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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr.

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Leopold Kümmerlich

Na, was soll er denn werden? fragte Hickelbein geheimnisvoll und beugte
sich über den Tisch. Philologe, was?

Ums Himmels willen! rief Kümmerlich mit einer abwehrenden Hand¬
bewegung. Haben Sie nicht gestern gehört, wie der Oberlehrer Pfeiffer drüben
in der blauen Stube zu den andern Herren sagte, er würde seinen Jungen
lieber totschlagen, als ihn Philologie studiren lassen? Nein, mein Bester, zum
Philologen ist mir Leopold zu schade! Na, und überhaupt, was nehmen denn
diese Leute für eine Stellung ein! Nein, der Bengel muß was ordentliches
werden, höher hinauf, lieber Kollege, höher hinauf!

Also wohl Mediziner? fragte Hickelbein weiter.

Auch das nicht, sagte Kümmerlich mit etwas oerüchtlichem Gesichts-
ausdruck. Mediziner ist auch el" fauler Beruf geworden. Sehen Sie mal,
wie sich in unserm Städtchen die jungen Arzte die kranken Kunden abjagen,
wie sie in der Zeitung Reklame machen, wenn sie einem alten Weibe den
Tattrich abgedoktert haben. Vorgesetzter kann so ein gewöhnlicher Arzt über¬
haupt nicht werden, und sehen Sie, lieber Kollege, nur darauf kommt es
im Leben an. Da heißt es: wer ist Hammer, und wer ist Amboß? Ich bin
in meinem Leben nie Vorgesetzter gewesen, immer nur Amboß, Amboß bis
zum sechzigsten Jahre. Das soll mit Leopold einmal anders werben.

Na, dann lassen Sie ihn Pastor studiren. Theologie ist heutzutage nicht
übel! Auf Rügen soll es Pfarren geben, die einen Ministergehalt abwerfen.
Und diese Stipendien, diese klotzigen Stipendien! Und was fehlt solch einem
Landpfarrer? Die ganze Kammer voll Schinken und Würste, die größten
Kartoffeln im Keller und den besten Wein im Schranke. Alle Sonntage macht
er einmal den Mund auf, und dann hat er wieder eine Woche Ruhe -- ein
Miterleben!

Der alte Kanzlist bewegte den Kopf hin und her und sagte: Hickelbeiu,
Sie übertreiben! Im Grunde bringen es die Leute auch nicht zu einer ge¬
bietenden Stellung. Für sie alle gilt der Bibelspruch: Auf deinem Bauche
sollst du gehen und Erde essen dein Leben lang - wenigstens dem Juristen
gegenüber. Nun sehen Sie sich einmal den Juristen an! Wie ein Adler steigt
der empor. Der Philologe, der Mediziner, der Theologe, sie kommen alle
nicht aus den Berg, so sehr sie sich auch abauüleu. Sie breche" alle früher
oder später im Gletschereise el" und sitzen dann in irgend einer traurigen
Spalte. Der Jurist fliegt nur so in die Höhe! Und ist er erst oben, dann
hat er sie alle an der Strippe und läßt sie nach seiner Pfeife tanzen. Er
ist der Herr, und sie sind die Knechte, denn vor dein Juristen ist alles andre
subaltern. Der Jurist schöpft überall mit souveräner Selbstverständlichkeit die
Sahne ab, den andern bleibt nur die dünne Milch übrig. Es ist ganz gleich-
giltig, ob es sich um die Kirche oder um die Schule, um wissenschaftliche oder
Kunstinstitnte, um Hoch- oder Tiefbau, um die Börse, die Landwirtschaft oder


Leopold Kümmerlich

Na, was soll er denn werden? fragte Hickelbein geheimnisvoll und beugte
sich über den Tisch. Philologe, was?

Ums Himmels willen! rief Kümmerlich mit einer abwehrenden Hand¬
bewegung. Haben Sie nicht gestern gehört, wie der Oberlehrer Pfeiffer drüben
in der blauen Stube zu den andern Herren sagte, er würde seinen Jungen
lieber totschlagen, als ihn Philologie studiren lassen? Nein, mein Bester, zum
Philologen ist mir Leopold zu schade! Na, und überhaupt, was nehmen denn
diese Leute für eine Stellung ein! Nein, der Bengel muß was ordentliches
werden, höher hinauf, lieber Kollege, höher hinauf!

Also wohl Mediziner? fragte Hickelbein weiter.

Auch das nicht, sagte Kümmerlich mit etwas oerüchtlichem Gesichts-
ausdruck. Mediziner ist auch el» fauler Beruf geworden. Sehen Sie mal,
wie sich in unserm Städtchen die jungen Arzte die kranken Kunden abjagen,
wie sie in der Zeitung Reklame machen, wenn sie einem alten Weibe den
Tattrich abgedoktert haben. Vorgesetzter kann so ein gewöhnlicher Arzt über¬
haupt nicht werden, und sehen Sie, lieber Kollege, nur darauf kommt es
im Leben an. Da heißt es: wer ist Hammer, und wer ist Amboß? Ich bin
in meinem Leben nie Vorgesetzter gewesen, immer nur Amboß, Amboß bis
zum sechzigsten Jahre. Das soll mit Leopold einmal anders werben.

