Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

Bild:
<< vorherige Seite

in Verbindung mit Brennerei für die magern Provinzen Preußens im Osten
der Elbe ist schon so oft auseinandergesetzt worden, daß wir hier auf weitere
Ausführungen verzichten können. Für die, denen die Steuerlast der Brenne¬
reien noch immer nicht groß genug erscheint, sei nur darauf hingewiesen, daß
landwirtschaftliche Brennereien in Ost- und Westpreußen, die in den letzten
Jahren durch Feuer zerstört wurden, von ihren Besitzern als unrentabel nicht
wieder aufgebaut worden sind!

Wir kommen zu den Handelsverträgen, dem Hauptstttck der hente zu
Tage getretner Unzufriedenheit. Man schimpft ans dem Lande laut über den
österreichischen Vertrag, der mit einem Schlage die Schutzzölle auf Weizen und
Roggen ans allen andern Ländern mit einziger Ausnahme Rußlands von
5 Mark für 100 Kilo auf 3,50 Mark herabgesetzt hat. Mau häugt die Namen
der Landwirte, die als Reichstagsabgeorducte dem Vertrage zugestimmt haben,
an den Pranger und schmäht diese Männer ob ihrer thörichten Unterwerfung
unter die Regierung und ihres Verrath an der heimischen Landwirtschaft.
Dabei verläßt die Schreier gänzlich das Gedächtnis. Sie haben, wie es scheint,
keine Ahnung mehr davon, daß in der Zeit, wo dieser Handelsvertrag abge¬
schlossen wurde, das Reich sich in einer Zwangslage befand, daß namentlich
die Hauptnahrung der Armen, der Roggen, einen so hohen Preis erreicht hatte,
wie ihn auch die verbissensten Schutzzöllner früher nie mit einem Schutzzoll
für vereinbar gehalten hatten, und der zu den traurigsten Verhältnissen bei
einem sehr großen Teil der Arbeiterbevölkerung, -nicht bloß in den Städten
und Industriebezirken, souderu nachweisbar auf dem Laude selbst geführt hatte.
Herr Ruprecht wirft deu Abgeordneten, die uach ihrem besten Wissen und Ge¬
wissen für die Herabsetzung des Zolls gestimmt haben, die gröbsten Belei¬
digungen ins Gesicht und geberdet sich, als ob er und seine Gesinnungs¬
genossen ganz allein im deutschen Reiche hausten. Vielleicht die größere Hälfte
der deutschen Landwirte, billig denkende, ernste Männer, werden einen solchen
krassen Egoismus verwerfen und werden zugestehen, daß ein aller Wahrschein¬
lichkeit nach auf längere Zeit festgelegter Zoll von 3,50 Mark ans Brodgetreide
ein ausreichender Schutz der deutscheu Landwirtschaft sei. Augenblicklich richtet
sich der Kampf mit Wut gegen den Abschluß eines Handelsvertrags mit Ru߬
land ans gleicher Grundlage, und es wird der Regierung mit crhobner Faust
gedroht, wenn sie gewillt sei, auch hier den Zoll herabzusetzen. Der Artikel
des Herrn Ruprecht hat, wie schon erwähnt, eine große Zahl von Landwirten
zu lautem Beifallsjubel fortgerissen, ein Komitee ist zusammengetreten, hat ein
Programm aufgesetzt, das die "Forderungen der rechten Agrarier" enthält, und
diese Schrift in Tausenden von Exemplaren an alle landwirtschaftlichen Ver¬
eine Deutschlands und an alle bedeutend"! Zeitungen gesandt, um Anhänger
zu werben. Dieses Programm schließt sich im wesentlichen den Forderungen
Ruprechts an, begründet sie eingehend und erweitert sie in einigen Punkten.


in Verbindung mit Brennerei für die magern Provinzen Preußens im Osten
der Elbe ist schon so oft auseinandergesetzt worden, daß wir hier auf weitere
Ausführungen verzichten können. Für die, denen die Steuerlast der Brenne¬
reien noch immer nicht groß genug erscheint, sei nur darauf hingewiesen, daß
landwirtschaftliche Brennereien in Ost- und Westpreußen, die in den letzten
Jahren durch Feuer zerstört wurden, von ihren Besitzern als unrentabel nicht
wieder aufgebaut worden sind!

