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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Laiengedcinken über die Steuerreforin in Preußen

Der Finanzminister ist stolz auf die Millionen, die seine Einkommensteuer
aus den Taschen der Wohlhabenden hat springen lassen. Der Nile in Friedrichs-
ruh hätte das auch thun können; gescheit genug ist er dazu. Es hat sogar
eine Zeit gegeben, wo ihn drei Viertel der Deutschen für weise hielten. Er
hat es merkwürdigerweise nicht gethan. Warum nicht? Es lohnt, die Frage
zu beantworten.

Gewiß, Bismarck hat den Besitz außerordentlich geschont. So auffallend,
daß die Nachfolger im Regiment das Steuer umlegen mußten; die Not zwang
dazu. Der alte Kurs mit den überhohen Zöllen führte die Arbeiter in die
Arme der Sozialdemokratie. Den Gegenwert der sozialen Gesetze haben die
wissenden Arbeiter als ein Linsengericht beiseite geschoben, und die unwissenden
haben ihn nicht verstanden.

Der neue Kurs züchtet die Unzufriednen aus den Besitzenden. Und das
ist schlimm für ihn und den Staat. Der sozialistische Staat verliert seine
Schrecken, wenn man sieht, was der monarchische kann.

Man mißverstehe mich uicht. Der Staat steht nicht auf i>en mißver¬
gnügten Leuten, die unter der alten Einkommensteuer Hunderte und Tausende
unter ihrem Vermögen steuerten, oder ans denen, die jetzt erst schreien, wo
das Verheimlichen wirklich schwer und gefährlich wird. Diese Jammermünner
bilden kein Staatsfundament. Aber sie sind glücklicherweise in der Minderheit.
Der Hauptstamm, der Mittel- und Kleinbesitz, war und ist uoch ehrlich gegen
den Staat. Und an diesem guten Stamm nörgelt der Staat unverantwortlich
herum.

Wenn der Cigarrenarbeiter die Fabrik verläßt, durchsucht ihm ein Auf¬
seher die Taschen, ob er Tabak entwendet hat. In die Rolle dieses Arbeiters
drückt das Ergänzungssteuergesetz die Bürger herab. Und was hat der Klein-
kaufmanu, der Handwerker, der Bauer, der von der Hand in den Mund lebt,
groß zu verberge"? Die Leute werden unnötig beunruhigt und gequält.

Man kennt oben den Mißmut, den das Klebegesetz in allen .Kreisen er¬
regt, aber man überhört ihn und züchtet weiter Mißvergnügte, bis die Reichs¬
tagswahl mit brutalen Ziffern sprechen wird.

Triumphireud rechnet der Finanzminister die Milliarden vor, die er aus
der Selbsteinschätzung und allerhand Katastern als Vermögen der preußischen
Steuerzahler ermittelt hat. Uns schwindelt vor den elsstelligen Zahlen. Der
Finanzminister will beweisen, daß seine Ergänzungssteuer sicher 35 Millionen
bringen wird. Sie wird viel mehr bringen. Das Staatsdefizit ist dadurch
für einige Jahre beseitigt, aber wein füllt der eigentliche Nutzen zu? Dem
lachenden Dritten, der Sozialdemokratie.

Der Alte in Friedrichsruh hätte solche Zahlen nicht veröffentlicht. Er
Hütte dem Sozialismus diese furchtbare Waffe nicht in die Hand gegeben.
Wie? Hundert oder hundertundfunfzig Milliarden Vermögen in Preußen, und


Laiengedcinken über die Steuerreforin in Preußen

Der Finanzminister ist stolz auf die Millionen, die seine Einkommensteuer
aus den Taschen der Wohlhabenden hat springen lassen. Der Nile in Friedrichs-
ruh hätte das auch thun können; gescheit genug ist er dazu. Es hat sogar
eine Zeit gegeben, wo ihn drei Viertel der Deutschen für weise hielten. Er
hat es merkwürdigerweise nicht gethan. Warum nicht? Es lohnt, die Frage
zu beantworten.

Gewiß, Bismarck hat den Besitz außerordentlich geschont. So auffallend,
daß die Nachfolger im Regiment das Steuer umlegen mußten; die Not zwang
dazu. Der alte Kurs mit den überhohen Zöllen führte die Arbeiter in die
Arme der Sozialdemokratie. Den Gegenwert der sozialen Gesetze haben die
wissenden Arbeiter als ein Linsengericht beiseite geschoben, und die unwissenden
haben ihn nicht verstanden.

Der neue Kurs züchtet die Unzufriednen aus den Besitzenden. Und das
ist schlimm für ihn und den Staat. Der sozialistische Staat verliert seine
Schrecken, wenn man sieht, was der monarchische kann.

Man mißverstehe mich uicht. Der Staat steht nicht auf i>en mißver¬
gnügten Leuten, die unter der alten Einkommensteuer Hunderte und Tausende
unter ihrem Vermögen steuerten, oder ans denen, die jetzt erst schreien, wo
das Verheimlichen wirklich schwer und gefährlich wird. Diese Jammermünner
bilden kein Staatsfundament. Aber sie sind glücklicherweise in der Minderheit.
Der Hauptstamm, der Mittel- und Kleinbesitz, war und ist uoch ehrlich gegen
den Staat. Und an diesem guten Stamm nörgelt der Staat unverantwortlich
herum.

