Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Zweites Vierteljahr."ja" beantworte" zu können, und^wollen den Versuch macheu, einige davon Das nächste und wichtigste, was zur Bekämpfung der Sozialdemokratie So paradox das klingen mag, so wahr ist es doch. Man prüfe unsre „ja" beantworte» zu können, und^wollen den Versuch macheu, einige davon Das nächste und wichtigste, was zur Bekämpfung der Sozialdemokratie So paradox das klingen mag, so wahr ist es doch. Man prüfe unsre <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0113" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/214569"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_424" prev="#ID_423"> „ja" beantworte» zu können, und^wollen den Versuch macheu, einige davon<lb/> der öffentlichen Besprechung zu unterbreiten.</p><lb/> <p xml:id="ID_425"> Das nächste und wichtigste, was zur Bekämpfung der Sozialdemokratie<lb/> geschehen truü und muß, ist jedenfalls das, daß die künstliche Züchtung von<lb/> Sozialdemokratin« von den Regierungen endgiltig aufgegeben wird. Wir er¬<lb/> dreisten uns nämlich, die Behauptung aufzustellen und nötigenfalls zu be¬<lb/> weisen, daß die gesamte Wirtschaftspolitik der deutschen Regierungen, besonders<lb/> Preußens, von 1848 bis hente im wesentlichen die Züchtung der Sozial¬<lb/> demokratie <z» Zros zur Folge gehabt hat. Wir erinnern uns, einmal in einer<lb/> Todesanzeige gelesen zu haben: „Er starb an Lnngeiientznndung unter hinzu¬<lb/> getretener ärztlicher Behandlung." Mit noch größerm Rechte könnte Herr<lb/> Bebel folgende Geburtsanzeige veröffentlichen: „Unter freundlicher Mitwirkung<lb/> sämtlicher Regierungen des deutschen Reiches, sowie der hohen Reichsregierung<lb/> ist uns ein gesundes, kräftiges Töchterchen geboren worden, dem wir den<lb/> Namen Sozialdemokratie gegeben haben."</p><lb/> <p xml:id="ID_426" next="#ID_427"> So paradox das klingen mag, so wahr ist es doch. Man prüfe unsre<lb/> Gewerbegesetzgcbung, unsre Zollpolitik, unsre Eisenbahntarife, unsre politische<lb/> Gesetzgebung, unsre Armengesetzgebung, unsre Steuergesetzgebung, und man<lb/> wird finden, daß sie alle wie von einem roten Faden vou dem Gedanken durch¬<lb/> zogen sind, den um treffendsten Graf Caprivi ausgedrückt hat, als er die<lb/> Industrie die „Nährmutter" der Nation nannte. Die gesamte innere Gesetz¬<lb/> gebung beruht aus diesem Gedanke». Sie beruht auf der falschen Vorstellung,<lb/> daß Glück, Wohlergehen, Reichtum und Fortschritt der Nation von der massen¬<lb/> haften Erzeugung und Vertauschung industrieller Produkte abhingen. Dieser<lb/> Wahnvorstellung ist unser blühender Handwerker- und Mittelstand und die<lb/> gesamte deutsche Landwirtschaft zum Opfer gefallen. Das Ergebnis war die<lb/> Schaffung einiger Dutzend neuer Babhlvns, Entvölkerung und Verarmung<lb/> des Landes, Erniedrigung des freien Arbeiterstandes zu einem Haufen heimat-<lb/> uud familienloser Jndnstriesklaven, Anhäufung dieser Sklaven in den Gro߬<lb/> städten sechs- und achtfach über einander, Züchtung einiger hundert Krösnsfe,<lb/> Zerrüttung des gesamten Wirtschaftslebens, ein endloser Tanz um das goldne<lb/> Kalb mit seinem Wechsel von maßlosem Luxus und entsetzlichem Elend, kurz,<lb/> die vollendete Anarchie in Wirtschaft, Familie und Staat. Zum Schluß<lb/> uvlleudete man dieses Zerstörungswerk, indem man den heimatlos gewordnen<lb/> Massen das allgemeine Stimmrecht verlieh und ihnen dadurch zum Bewußtsein<lb/> ihres Elends und ihrer Macht verhalf. Das ist die Situation, vor der wir<lb/> stehen, und die der kurzsichtigen Anbetung der Caprivischen „Nährmutter" ihre<lb/> Entstehung verdankt. Ohne diese künstlich geschaffne Anhäufung von Millionen<lb/> besitzloser, heimatloser, familienloser Arbeitssklaven wäre die Entstehung der<lb/> Sozialdemokratie, die uns jetzt bedroht, ganz unmöglich gewesen. Wer sie<lb/> bekämpfen will, muß also seine Geschosse vor allen Dingen gegen die in allen</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0113]
„ja" beantworte» zu können, und^wollen den Versuch macheu, einige davon
der öffentlichen Besprechung zu unterbreiten.