Wir kommen zu den Handelsverträgen, dem Hauptstttck der hente zu
Tage getretner Unzufriedenheit. Man schimpft ans dem Lande laut über den
österreichischen Vertrag, der mit einem Schlage die Schutzzölle auf Weizen und
Roggen ans allen andern Ländern mit einziger Ausnahme Rußlands von
5 Mark für 100 Kilo auf 3,50 Mark herabgesetzt hat. Mau häugt die Namen
der Landwirte, die als Reichstagsabgeorducte dem Vertrage zugestimmt haben,
an den Pranger und schmäht diese Männer ob ihrer thörichten Unterwerfung
unter die Regierung und ihres Verrath an der heimischen Landwirtschaft.
Dabei verläßt die Schreier gänzlich das Gedächtnis. Sie haben, wie es scheint,
keine Ahnung mehr davon, daß in der Zeit, wo dieser Handelsvertrag abge¬
schlossen wurde, das Reich sich in einer Zwangslage befand, daß namentlich
die Hauptnahrung der Armen, der Roggen, einen so hohen Preis erreicht hatte,
wie ihn auch die verbissensten Schutzzöllner früher nie mit einem Schutzzoll
für vereinbar gehalten hatten, und der zu den traurigsten Verhältnissen bei
einem sehr großen Teil der Arbeiterbevölkerung, -nicht bloß in den Städten
und Industriebezirken, souderu nachweisbar auf dem Laude selbst geführt hatte.
Herr Ruprecht wirft deu Abgeordneten, die uach ihrem besten Wissen und Ge¬
wissen für die Herabsetzung des Zolls gestimmt haben, die gröbsten Belei¬
digungen ins Gesicht und geberdet sich, als ob er und seine Gesinnungs¬
genossen ganz allein im deutschen Reiche hausten. Vielleicht die größere Hälfte
der deutschen Landwirte, billig denkende, ernste Männer, werden einen solchen
krassen Egoismus verwerfen und werden zugestehen, daß ein aller Wahrschein¬
lichkeit nach auf längere Zeit festgelegter Zoll von 3,50 Mark ans Brodgetreide
ein ausreichender Schutz der deutscheu Landwirtschaft sei. Augenblicklich richtet
sich der Kampf mit Wut gegen den Abschluß eines Handelsvertrags mit Ru߬
land ans gleicher Grundlage, und es wird der Regierung mit crhobner Faust
gedroht, wenn sie gewillt sei, auch hier den Zoll herabzusetzen. Der Artikel
des Herrn Ruprecht hat, wie schon erwähnt, eine große Zahl von Landwirten
zu lautem Beifallsjubel fortgerissen, ein Komitee ist zusammengetreten, hat ein
Programm aufgesetzt, das die „Forderungen der rechten Agrarier" enthält, und
diese Schrift in Tausenden von Exemplaren an alle landwirtschaftlichen Ver¬
eine Deutschlands und an alle bedeutend«! Zeitungen gesandt, um Anhänger
zu werben. Dieses Programm schließt sich im wesentlichen den Forderungen
Ruprechts an, begründet sie eingehend und erweitert sie in einigen Punkten.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0474" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/214266"/>
          <fw type="header" place="top"/><lb/>
          <p xml:id="ID_1625" prev="#ID_1624"> in Verbindung mit Brennerei für die magern Provinzen Preußens im Osten<lb/>
der Elbe ist schon so oft auseinandergesetzt worden, daß wir hier auf weitere<lb/>
Ausführungen verzichten können. Für die, denen die Steuerlast der Brenne¬<lb/>
reien noch immer nicht groß genug erscheint, sei nur darauf hingewiesen, daß<lb/>
landwirtschaftliche Brennereien in Ost- und Westpreußen, die in den letzten<lb/>
Jahren durch Feuer zerstört wurden, von ihren Besitzern als unrentabel nicht<lb/>
wieder aufgebaut worden sind!</p><lb/>
          <p xml:id="ID_1626" next="#ID_1627"> Wir kommen zu den Handelsverträgen, dem Hauptstttck der hente zu<lb/>
Tage getretner Unzufriedenheit. Man schimpft ans dem Lande laut über den<lb/>
österreichischen Vertrag, der mit einem Schlage die Schutzzölle auf Weizen und<lb/>
Roggen ans allen andern Ländern mit einziger Ausnahme Rußlands von<lb/>
5 Mark für 100 Kilo auf 3,50 Mark herabgesetzt hat. Mau häugt die Namen<lb/>
