frei - und für die paar Bürger, die zu hochnäsig sind,
ihre dummen Bengels nach der Kommunalschule zu schicken. Weg damit, sage
ich, und wieder her mit der alten billigen Bürgerschule!

Das ist nun einmal der Fortschritt der Kulturgeschichte und der mensch¬
lichen Vervollkommnung, wiederholte Künunerlich etwas unwillig.

Der menschlichen Verfälschung, wollen Sie sagen; hören Sie, die ist ge¬
fährlicher als alle Lebensmittelverfälschung. Aus Blaubeeren kann selbst der
Teufel keinen Wein machen; es bleibt immer Blaubeerwasser, so sehr sie auch
Presse», mischen und klären. Leopold ist auch solch Vlaubeerwasser, das
Partout Rotwein geben soll. Zum Studiren sind alle unsre hiesigen Jungens
zu dumm, und wenn sie dreimal das Examen machen, Leopold auch, lind
dazu soll ich gratuliren? Danke gehorsamst! Schuster, bleib bei deinem Leisteli.
Guten Morgen, meine Herren!

Der Kupferschmied traut schnell sein Glas aus, griff nach seiner Mütze
»ud ging fort.

Der alte Kanzlist war vor Wild aufgesprungen, und Leopold saß zn-
snmmeugekauert da wie ein Sünder und wagte nicht, die Angen aufzuschlagen.
Aber Hickelbein lachte, zog den zitternden Alten wieder ans den Stuhl und
s"gte: Das ist alles blasser Neid, lieber Kollege. Weil seine Jungens Tange-
"ichtse geworden sind, so schimpft er muss Gymnasium und muss Studium.
Leopold wird ihnen schon zeigen, was Blanbeerwasser ist. Trinken wir ein-
u>"l aus auf sei» Wohl, der hats Portefeuille in der Tasche!

Kümmerlichs Entrüstung legte sich denn mich bald wieder vor dem stolzen
Gefühle, seinen Sohn ans der erstell Stufe zur höhern Staatsbeamtenlanfbahu


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[0139] Leopold Kiimmerlich Gehaltserhöhung petitionirt! Wir werden ihnen was pfeifen! — Das letzte sagte er sehr wuchtig nach dem Honoratiorentisch in der dienen Stube hinüber. — Das hat der Bürgermeister von nur ordentlich zu hören bekommen in der letzten Stadtverordnetenfitzung! Nein, weg mit dem ganzen Gymnasium! Es ist ein Unsinn, ist ein ganz infamer Luxus für unsre armselige Kommune! Lieber Schulz, sagte der alte Kanzlist mit überlegnem Lächeln, das ist nun einmal der Fortschritt der Kulturgeschichte. Weshalb haben sie denn das Gymnasium eingerichtet? Ja, wer seits denn gethan? Das ist ja gerade der Schwindel! Als dem Bürgermeister seine Jungens und die vom Prediger und die von den Amts¬ richtern und dem Apotheker alt genug waren, dn wurde geredet und gewühlt und petitionirt, bis unsre alte gute Bürgerschule zusammengerissen und diese neue Menagerie dafür aufgebaut wurde. Na und nun, wo die Jungens von den obern Zehntausend alle durch sind, da sitzen wir dummen Teufel da mit den alten Göttern, die sie uns ausgeschwatzt haben. Sagen Sie um alles in der Welt, für wen unterhalten wir deun noch den ganzen Krempel? Für el>? paar Dutzend Judenjungen — der Lumpenlevi allein hat fünf Schlingel drauf, zwei davon frei - und für die paar Bürger, die zu hochnäsig sind, ihre dummen Bengels nach der Kommunalschule zu schicken. Weg damit, sage ich, und wieder her mit der alten billigen Bürgerschule! Das ist nun einmal der Fortschritt der Kulturgeschichte und der mensch¬ lichen Vervollkommnung, wiederholte Künunerlich etwas unwillig. Der menschlichen Verfälschung, wollen Sie sagen; hören Sie, die ist ge¬ fährlicher als alle Lebensmittelverfälschung. Aus Blaubeeren kann selbst der Teufel keinen Wein machen; es bleibt immer Blaubeerwasser, so sehr sie auch Presse», mischen und klären. Leopold ist auch solch Vlaubeerwasser, das Partout Rotwein geben soll. Zum Studiren sind alle unsre hiesigen Jungens zu dumm, und wenn sie dreimal das Examen machen, Leopold auch, lind dazu soll ich gratuliren? Danke gehorsamst! Schuster, bleib bei deinem Leisteli. Guten Morgen, meine Herren! Der Kupferschmied traut schnell sein Glas aus, griff nach seiner Mütze »ud ging fort. Der alte Kanzlist war vor Wild aufgesprungen, und Leopold saß zn- snmmeugekauert da wie ein Sünder und wagte nicht, die Angen aufzuschlagen. Aber Hickelbein lachte, zog den zitternden Alten wieder ans den Stuhl und s"gte: Das ist alles blasser Neid, lieber Kollege. Weil seine Jungens Tange- "ichtse geworden sind, so schimpft er muss Gymnasium und muss Studium. Leopold wird ihnen schon zeigen, was Blanbeerwasser ist. Trinken wir ein- u>"l aus auf sei» Wohl, der hats Portefeuille in der Tasche! Kümmerlichs Entrüstung legte sich denn mich bald wieder vor dem stolzen Gefühle, seinen Sohn ans der erstell Stufe zur höhern Staatsbeamtenlanfbahu Greiizboteii II I8N! >7

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/139>, abgerufen am 23.07.2024.