Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.Die Aussichten der Militärvorlage Die Vorlage ist in ihrer bisherigen Gestalt nicht, auch nicht mit Hilfe Die Aussichten der Militärvorlage Die Vorlage ist in ihrer bisherigen Gestalt nicht, auch nicht mit Hilfe <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0566" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/214358"/> <fw type="header" place="top"> Die Aussichten der Militärvorlage</fw><lb/> <p xml:id="ID_2050" next="#ID_2051"> Die Vorlage ist in ihrer bisherigen Gestalt nicht, auch nicht mit Hilfe<lb/> schwerer Opfer an das Zentrum zu retten. Das Motto: L.cet lüaosar aut<lb/> nilul hat bisher nicht verfangen und wird es bei Neuwahlen erst recht nicht.<lb/> Zudem hat man aus manchem beredten Schweigen und andern Anzeichen schon<lb/> zu deutlich herausgehört, daß die Militärverwaltung die Sicherheit und Stärke<lb/> Deutschlands schließlich auch bei einer geringern Friedenspräsenzstärke als 492068<lb/> Manu und 78809 Unteroffiziere für gewährleistet hält. Dann ist aber unerläßlich,<lb/> spätestens in der Auflvsungsbotschaft diese untere Grenze klipp und klar zu<lb/> bezeichnen. Der neukaudidirende regierungsfreundliche Abgeordnete ist dann<lb/> in der taktisch wertvollen Lage, seinen Wählern zu sagen, daß er allzu schwere<lb/> Lasten von ihnen abgewendet habe. Mit um so größerer Überzeugungskraft<lb/> wird er dann für das unumgängliche Minus eintreten können. Die Frage<lb/> ist dann auch der großen Masse leicht verständlich, wie sie auch 1887 ein¬<lb/> fach auf Septeunat oder jährliche Bewilligung gestellt war. Wir möchten<lb/> persönlich glauben, daß die Regierung zufrieden fein könne, wenn sie die vierten<lb/> Bataillone, offenbar das eigentliche Rückgrat des ganzen Reformplanes, und<lb/> die ihr kaum ernstlich streitig gemachten Vervollständigungen gewisser Spezial¬<lb/> Waffen durchdrückt; im übrigen möge sie sich mit einem mäßigen Ausgleich<lb/> der Etatsstärke der Jnfanterieregimenter begnügen. Die Hauptsache eines guten<lb/> Wahlprogramms, das Vertrauen zur Regierung, steht freilich überhaupt nicht<lb/> auf Papier geschrieben. Immerhin darf daran erinnert werden, daß Pro-<lb/> fessor Delbrück, vielleicht der unerschrockenste Vorkämpfer der Militärvorlage,<lb/> schon vor ihrer Einbringung das nötige Entgegenkommen der Militärverwaltung<lb/> gegen gewisse, sehr berechtigte Empfindungen des auf der Grundlage der all¬<lb/> gemeinen Wehrpflicht geeinten Nation vermißte. Dahin gehört z. B. der fast<lb/> einstimmige Ruf nach einer Strafprozeßordnung für das Heer, die wenn nicht<lb/> die Öffentlichkeit, so doch die Mündlichkeit und einige andre fast selbstver¬<lb/> ständliche Bürgschaften eines gerechten Strafverfahrens bietet. Niemand be¬<lb/> zweifelt ferner deu erusten Willen aller obern militärischen Stellen, die immer<lb/> wieder auftauchenden Soldatenmißhandlnngen auszurotten. Aber man er¬<lb/> innert sich, daß, wo ein Wille ist, auch ein Weg sein muß, und ihre Ohn¬<lb/> macht, einen solchen Weg zu finden, wird gerade die Militärverwaltung<lb/> doch nicht bekennen wollen. Man fragt auch, ob der vortreffliche kaiserliche<lb/> Erlaß vom April 1390, der auf einfachere Lebenshaltung des Offizierkorps<lb/> drang, der innerhalb und außerhalb der Armee, namentlich auch von den<lb/> Vätern der Leutnants, Fähnriche und Einjährigfreiwilligen aufs freudigste<lb/> begrüßt wurde, und von dem man sich einst die heilsamsten Wirkungen anch<lb/> gegenüber dem Luxus der bürgerlichen Kreise versprach, nicht auf dem Papier<lb/> stehen geblieben ist. Man findet es billig, daß angesichts einer Vorlage, die<lb/> für die Armee vom ganzen Volke neue schwere Opfer und Einschränkungen<lb/> auch der Wohlhabenden fordert, die Armee selbst mit einer ernsten und be-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0566]
Die Aussichten der Militärvorlage
Die Vorlage ist in ihrer bisherigen Gestalt nicht, auch nicht mit Hilfe
schwerer Opfer an das Zentrum zu retten. Das Motto: L.cet lüaosar aut
nilul hat bisher nicht verfangen und wird es bei Neuwahlen erst recht nicht.
