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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Zwei erfolglose Dichter

nennt, und haben eine Verwirrung über die Begriffe Erfolg und Erfolglosig¬
keit zuwege gebracht, wie sie nicht großer und ärger sein kann. So giebt es
zur Zeit unter uns Hunderte von Malern, Musikern und Schriftstellern, die
jede Wirkung, deren ihr Talent fähig ist, und die sie'bei richtiger Selbstschätzung
erwarten durften, vollständig erreicht haben, die auch völlig mit ihrem mäßigen
Erfolg zufrieden sein würden, sich aber bei jedem Anlaß als ,,Erfolglose"
brandmarken und hinter die hohlsten und schnödesten Gesellen zurücksetzen lassen
müssen. Viele andre aber, die in gesünderer Zeit ruhig ihres Weges gegangen
wären, werden durch die unsinnige, immer erneute Forderung des großen, des
entscheidenden Erfolgs mit der Nervosität erfüllt, die eine der unerfreulichsten
Erscheinungen im modernen Kunstleben ist. Sie lassen sich aus ihren natür¬
lichen Bahnen treiben, sie wollen der Geringschätzung entgehen, die jeden trifft,
der nicht den staunenden Blick der Massen auf sich ziehen kauu. Bis in die
Kunst- und Litteraturgeschichte hinein erstrecken sich die Einflüsse dieser Erfvlg-
anbetung und Erfolgüberschätzung; das Pflichtgefühl, künstlerische Leistungen
nach ihrem innern Gesetz zu prüfen und nach ihrem innern Wert zu beurteilen,
kommt mehr und mehr abhanden. Auch wo das Wort Erfolg nicht gebraucht
wird, spielt doch der Begriff seine Rolle hinter den Kulissen. Wie selten ist
ein Urteil geworden, das die scheinlose Größe und die echte Einfachheit (vor
der anlackirten ziehen sie ja alle den Hut ab) aus ihrem Schatten ans Licht
rückt! Wer die Summe des Jammers verkörpert haben will, der zähle ver¬
gleichend die paar Spalten, die vor ein paar Monaten dem Nachruf und der
Würdigung eines Musikers wie Robert Franz gewidmet, und die andern, die
gleichzeitig mit der fortgesetzten Reklame für Mascagnis "Banernehre" bedruckt
worden sind, ein Werk, für das kein deutscher Theaterdirektor eiuen Finger
gekrümmt hätte, wenn es von einem Deutschen geschaffen worden wäre!

Auch ehrliche und warm empfängliche Litteratur- und Kunstfreunde im
besten Sinne des Worts werden durch diese Erfolgshetze in ihrem Genuß ge¬
stört, in ihrem Urteil und ihren Grundanschauungen beirrt. Natürlich nicht,
wenn und wo es sich um einen Fall wie den eben bezeichneten handelt; wer
in bessern Tagen zu Ruf und Geltung gekommen ist, verliert sie nicht, weil
ihn die Zeitungsfenilletvus mit einer Notiz von dreißig oder fünfzig Zeilen
begraben. Aber frage sich doch jeder unsrer Leser selbst, wie oft ihm unter
der Einwirkung der herrschenden Vorstellungen ein neuer Name, den er ohne
Pauken und Trompeten nennen hört, unbequem gewesen ist, wie vielemal er
sich auf der Überzeugung ertappt hat, etwas Rechtes werde er unfehlbar be¬
merken und kennen, wie widerstrebend er sich zu der Einsicht verhalten hat,
daß es ganze Reihen vorzüglicher und guter Schöpfungen giebt, von denen er
nie ein Wort gelesen, nie einen Ton gehört hat? Die zugleich brutale und
kindische Vorstellung, daß es nur einen Erfolg, den des Massenjubels gebe,
daß es gleichsam eine sittliche Pflicht sei, diesen Erfolg zu haben und zu er-


Zwei erfolglose Dichter

nennt, und haben eine Verwirrung über die Begriffe Erfolg und Erfolglosig¬
keit zuwege gebracht, wie sie nicht großer und ärger sein kann. So giebt es
zur Zeit unter uns Hunderte von Malern, Musikern und Schriftstellern, die
jede Wirkung, deren ihr Talent fähig ist, und die sie'bei richtiger Selbstschätzung
erwarten durften, vollständig erreicht haben, die auch völlig mit ihrem mäßigen
Erfolg zufrieden sein würden, sich aber bei jedem Anlaß als ,,Erfolglose"
brandmarken und hinter die hohlsten und schnödesten Gesellen zurücksetzen lassen
müssen. Viele andre aber, die in gesünderer Zeit ruhig ihres Weges gegangen
wären, werden durch die unsinnige, immer erneute Forderung des großen, des
entscheidenden Erfolgs mit der Nervosität erfüllt, die eine der unerfreulichsten
Erscheinungen im modernen Kunstleben ist. Sie lassen sich aus ihren natür¬
lichen Bahnen treiben, sie wollen der Geringschätzung entgehen, die jeden trifft,
der nicht den staunenden Blick der Massen auf sich ziehen kauu. Bis in die
Kunst- und Litteraturgeschichte hinein erstrecken sich die Einflüsse dieser Erfvlg-
anbetung und Erfolgüberschätzung; das Pflichtgefühl, künstlerische Leistungen
nach ihrem innern Gesetz zu prüfen und nach ihrem innern Wert zu beurteilen,
kommt mehr und mehr abhanden. Auch wo das Wort Erfolg nicht gebraucht
wird, spielt doch der Begriff seine Rolle hinter den Kulissen. Wie selten ist
ein Urteil geworden, das die scheinlose Größe und die echte Einfachheit (vor
der anlackirten ziehen sie ja alle den Hut ab) aus ihrem Schatten ans Licht
rückt! Wer die Summe des Jammers verkörpert haben will, der zähle ver¬
gleichend die paar Spalten, die vor ein paar Monaten dem Nachruf und der
Würdigung eines Musikers wie Robert Franz gewidmet, und die andern, die
gleichzeitig mit der fortgesetzten Reklame für Mascagnis „Banernehre" bedruckt
worden sind, ein Werk, für das kein deutscher Theaterdirektor eiuen Finger
gekrümmt hätte, wenn es von einem Deutschen geschaffen worden wäre!

Auch ehrliche und warm empfängliche Litteratur- und Kunstfreunde im
besten Sinne des Worts werden durch diese Erfolgshetze in ihrem Genuß ge¬
stört, in ihrem Urteil und ihren Grundanschauungen beirrt. Natürlich nicht,
wenn und wo es sich um einen Fall wie den eben bezeichneten handelt; wer
in bessern Tagen zu Ruf und Geltung gekommen ist, verliert sie nicht, weil
ihn die Zeitungsfenilletvus mit einer Notiz von dreißig oder fünfzig Zeilen
begraben. Aber frage sich doch jeder unsrer Leser selbst, wie oft ihm unter
der Einwirkung der herrschenden Vorstellungen ein neuer Name, den er ohne
Pauken und Trompeten nennen hört, unbequem gewesen ist, wie vielemal er
sich auf der Überzeugung ertappt hat, etwas Rechtes werde er unfehlbar be¬
merken und kennen, wie widerstrebend er sich zu der Einsicht verhalten hat,
daß es ganze Reihen vorzüglicher und guter Schöpfungen giebt, von denen er
nie ein Wort gelesen, nie einen Ton gehört hat? Die zugleich brutale und
kindische Vorstellung, daß es nur einen Erfolg, den des Massenjubels gebe,
daß es gleichsam eine sittliche Pflicht sei, diesen Erfolg zu haben und zu er-


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[0590] Zwei erfolglose Dichter nennt, und haben eine Verwirrung über die Begriffe Erfolg und Erfolglosig¬ keit zuwege gebracht, wie sie nicht großer und ärger sein kann. So giebt es zur Zeit unter uns Hunderte von Malern, Musikern und Schriftstellern, die jede Wirkung, deren ihr Talent fähig ist, und die sie'bei richtiger Selbstschätzung erwarten durften, vollständig erreicht haben, die auch völlig mit ihrem mäßigen Erfolg zufrieden sein würden, sich aber bei jedem Anlaß als ,,Erfolglose" brandmarken und hinter die hohlsten und schnödesten Gesellen zurücksetzen lassen müssen. Viele andre aber, die in gesünderer Zeit ruhig ihres Weges gegangen wären, werden durch die unsinnige, immer erneute Forderung des großen, des entscheidenden Erfolgs mit der Nervosität erfüllt, die eine der unerfreulichsten Erscheinungen im modernen Kunstleben ist. Sie lassen sich aus ihren natür¬ lichen Bahnen treiben, sie wollen der Geringschätzung entgehen, die jeden trifft, der nicht den staunenden Blick der Massen auf sich ziehen kauu. Bis in die Kunst- und Litteraturgeschichte hinein erstrecken sich die Einflüsse dieser Erfvlg- anbetung und Erfolgüberschätzung; das Pflichtgefühl, künstlerische Leistungen nach ihrem innern Gesetz zu prüfen und nach ihrem innern Wert zu beurteilen, kommt mehr und mehr abhanden. Auch wo das Wort Erfolg nicht gebraucht wird, spielt doch der Begriff seine Rolle hinter den Kulissen. Wie selten ist ein Urteil geworden, das die scheinlose Größe und die echte Einfachheit (vor der anlackirten ziehen sie ja alle den Hut ab) aus ihrem Schatten ans Licht rückt! Wer die Summe des Jammers verkörpert haben will, der zähle ver¬ gleichend die paar Spalten, die vor ein paar Monaten dem Nachruf und der Würdigung eines Musikers wie Robert Franz gewidmet, und die andern, die gleichzeitig mit der fortgesetzten Reklame für Mascagnis „Banernehre" bedruckt worden sind, ein Werk, für das kein deutscher Theaterdirektor eiuen Finger gekrümmt hätte, wenn es von einem Deutschen geschaffen worden wäre! Auch ehrliche und warm empfängliche Litteratur- und Kunstfreunde im besten Sinne des Worts werden durch diese Erfolgshetze in ihrem Genuß ge¬ stört, in ihrem Urteil und ihren Grundanschauungen beirrt. Natürlich nicht, wenn und wo es sich um einen Fall wie den eben bezeichneten handelt; wer in bessern Tagen zu Ruf und Geltung gekommen ist, verliert sie nicht, weil ihn die Zeitungsfenilletvus mit einer Notiz von dreißig oder fünfzig Zeilen begraben. Aber frage sich doch jeder unsrer Leser selbst, wie oft ihm unter der Einwirkung der herrschenden Vorstellungen ein neuer Name, den er ohne Pauken und Trompeten nennen hört, unbequem gewesen ist, wie vielemal er sich auf der Überzeugung ertappt hat, etwas Rechtes werde er unfehlbar be¬ merken und kennen, wie widerstrebend er sich zu der Einsicht verhalten hat, daß es ganze Reihen vorzüglicher und guter Schöpfungen giebt, von denen er nie ein Wort gelesen, nie einen Ton gehört hat? Die zugleich brutale und kindische Vorstellung, daß es nur einen Erfolg, den des Massenjubels gebe, daß es gleichsam eine sittliche Pflicht sei, diesen Erfolg zu haben und zu er-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/590>, abgerufen am 01.09.2024.