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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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entschieden worden. In einem (wiederum höchst weitschweifig begründeten)
Urteile spricht das Landgericht aus, daß allerdings in dem Verfahren des
Börsenvorstands, objektiv betrachtet, eine unerlaubte, an sich rechtswidrige
Handlung liege. Aber -- den Verklagten habe das Bewußtsein der Wider¬
rechtlichkeit gefehlt, und deshalb seien sie freizusprechen.

Diese Entscheidung kommt dadurch zu einem richtigen Ergebnis, daß sie
dem Fehler des Reichsgerichts einen zweiten Fehler hinzufügt. Wäre wirklich
das Verfahren des Börsenvorstands objektiv rechtswidrig, so würde ihn sein
subjektiver guter Glaube von der Haftbarkeit nicht befreien können. Allerdings
kann ein thatsächlicher Irrtum die Haftbarkeit für eine Schädigung fremden
Rechtes ausschließen. Wenn jemand eine in seinem Besitze befindliche fremde
Sache, die er für sein Eigentum hält, mutwillig zerstört, so kann nicht nachher
der Eigentümer kommen und sagen: Dn hust meine Sache zerstört; folglich
mußt du mir Ersatz leisten. Der Zerstörer ist frei, weil er geglaubt hat,
die Sache sei seine eigne. Denken wir uns nun aber folgenden Fall: Jemand
schlüge einem andern die Fenster ein und sagte dann zu seiner Entschuldigung,
der andre habe ihn beleidigt, und deshalb habe er geglaubt, ihm die Feuster
einschlagen zu dürfen. Würde er damit durchkommen? Nein! Auch wenn
er deu bündigsten Beweis führte, daß er das wirklich geglaubt habe,
würde er die Fenster bezahlen müssen. Das kann auch nicht anders ent¬
schieden werden , mag nun gemeines, preußisches oder sächsisches Recht zur
Anwendung kommen. Es liegt in der ewigen Natur der Dinge. Ganz mit
Recht hat deshalb anch das Reichsgericht in seinem Urteile die Frage des
subjektiven Verschuldens völlig außer Acht gelassen. Gern aber nehme ich zu
Ehren des Landgerichts an, daß seine Entscheidung in ihrem letzten Grunde
ans dem natürlichen Rechtsgefühl beruhte, daß es ihm unmöglich erschien, Ehren¬
männer -- diesen Ausdruck gebraucht das Urteil -- wegen einer in ihrem
Berufe ausgeübten Thätigkeit zu verurteilen.

Nun kam die Sache an das Oberlaudesgericht in Dresden. Auch dieses
stellt in seinem Urteil die Doppelfrage: War die Maßregel an sich rechtswidrig,
und traf die Verklagten dabei ein Verschulden? Zu der ersten Frage sagt das
Urteil, daß die Rechtswidrigst "erheblichen Zweifeln unterliege," und daran
knüpft es eine Ausführung, die ans eine Widerlegung der Gründe des Reichs¬
gerichts hinausläuft. Dann aber sagt das Gericht, es komme auf diese Frage
nicht an, wenn es an einem Verschulden der Verklagten fehle; und diese An¬
nahme begründet es mit Bestimmungen des sächsischen Gesetzbuchs. Überein¬
stimmend mit de", Landgericht verneint es dann ein solches Verschulden und
bestätigt darnach die Entscheidung der Vvrinstauz. Auch dieses Urteil ist juristisch
nicht ganz korrekt; aber es ist menschlich sehr wohl zu verstehen. Offenbar
war das Gericht der Ansicht, daß in dem Handel" der Verklagten eine Wider-
rechttichkeit nicht enthalten sei. Geht man hiervon aus, so kann mau ja auch


entschieden worden. In einem (wiederum höchst weitschweifig begründeten)
Urteile spricht das Landgericht aus, daß allerdings in dem Verfahren des
Börsenvorstands, objektiv betrachtet, eine unerlaubte, an sich rechtswidrige
Handlung liege. Aber — den Verklagten habe das Bewußtsein der Wider¬
rechtlichkeit gefehlt, und deshalb seien sie freizusprechen.

Diese Entscheidung kommt dadurch zu einem richtigen Ergebnis, daß sie
dem Fehler des Reichsgerichts einen zweiten Fehler hinzufügt. Wäre wirklich
das Verfahren des Börsenvorstands objektiv rechtswidrig, so würde ihn sein
subjektiver guter Glaube von der Haftbarkeit nicht befreien können. Allerdings
kann ein thatsächlicher Irrtum die Haftbarkeit für eine Schädigung fremden
Rechtes ausschließen. Wenn jemand eine in seinem Besitze befindliche fremde
Sache, die er für sein Eigentum hält, mutwillig zerstört, so kann nicht nachher
der Eigentümer kommen und sagen: Dn hust meine Sache zerstört; folglich
mußt du mir Ersatz leisten. Der Zerstörer ist frei, weil er geglaubt hat,
die Sache sei seine eigne. Denken wir uns nun aber folgenden Fall: Jemand
schlüge einem andern die Fenster ein und sagte dann zu seiner Entschuldigung,
der andre habe ihn beleidigt, und deshalb habe er geglaubt, ihm die Feuster
einschlagen zu dürfen. Würde er damit durchkommen? Nein! Auch wenn
er deu bündigsten Beweis führte, daß er das wirklich geglaubt habe,
würde er die Fenster bezahlen müssen. Das kann auch nicht anders ent¬
schieden werden , mag nun gemeines, preußisches oder sächsisches Recht zur
Anwendung kommen. Es liegt in der ewigen Natur der Dinge. Ganz mit
Recht hat deshalb anch das Reichsgericht in seinem Urteile die Frage des
subjektiven Verschuldens völlig außer Acht gelassen. Gern aber nehme ich zu
Ehren des Landgerichts an, daß seine Entscheidung in ihrem letzten Grunde
ans dem natürlichen Rechtsgefühl beruhte, daß es ihm unmöglich erschien, Ehren¬
männer — diesen Ausdruck gebraucht das Urteil — wegen einer in ihrem
Berufe ausgeübten Thätigkeit zu verurteilen.