Das nächste und wichtigste, was zur Bekämpfung der Sozialdemokratie
geschehen truü und muß, ist jedenfalls das, daß die künstliche Züchtung von
Sozialdemokratin« von den Regierungen endgiltig aufgegeben wird. Wir er¬
dreisten uns nämlich, die Behauptung aufzustellen und nötigenfalls zu be¬
weisen, daß die gesamte Wirtschaftspolitik der deutschen Regierungen, besonders
Preußens, von 1848 bis hente im wesentlichen die Züchtung der Sozial¬
demokratie <z» Zros zur Folge gehabt hat. Wir erinnern uns, einmal in einer
Todesanzeige gelesen zu haben: „Er starb an Lnngeiientznndung unter hinzu¬
getretener ärztlicher Behandlung." Mit noch größerm Rechte könnte Herr
Bebel folgende Geburtsanzeige veröffentlichen: „Unter freundlicher Mitwirkung
sämtlicher Regierungen des deutschen Reiches, sowie der hohen Reichsregierung
ist uns ein gesundes, kräftiges Töchterchen geboren worden, dem wir den
Namen Sozialdemokratie gegeben haben."
So paradox das klingen mag, so wahr ist es doch. Man prüfe unsre
Gewerbegesetzgcbung, unsre Zollpolitik, unsre Eisenbahntarife, unsre politische
Gesetzgebung, unsre Armengesetzgebung, unsre Steuergesetzgebung, und man
wird finden, daß sie alle wie von einem roten Faden vou dem Gedanken durch¬
zogen sind, den um treffendsten Graf Caprivi ausgedrückt hat, als er die
Industrie die „Nährmutter" der Nation nannte. Die gesamte innere Gesetz¬
gebung beruht aus diesem Gedanke». Sie beruht auf der falschen Vorstellung,
daß Glück, Wohlergehen, Reichtum und Fortschritt der Nation von der massen¬
haften Erzeugung und Vertauschung industrieller Produkte abhingen. Dieser
Wahnvorstellung ist unser blühender Handwerker- und Mittelstand und die
gesamte deutsche Landwirtschaft zum Opfer gefallen. Das Ergebnis war die
Schaffung einiger Dutzend neuer Babhlvns, Entvölkerung und Verarmung
des Landes, Erniedrigung des freien Arbeiterstandes zu einem Haufen heimat-
uud familienloser Jndnstriesklaven, Anhäufung dieser Sklaven in den Gro߬
städten sechs- und achtfach über einander, Züchtung einiger hundert Krösnsfe,
Zerrüttung des gesamten Wirtschaftslebens, ein endloser Tanz um das goldne
Kalb mit seinem Wechsel von maßlosem Luxus und entsetzlichem Elend, kurz,
die vollendete Anarchie in Wirtschaft, Familie und Staat. Zum Schluß
uvlleudete man dieses Zerstörungswerk, indem man den heimatlos gewordnen
Massen das allgemeine Stimmrecht verlieh und ihnen dadurch zum Bewußtsein
ihres Elends und ihrer Macht verhalf. Das ist die Situation, vor der wir
stehen, und die der kurzsichtigen Anbetung der Caprivischen „Nährmutter" ihre
Entstehung verdankt. Ohne diese künstlich geschaffne Anhäufung von Millionen
besitzloser, heimatloser, familienloser Arbeitssklaven wäre die Entstehung der
Sozialdemokratie, die uns jetzt bedroht, ganz unmöglich gewesen. Wer sie
bekämpfen will, muß also seine Geschosse vor allen Dingen gegen die in allen
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