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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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In Berlin hat Lindahl einige Wochen später den gleichfalls dem ältern
Dichtergeschlecht angehörigen Göckingk aufgesucht, der es über den Gemeinplatz
"Das Leben ist ein Traum! Süß sey er dir, und dein Erwachen Wonne"
nicht hinausbringt.

Nun aber Jena-Weimar, die große Stadt! Schiller schrieb an demselben
Tage, wo er Lindahl die schon erwähnte Empfehlung an Goethe mitgab, in
das Stammbuch des Schweden das Distichon:


In den Meinungen Streit, Eintracht in Gefühl und Gesinnung
Bringt in das Leben zugleich Wärme und Farben und Licht.

Jena, 2 September
17S8


Fr, Schiller

Goethe begnügte sich auf die sicher bescheiden vorgetragne Bitte Lindahls
mit der Einzeichnung: "Zum Andenken, Weimar, 3 September 1798.
Goethe." Bei Herder, Jean Paul und Wieland erhielt der Reisende wieder
etwas umfangreichere Blätter. Von Herder findet sich unter dem genannten
Datum:


Das Wahre, Gute und Schöne! Ihr schönstes Land ist in einer Menschenseele, in der
Eins das Andre prüfet und bewähret. Zum Andenken schriebs einem trefflichen Mann der
,
I. G. Herder.
dies Land kennt und liebet

Jean Paul schrieb:


Der Unendliche hat wie die Sonne zwei Wege -- den scheinbaren um uns, von unserem
kleinen Morgen zu unserem kleinen Abend -- und den wahren dessen Dnsein und nicht dessen
Richtung wir wissen.
Unser Leben ist wie der Abend ein Mittelding zwischen Nacht und Sonne und an einem
Abend wünsch' ich Ihnen nur die letztere.

Jean Paul Fr. Richter.

Wieland ließ sich mit lateinischen Citat vernehmen:


In <1U!An0UNHNV Dorf in)i tortun^vsrit loi'AM
(>I'!ttA> fünf in-tun --
die c>novum"zuo kom t'noris, vixi8so liosntvr
1's allens --

Dem schätzbaren Besitzer dieses Denkbuchs zu
seinem Andenken geschrieben, von

Ossmanstcitt, d. Z September
1798.


C. M. Wieland.

In wunderbarem Gegensatz zu diesen Eintragungen der Deutschen steht,
was einen Monat später in Paris eingezeichnet wurde. Es war das letzte
Jahr der Direktorialregierung, Bonaparte seit dem Mai in Ägypten, der
Weltkrieg mit der zweiten Koalition stand bevor, und die innern Zustände Frank¬
reichs waren beinahe so trostlos als in den Tagen des Wohlfahrtsausschusses.
Die jakobinisch gesinnten hofften noch immer auf eine glückliche Wiederkehr
des gesegneten Schreckens, die herrschenden Staatsmänner füllten sich die
Taschen, die Massen der Nation sehnten sich stärker als je nach einer ehernen
Hand, die mit dem Wirrwarr aufräumte und ihnen Frieden, Sicherheit des


In Berlin hat Lindahl einige Wochen später den gleichfalls dem ältern
Dichtergeschlecht angehörigen Göckingk aufgesucht, der es über den Gemeinplatz
„Das Leben ist ein Traum! Süß sey er dir, und dein Erwachen Wonne"
nicht hinausbringt.

Nun aber Jena-Weimar, die große Stadt! Schiller schrieb an demselben
Tage, wo er Lindahl die schon erwähnte Empfehlung an Goethe mitgab, in
das Stammbuch des Schweden das Distichon:


In den Meinungen Streit, Eintracht in Gefühl und Gesinnung
Bringt in das Leben zugleich Wärme und Farben und Licht.

Jena, 2 September
17S8


Fr, Schiller

Goethe begnügte sich auf die sicher bescheiden vorgetragne Bitte Lindahls
mit der Einzeichnung: „Zum Andenken, Weimar, 3 September 1798.
Goethe." Bei Herder, Jean Paul und Wieland erhielt der Reisende wieder
etwas umfangreichere Blätter. Von Herder findet sich unter dem genannten
Datum:


Das Wahre, Gute und Schöne! Ihr schönstes Land ist in einer Menschenseele, in der
Eins das Andre prüfet und bewähret. Zum Andenken schriebs einem trefflichen Mann der
,
I. G. Herder.
dies Land kennt und liebet

Jean Paul schrieb:


Der Unendliche hat wie die Sonne zwei Wege — den scheinbaren um uns, von unserem
kleinen Morgen zu unserem kleinen Abend — und den wahren dessen Dnsein und nicht dessen
Richtung wir wissen.
Unser Leben ist wie der Abend ein Mittelding zwischen Nacht und Sonne und an einem
Abend wünsch' ich Ihnen nur die letztere.

Jean Paul Fr. Richter.

Wieland ließ sich mit lateinischen Citat vernehmen:


In <1U!An0UNHNV Dorf in)i tortun^vsrit loi'AM
(>I'!ttA> fünf in-tun —
die c>novum«zuo kom t'noris, vixi8so liosntvr
1's allens —

Dem schätzbaren Besitzer dieses Denkbuchs zu
seinem Andenken geschrieben, von

Ossmanstcitt, d. Z September
1798.


C. M. Wieland.

In wunderbarem Gegensatz zu diesen Eintragungen der Deutschen steht,
was einen Monat später in Paris eingezeichnet wurde. Es war das letzte
Jahr der Direktorialregierung, Bonaparte seit dem Mai in Ägypten, der
Weltkrieg mit der zweiten Koalition stand bevor, und die innern Zustände Frank¬
reichs waren beinahe so trostlos als in den Tagen des Wohlfahrtsausschusses.
Die jakobinisch gesinnten hofften noch immer auf eine glückliche Wiederkehr
des gesegneten Schreckens, die herrschenden Staatsmänner füllten sich die
Taschen, die Massen der Nation sehnten sich stärker als je nach einer ehernen
Hand, die mit dem Wirrwarr aufräumte und ihnen Frieden, Sicherheit des


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/49>, abgerufen am 01.09.2024.