Na, dann lassen Sie ihn Pastor studiren. Theologie ist heutzutage nicht
übel! Auf Rügen soll es Pfarren geben, die einen Ministergehalt abwerfen.
Und diese Stipendien, diese klotzigen Stipendien! Und was fehlt solch einem
Landpfarrer? Die ganze Kammer voll Schinken und Würste, die größten
Kartoffeln im Keller und den besten Wein im Schranke. Alle Sonntage macht
er einmal den Mund auf, und dann hat er wieder eine Woche Ruhe — ein
Miterleben!

Der alte Kanzlist bewegte den Kopf hin und her und sagte: Hickelbeiu,
Sie übertreiben! Im Grunde bringen es die Leute auch nicht zu einer ge¬
bietenden Stellung. Für sie alle gilt der Bibelspruch: Auf deinem Bauche
sollst du gehen und Erde essen dein Leben lang - wenigstens dem Juristen
gegenüber. Nun sehen Sie sich einmal den Juristen an! Wie ein Adler steigt
der empor. Der Philologe, der Mediziner, der Theologe, sie kommen alle
nicht aus den Berg, so sehr sie sich auch abauüleu. Sie breche» alle früher
oder später im Gletschereise el» und sitzen dann in irgend einer traurigen
Spalte. Der Jurist fliegt nur so in die Höhe! Und ist er erst oben, dann
hat er sie alle an der Strippe und läßt sie nach seiner Pfeife tanzen. Er
ist der Herr, und sie sind die Knechte, denn vor dein Juristen ist alles andre
subaltern. Der Jurist schöpft überall mit souveräner Selbstverständlichkeit die
Sahne ab, den andern bleibt nur die dünne Milch übrig. Es ist ganz gleich-
giltig, ob es sich um die Kirche oder um die Schule, um wissenschaftliche oder
Kunstinstitnte, um Hoch- oder Tiefbau, um die Börse, die Landwirtschaft oder


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[0136] Leopold Kümmerlich Na, was soll er denn werden? fragte Hickelbein geheimnisvoll und beugte sich über den Tisch. Philologe, was? Ums Himmels willen! rief Kümmerlich mit einer abwehrenden Hand¬ bewegung. Haben Sie nicht gestern gehört, wie der Oberlehrer Pfeiffer drüben in der blauen Stube zu den andern Herren sagte, er würde seinen Jungen lieber totschlagen, als ihn Philologie studiren lassen? Nein, mein Bester, zum Philologen ist mir Leopold zu schade! Na, und überhaupt, was nehmen denn diese Leute für eine Stellung ein! Nein, der Bengel muß was ordentliches werden, höher hinauf, lieber Kollege, höher hinauf! Also wohl Mediziner? fragte Hickelbein weiter. Auch das nicht, sagte Kümmerlich mit etwas oerüchtlichem Gesichts- ausdruck. Mediziner ist auch el» fauler Beruf geworden. Sehen Sie mal, wie sich in unserm Städtchen die jungen Arzte die kranken Kunden abjagen, wie sie in der Zeitung Reklame machen, wenn sie einem alten Weibe den Tattrich abgedoktert haben. Vorgesetzter kann so ein gewöhnlicher Arzt über¬ haupt nicht werden, und sehen Sie, lieber Kollege, nur darauf kommt es im Leben an. Da heißt es: wer ist Hammer, und wer ist Amboß? Ich bin in meinem Leben nie Vorgesetzter gewesen, immer nur Amboß, Amboß bis zum sechzigsten Jahre. Das soll mit Leopold einmal anders werben. Na, dann lassen Sie ihn Pastor studiren. Theologie ist heutzutage nicht übel! Auf Rügen soll es Pfarren geben, die einen Ministergehalt abwerfen. Und diese Stipendien, diese klotzigen Stipendien! Und was fehlt solch einem Landpfarrer? Die ganze Kammer voll Schinken und Würste, die größten Kartoffeln im Keller und den besten Wein im Schranke. Alle Sonntage macht er einmal den Mund auf, und dann hat er wieder eine Woche Ruhe — ein Miterleben! Der alte Kanzlist bewegte den Kopf hin und her und sagte: Hickelbeiu, Sie übertreiben! Im Grunde bringen es die Leute auch nicht zu einer ge¬ bietenden Stellung. Für sie alle gilt der Bibelspruch: Auf deinem Bauche sollst du gehen und Erde essen dein Leben lang - wenigstens dem Juristen gegenüber. Nun sehen Sie sich einmal den Juristen an! Wie ein Adler steigt der empor. Der Philologe, der Mediziner, der Theologe, sie kommen alle nicht aus den Berg, so sehr sie sich auch abauüleu. Sie breche» alle früher oder später im Gletschereise el» und sitzen dann in irgend einer traurigen Spalte. Der Jurist fliegt nur so in die Höhe! Und ist er erst oben, dann hat er sie alle an der Strippe und läßt sie nach seiner Pfeife tanzen. Er ist der Herr, und sie sind die Knechte, denn vor dein Juristen ist alles andre subaltern. Der Jurist schöpft überall mit souveräner Selbstverständlichkeit die Sahne ab, den andern bleibt nur die dünne Milch übrig. Es ist ganz gleich- giltig, ob es sich um die Kirche oder um die Schule, um wissenschaftliche oder Kunstinstitnte, um Hoch- oder Tiefbau, um die Börse, die Landwirtschaft oder

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_214455/136>, abgerufen am 03.07.2024.