Nun kam die Sache an das Oberlaudesgericht in Dresden. Auch dieses
stellt in seinem Urteil die Doppelfrage: War die Maßregel an sich rechtswidrig,
und traf die Verklagten dabei ein Verschulden? Zu der ersten Frage sagt das
Urteil, daß die Rechtswidrigst „erheblichen Zweifeln unterliege," und daran
knüpft es eine Ausführung, die ans eine Widerlegung der Gründe des Reichs¬
gerichts hinausläuft. Dann aber sagt das Gericht, es komme auf diese Frage
nicht an, wenn es an einem Verschulden der Verklagten fehle; und diese An¬
nahme begründet es mit Bestimmungen des sächsischen Gesetzbuchs. Überein¬
stimmend mit de», Landgericht verneint es dann ein solches Verschulden und
bestätigt darnach die Entscheidung der Vvrinstauz. Auch dieses Urteil ist juristisch
nicht ganz korrekt; aber es ist menschlich sehr wohl zu verstehen. Offenbar
war das Gericht der Ansicht, daß in dem Handel» der Verklagten eine Wider-
rechttichkeit nicht enthalten sei. Geht man hiervon aus, so kann mau ja auch


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[0649] entschieden worden. In einem (wiederum höchst weitschweifig begründeten) Urteile spricht das Landgericht aus, daß allerdings in dem Verfahren des Börsenvorstands, objektiv betrachtet, eine unerlaubte, an sich rechtswidrige Handlung liege. Aber — den Verklagten habe das Bewußtsein der Wider¬ rechtlichkeit gefehlt, und deshalb seien sie freizusprechen. Diese Entscheidung kommt dadurch zu einem richtigen Ergebnis, daß sie dem Fehler des Reichsgerichts einen zweiten Fehler hinzufügt. Wäre wirklich das Verfahren des Börsenvorstands objektiv rechtswidrig, so würde ihn sein subjektiver guter Glaube von der Haftbarkeit nicht befreien können. Allerdings kann ein thatsächlicher Irrtum die Haftbarkeit für eine Schädigung fremden Rechtes ausschließen. Wenn jemand eine in seinem Besitze befindliche fremde Sache, die er für sein Eigentum hält, mutwillig zerstört, so kann nicht nachher der Eigentümer kommen und sagen: Dn hust meine Sache zerstört; folglich mußt du mir Ersatz leisten. Der Zerstörer ist frei, weil er geglaubt hat, die Sache sei seine eigne. Denken wir uns nun aber folgenden Fall: Jemand schlüge einem andern die Fenster ein und sagte dann zu seiner Entschuldigung, der andre habe ihn beleidigt, und deshalb habe er geglaubt, ihm die Feuster einschlagen zu dürfen. Würde er damit durchkommen? Nein! Auch wenn er deu bündigsten Beweis führte, daß er das wirklich geglaubt habe, würde er die Fenster bezahlen müssen. Das kann auch nicht anders ent¬ schieden werden , mag nun gemeines, preußisches oder sächsisches Recht zur Anwendung kommen. Es liegt in der ewigen Natur der Dinge. Ganz mit Recht hat deshalb anch das Reichsgericht in seinem Urteile die Frage des subjektiven Verschuldens völlig außer Acht gelassen. Gern aber nehme ich zu Ehren des Landgerichts an, daß seine Entscheidung in ihrem letzten Grunde ans dem natürlichen Rechtsgefühl beruhte, daß es ihm unmöglich erschien, Ehren¬ männer — diesen Ausdruck gebraucht das Urteil — wegen einer in ihrem Berufe ausgeübten Thätigkeit zu verurteilen. Nun kam die Sache an das Oberlaudesgericht in Dresden. Auch dieses stellt in seinem Urteil die Doppelfrage: War die Maßregel an sich rechtswidrig, und traf die Verklagten dabei ein Verschulden? Zu der ersten Frage sagt das Urteil, daß die Rechtswidrigst „erheblichen Zweifeln unterliege," und daran knüpft es eine Ausführung, die ans eine Widerlegung der Gründe des Reichs¬ gerichts hinausläuft. Dann aber sagt das Gericht, es komme auf diese Frage nicht an, wenn es an einem Verschulden der Verklagten fehle; und diese An¬ nahme begründet es mit Bestimmungen des sächsischen Gesetzbuchs. Überein¬ stimmend mit de», Landgericht verneint es dann ein solches Verschulden und bestätigt darnach die Entscheidung der Vvrinstauz. Auch dieses Urteil ist juristisch nicht ganz korrekt; aber es ist menschlich sehr wohl zu verstehen. Offenbar war das Gericht der Ansicht, daß in dem Handel» der Verklagten eine Wider- rechttichkeit nicht enthalten sei. Geht man hiervon aus, so kann mau ja auch

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/649>, abgerufen am 01.09.2024.