Wenn der Cigarrenarbeiter die Fabrik verläßt, durchsucht ihm ein Auf¬
seher die Taschen, ob er Tabak entwendet hat. In die Rolle dieses Arbeiters
drückt das Ergänzungssteuergesetz die Bürger herab. Und was hat der Klein-
kaufmanu, der Handwerker, der Bauer, der von der Hand in den Mund lebt,
groß zu verberge»? Die Leute werden unnötig beunruhigt und gequält.

Man kennt oben den Mißmut, den das Klebegesetz in allen .Kreisen er¬
regt, aber man überhört ihn und züchtet weiter Mißvergnügte, bis die Reichs¬
tagswahl mit brutalen Ziffern sprechen wird.

Triumphireud rechnet der Finanzminister die Milliarden vor, die er aus
der Selbsteinschätzung und allerhand Katastern als Vermögen der preußischen
Steuerzahler ermittelt hat. Uns schwindelt vor den elsstelligen Zahlen. Der
Finanzminister will beweisen, daß seine Ergänzungssteuer sicher 35 Millionen
bringen wird. Sie wird viel mehr bringen. Das Staatsdefizit ist dadurch
für einige Jahre beseitigt, aber wein füllt der eigentliche Nutzen zu? Dem
lachenden Dritten, der Sozialdemokratie.

Der Alte in Friedrichsruh hätte solche Zahlen nicht veröffentlicht. Er
Hütte dem Sozialismus diese furchtbare Waffe nicht in die Hand gegeben.
Wie? Hundert oder hundertundfunfzig Milliarden Vermögen in Preußen, und


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[0612] Laiengedcinken über die Steuerreforin in Preußen Der Finanzminister ist stolz auf die Millionen, die seine Einkommensteuer aus den Taschen der Wohlhabenden hat springen lassen. Der Nile in Friedrichs- ruh hätte das auch thun können; gescheit genug ist er dazu. Es hat sogar eine Zeit gegeben, wo ihn drei Viertel der Deutschen für weise hielten. Er hat es merkwürdigerweise nicht gethan. Warum nicht? Es lohnt, die Frage zu beantworten. Gewiß, Bismarck hat den Besitz außerordentlich geschont. So auffallend, daß die Nachfolger im Regiment das Steuer umlegen mußten; die Not zwang dazu. Der alte Kurs mit den überhohen Zöllen führte die Arbeiter in die Arme der Sozialdemokratie. Den Gegenwert der sozialen Gesetze haben die wissenden Arbeiter als ein Linsengericht beiseite geschoben, und die unwissenden haben ihn nicht verstanden. Der neue Kurs züchtet die Unzufriednen aus den Besitzenden. Und das ist schlimm für ihn und den Staat. Der sozialistische Staat verliert seine Schrecken, wenn man sieht, was der monarchische kann. Man mißverstehe mich uicht. Der Staat steht nicht auf i>en mißver¬ gnügten Leuten, die unter der alten Einkommensteuer Hunderte und Tausende unter ihrem Vermögen steuerten, oder ans denen, die jetzt erst schreien, wo das Verheimlichen wirklich schwer und gefährlich wird. Diese Jammermünner bilden kein Staatsfundament. Aber sie sind glücklicherweise in der Minderheit. Der Hauptstamm, der Mittel- und Kleinbesitz, war und ist uoch ehrlich gegen den Staat. Und an diesem guten Stamm nörgelt der Staat unverantwortlich herum. Wenn der Cigarrenarbeiter die Fabrik verläßt, durchsucht ihm ein Auf¬ seher die Taschen, ob er Tabak entwendet hat. In die Rolle dieses Arbeiters drückt das Ergänzungssteuergesetz die Bürger herab. Und was hat der Klein- kaufmanu, der Handwerker, der Bauer, der von der Hand in den Mund lebt, groß zu verberge»? Die Leute werden unnötig beunruhigt und gequält. Man kennt oben den Mißmut, den das Klebegesetz in allen .Kreisen er¬ regt, aber man überhört ihn und züchtet weiter Mißvergnügte, bis die Reichs¬ tagswahl mit brutalen Ziffern sprechen wird. Triumphireud rechnet der Finanzminister die Milliarden vor, die er aus der Selbsteinschätzung und allerhand Katastern als Vermögen der preußischen Steuerzahler ermittelt hat. Uns schwindelt vor den elsstelligen Zahlen. Der Finanzminister will beweisen, daß seine Ergänzungssteuer sicher 35 Millionen bringen wird. Sie wird viel mehr bringen. Das Staatsdefizit ist dadurch für einige Jahre beseitigt, aber wein füllt der eigentliche Nutzen zu? Dem lachenden Dritten, der Sozialdemokratie. Der Alte in Friedrichsruh hätte solche Zahlen nicht veröffentlicht. Er Hütte dem Sozialismus diese furchtbare Waffe nicht in die Hand gegeben. Wie? Hundert oder hundertundfunfzig Milliarden Vermögen in Preußen, und

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/612>, abgerufen am 01.09.2024.