Zudem hat man aus manchem beredten Schweigen und andern Anzeichen schon
zu deutlich herausgehört, daß die Militärverwaltung die Sicherheit und Stärke
Deutschlands schließlich auch bei einer geringern Friedenspräsenzstärke als 492068
Manu und 78809 Unteroffiziere für gewährleistet hält. Dann ist aber unerläßlich,
spätestens in der Auflvsungsbotschaft diese untere Grenze klipp und klar zu
bezeichnen. Der neukaudidirende regierungsfreundliche Abgeordnete ist dann
in der taktisch wertvollen Lage, seinen Wählern zu sagen, daß er allzu schwere
Lasten von ihnen abgewendet habe. Mit um so größerer Überzeugungskraft
wird er dann für das unumgängliche Minus eintreten können. Die Frage
ist dann auch der großen Masse leicht verständlich, wie sie auch 1887 ein¬
fach auf Septeunat oder jährliche Bewilligung gestellt war. Wir möchten
persönlich glauben, daß die Regierung zufrieden fein könne, wenn sie die vierten
Bataillone, offenbar das eigentliche Rückgrat des ganzen Reformplanes, und
die ihr kaum ernstlich streitig gemachten Vervollständigungen gewisser Spezial¬
Waffen durchdrückt; im übrigen möge sie sich mit einem mäßigen Ausgleich
der Etatsstärke der Jnfanterieregimenter begnügen. Die Hauptsache eines guten
Wahlprogramms, das Vertrauen zur Regierung, steht freilich überhaupt nicht
auf Papier geschrieben. Immerhin darf daran erinnert werden, daß Pro-
fessor Delbrück, vielleicht der unerschrockenste Vorkämpfer der Militärvorlage,
schon vor ihrer Einbringung das nötige Entgegenkommen der Militärverwaltung
gegen gewisse, sehr berechtigte Empfindungen des auf der Grundlage der all¬
gemeinen Wehrpflicht geeinten Nation vermißte. Dahin gehört z. B. der fast
einstimmige Ruf nach einer Strafprozeßordnung für das Heer, die wenn nicht
die Öffentlichkeit, so doch die Mündlichkeit und einige andre fast selbstver¬
ständliche Bürgschaften eines gerechten Strafverfahrens bietet. Niemand be¬
zweifelt ferner deu erusten Willen aller obern militärischen Stellen, die immer
wieder auftauchenden Soldatenmißhandlnngen auszurotten. Aber man er¬
innert sich, daß, wo ein Wille ist, auch ein Weg sein muß, und ihre Ohn¬
macht, einen solchen Weg zu finden, wird gerade die Militärverwaltung
doch nicht bekennen wollen. Man fragt auch, ob der vortreffliche kaiserliche
Erlaß vom April 1390, der auf einfachere Lebenshaltung des Offizierkorps
drang, der innerhalb und außerhalb der Armee, namentlich auch von den
Vätern der Leutnants, Fähnriche und Einjährigfreiwilligen aufs freudigste
begrüßt wurde, und von dem man sich einst die heilsamsten Wirkungen anch
gegenüber dem Luxus der bürgerlichen Kreise versprach, nicht auf dem Papier
stehen geblieben ist. Man findet es billig, daß angesichts einer Vorlage, die
für die Armee vom ganzen Volke neue schwere Opfer und Einschränkungen
auch der Wohlhabenden fordert, die Armee selbst mit einer ernsten und be-
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |