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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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soll die Bewegung im Fluß erhalten. Aufklärung in Schloß und Hütte trugen,
den Städtern die Angen öffnen über die Berechtigung der landwirtschaftlichen
Forderungen, hauptsächlich aber die Abgeordneten kontrolliren -- eine ange¬
nehme Aussicht für die mutigen und unabhängigen Männer, denen Herr
Ruprecht auf einer großen Versammlung mit nicht mißzuverstehender Deutlich¬
keit ihr trauriges Los verkündete, wenn sie einmal nicht richtig stimmen sollten.

Einige bescheidne Bemerkungen zu diesem Programm werden wohl ge¬
stattet sein. Über das Schreien wollen wir schweigen; im allgemeinen Pflegen
schreiende Männer den Mangel an starken Beweisgründen durch starke Lungen
zu ersetzen. Unterstützen wir die Wahlmänner der staatserhaltenden Parteien
nicht, so werden die Sozialdemokraten mit Vergnügen die Erbschaft antreten;
versagen wir dem Staat und seiner Ordnung die Hilfe, so untergraben wir
uns selbst unsre mitratcnde und mitthatende Stellung im großen Gemein¬
wesen. Ein Niederlegen aller Ehrenämter ist ja möglich, aber erstens ist kein
Mensch unersetzbar, und dann hat der Staat für die Ablehnung der meisten
Ehrenämter Zwangsmaßregeln, Erhöhung der Steuer u. dergl. zur Hand --
schließlich ist es unter den heutigen Verhältnissen, wie ja überhaupt im Leben,
immer besser, Hammer als Ambos zu sein. Die Wirkung der preußischen
Kreisordnung wird nur der recht würdigen, der noch in den alten Verhält¬
nissen Gutsbesitzer gewesen ist und ihre großen Schattenseiten sich ins Gedächtnis
zurückrufen kann. In manchen Gegenden mag ja das Bedürfnis zur Abschaffung
der Gutspvlizei und der an dem Rittergut klebenden Kreisvertretung nicht so
groß gewesen sein, aber im ganzen Osten Preußens mit seinen ausgedehnten
.Kreisen war die neue Ordnung eine Wohlthat und der Amtsvorsteher wie die
gerechtere Vertretung im Kreistage eine Notwendigkeit. Die Gutspolizei war
eine abgestorbne Form, der Landrat regierte nur dnrch seine Gensdarmen, er
war nicht imstande, zumal wenn er an einem Ende des Kreises wohnte, für
eine gedeihliche Ordnung in seinem ganzen Bezirke zu sorgen. Heute ist es in
Beziehung ans Wege, Armenpflege, Gesundheitsverhältnisse, Feuerpolizei und
dergleichen sehr viel besser geworden als früher, und nur in den seltensten,
in ganz abnormen Fällen kann dabei von einer Überlastung der Amtsvorsteher
gesprochen werden. Mit Hilfe einer Schreibkraft, die in dem Schullehrer meist
leicht gefunden und für die aus Staatsmitteln genügende Entschädigung ge¬
währt wird, sind die heutigen Aufgaben eines Amtsvorstehers ohne Überlastung
zu bewältigen. Wem das Amt zu viel wird, kann es ja nach einer gesetzlichen
Frist niederlegen: Amtsvorsteher und Standesbeamter braucht niemand zu
gleicher Zeit zu sein, und die andern Nebenämter in den Berufsgenossen-
schaften u. s. w. sind keine Zwangsämter. Daß sich immer noch genügende
Kräfte zur Übernahme der Ämter gefunden haben, kann auch als Beweis dafür
dienen, daß sie nicht so drückend sind, als behauptet wird.

Die Vertretung der Landwirtschaft in den Parlamenten soll ungenügend


soll die Bewegung im Fluß erhalten. Aufklärung in Schloß und Hütte trugen,
den Städtern die Angen öffnen über die Berechtigung der landwirtschaftlichen
Forderungen, hauptsächlich aber die Abgeordneten kontrolliren — eine ange¬
nehme Aussicht für die mutigen und unabhängigen Männer, denen Herr
Ruprecht auf einer großen Versammlung mit nicht mißzuverstehender Deutlich¬
keit ihr trauriges Los verkündete, wenn sie einmal nicht richtig stimmen sollten.

Einige bescheidne Bemerkungen zu diesem Programm werden wohl ge¬
stattet sein. Über das Schreien wollen wir schweigen; im allgemeinen Pflegen
schreiende Männer den Mangel an starken Beweisgründen durch starke Lungen
zu ersetzen. Unterstützen wir die Wahlmänner der staatserhaltenden Parteien
nicht, so werden die Sozialdemokraten mit Vergnügen die Erbschaft antreten;
versagen wir dem Staat und seiner Ordnung die Hilfe, so untergraben wir
uns selbst unsre mitratcnde und mitthatende Stellung im großen Gemein¬
wesen. Ein Niederlegen aller Ehrenämter ist ja möglich, aber erstens ist kein
Mensch unersetzbar, und dann hat der Staat für die Ablehnung der meisten
Ehrenämter Zwangsmaßregeln, Erhöhung der Steuer u. dergl. zur Hand —
schließlich ist es unter den heutigen Verhältnissen, wie ja überhaupt im Leben,
immer besser, Hammer als Ambos zu sein. Die Wirkung der preußischen
Kreisordnung wird nur der recht würdigen, der noch in den alten Verhält¬
nissen Gutsbesitzer gewesen ist und ihre großen Schattenseiten sich ins Gedächtnis
zurückrufen kann. In manchen Gegenden mag ja das Bedürfnis zur Abschaffung
der Gutspvlizei und der an dem Rittergut klebenden Kreisvertretung nicht so
groß gewesen sein, aber im ganzen Osten Preußens mit seinen ausgedehnten
.Kreisen war die neue Ordnung eine Wohlthat und der Amtsvorsteher wie die
gerechtere Vertretung im Kreistage eine Notwendigkeit. Die Gutspolizei war
eine abgestorbne Form, der Landrat regierte nur dnrch seine Gensdarmen, er
war nicht imstande, zumal wenn er an einem Ende des Kreises wohnte, für
eine gedeihliche Ordnung in seinem ganzen Bezirke zu sorgen. Heute ist es in
Beziehung ans Wege, Armenpflege, Gesundheitsverhältnisse, Feuerpolizei und
dergleichen sehr viel besser geworden als früher, und nur in den seltensten,
in ganz abnormen Fällen kann dabei von einer Überlastung der Amtsvorsteher
gesprochen werden. Mit Hilfe einer Schreibkraft, die in dem Schullehrer meist
leicht gefunden und für die aus Staatsmitteln genügende Entschädigung ge¬
währt wird, sind die heutigen Aufgaben eines Amtsvorstehers ohne Überlastung
zu bewältigen. Wem das Amt zu viel wird, kann es ja nach einer gesetzlichen
Frist niederlegen: Amtsvorsteher und Standesbeamter braucht niemand zu
gleicher Zeit zu sein, und die andern Nebenämter in den Berufsgenossen-
schaften u. s. w. sind keine Zwangsämter. Daß sich immer noch genügende
Kräfte zur Übernahme der Ämter gefunden haben, kann auch als Beweis dafür
dienen, daß sie nicht so drückend sind, als behauptet wird.

Die Vertretung der Landwirtschaft in den Parlamenten soll ungenügend


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[0476] soll die Bewegung im Fluß erhalten. Aufklärung in Schloß und Hütte trugen, den Städtern die Angen öffnen über die Berechtigung der landwirtschaftlichen Forderungen, hauptsächlich aber die Abgeordneten kontrolliren — eine ange¬ nehme Aussicht für die mutigen und unabhängigen Männer, denen Herr Ruprecht auf einer großen Versammlung mit nicht mißzuverstehender Deutlich¬ keit ihr trauriges Los verkündete, wenn sie einmal nicht richtig stimmen sollten. Einige bescheidne Bemerkungen zu diesem Programm werden wohl ge¬ stattet sein. Über das Schreien wollen wir schweigen; im allgemeinen Pflegen schreiende Männer den Mangel an starken Beweisgründen durch starke Lungen zu ersetzen. Unterstützen wir die Wahlmänner der staatserhaltenden Parteien nicht, so werden die Sozialdemokraten mit Vergnügen die Erbschaft antreten; versagen wir dem Staat und seiner Ordnung die Hilfe, so untergraben wir uns selbst unsre mitratcnde und mitthatende Stellung im großen Gemein¬ wesen. Ein Niederlegen aller Ehrenämter ist ja möglich, aber erstens ist kein Mensch unersetzbar, und dann hat der Staat für die Ablehnung der meisten Ehrenämter Zwangsmaßregeln, Erhöhung der Steuer u. dergl. zur Hand — schließlich ist es unter den heutigen Verhältnissen, wie ja überhaupt im Leben, immer besser, Hammer als Ambos zu sein. Die Wirkung der preußischen Kreisordnung wird nur der recht würdigen, der noch in den alten Verhält¬ nissen Gutsbesitzer gewesen ist und ihre großen Schattenseiten sich ins Gedächtnis zurückrufen kann. In manchen Gegenden mag ja das Bedürfnis zur Abschaffung der Gutspvlizei und der an dem Rittergut klebenden Kreisvertretung nicht so groß gewesen sein, aber im ganzen Osten Preußens mit seinen ausgedehnten .Kreisen war die neue Ordnung eine Wohlthat und der Amtsvorsteher wie die gerechtere Vertretung im Kreistage eine Notwendigkeit. Die Gutspolizei war eine abgestorbne Form, der Landrat regierte nur dnrch seine Gensdarmen, er war nicht imstande, zumal wenn er an einem Ende des Kreises wohnte, für eine gedeihliche Ordnung in seinem ganzen Bezirke zu sorgen. Heute ist es in Beziehung ans Wege, Armenpflege, Gesundheitsverhältnisse, Feuerpolizei und dergleichen sehr viel besser geworden als früher, und nur in den seltensten, in ganz abnormen Fällen kann dabei von einer Überlastung der Amtsvorsteher gesprochen werden. Mit Hilfe einer Schreibkraft, die in dem Schullehrer meist leicht gefunden und für die aus Staatsmitteln genügende Entschädigung ge¬ währt wird, sind die heutigen Aufgaben eines Amtsvorstehers ohne Überlastung zu bewältigen. Wem das Amt zu viel wird, kann es ja nach einer gesetzlichen Frist niederlegen: Amtsvorsteher und Standesbeamter braucht niemand zu gleicher Zeit zu sein, und die andern Nebenämter in den Berufsgenossen- schaften u. s. w. sind keine Zwangsämter. Daß sich immer noch genügende Kräfte zur Übernahme der Ämter gefunden haben, kann auch als Beweis dafür dienen, daß sie nicht so drückend sind, als behauptet wird. Die Vertretung der Landwirtschaft in den Parlamenten soll ungenügend

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/476>, abgerufen am 30.11.2024.