der Landwirte, die als Reichstagsabgeorducte dem Vertrage zugestimmt haben,<lb/>
an den Pranger und schmäht diese Männer ob ihrer thörichten Unterwerfung<lb/>
unter die Regierung und ihres Verrath an der heimischen Landwirtschaft.<lb/>
Dabei verläßt die Schreier gänzlich das Gedächtnis. Sie haben, wie es scheint,<lb/>
keine Ahnung mehr davon, daß in der Zeit, wo dieser Handelsvertrag abge¬<lb/>
schlossen wurde, das Reich sich in einer Zwangslage befand, daß namentlich<lb/>
die Hauptnahrung der Armen, der Roggen, einen so hohen Preis erreicht hatte,<lb/>
wie ihn auch die verbissensten Schutzzöllner früher nie mit einem Schutzzoll<lb/>
für vereinbar gehalten hatten, und der zu den traurigsten Verhältnissen bei<lb/>
einem sehr großen Teil der Arbeiterbevölkerung, -nicht bloß in den Städten<lb/>
und Industriebezirken, souderu nachweisbar auf dem Laude selbst geführt hatte.<lb/>
Herr Ruprecht wirft deu Abgeordneten, die uach ihrem besten Wissen und Ge¬<lb/>
wissen für die Herabsetzung des Zolls gestimmt haben, die gröbsten Belei¬<lb/>
digungen ins Gesicht und geberdet sich, als ob er und seine Gesinnungs¬<lb/>
genossen ganz allein im deutschen Reiche hausten. Vielleicht die größere Hälfte<lb/>
der deutschen Landwirte, billig denkende, ernste Männer, werden einen solchen<lb/>
krassen Egoismus verwerfen und werden zugestehen, daß ein aller Wahrschein¬<lb/>
lichkeit nach auf längere Zeit festgelegter Zoll von 3,50 Mark ans Brodgetreide<lb/>
ein ausreichender Schutz der deutscheu Landwirtschaft sei. Augenblicklich richtet<lb/>
sich der Kampf mit Wut gegen den Abschluß eines Handelsvertrags mit Ru߬<lb/>
land ans gleicher Grundlage, und es wird der Regierung mit crhobner Faust<lb/>
gedroht, wenn sie gewillt sei, auch hier den Zoll herabzusetzen. Der Artikel<lb/>
des Herrn Ruprecht hat, wie schon erwähnt, eine große Zahl von Landwirten<lb/>
zu lautem Beifallsjubel fortgerissen, ein Komitee ist zusammengetreten, hat ein<lb/>
Programm aufgesetzt, das die &#x201E;Forderungen der rechten Agrarier" enthält, und<lb/>
diese Schrift in Tausenden von Exemplaren an alle landwirtschaftlichen Ver¬<lb/>
eine Deutschlands und an alle bedeutend«! Zeitungen gesandt, um Anhänger<lb/>
zu werben. Dieses Programm schließt sich im wesentlichen den Forderungen<lb/>
Ruprechts an, begründet sie eingehend und erweitert sie in einigen Punkten.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0474] in Verbindung mit Brennerei für die magern Provinzen Preußens im Osten der Elbe ist schon so oft auseinandergesetzt worden, daß wir hier auf weitere Ausführungen verzichten können. Für die, denen die Steuerlast der Brenne¬ reien noch immer nicht groß genug erscheint, sei nur darauf hingewiesen, daß landwirtschaftliche Brennereien in Ost- und Westpreußen, die in den letzten Jahren durch Feuer zerstört wurden, von ihren Besitzern als unrentabel nicht wieder aufgebaut worden sind! Wir kommen zu den Handelsverträgen, dem Hauptstttck der hente zu Tage getretner Unzufriedenheit. Man schimpft ans dem Lande laut über den österreichischen Vertrag, der mit einem Schlage die Schutzzölle auf Weizen und Roggen ans allen andern Ländern mit einziger Ausnahme Rußlands von 5 Mark für 100 Kilo auf 3,50 Mark herabgesetzt hat. Mau häugt die Namen der Landwirte, die als Reichstagsabgeorducte dem Vertrage zugestimmt haben, an den Pranger und schmäht diese Männer ob ihrer thörichten Unterwerfung unter die Regierung und ihres Verrath an der heimischen Landwirtschaft. Dabei verläßt die Schreier gänzlich das Gedächtnis. Sie haben, wie es scheint, keine Ahnung mehr davon, daß in der Zeit, wo dieser Handelsvertrag abge¬ schlossen wurde, das Reich sich in einer Zwangslage befand, daß namentlich die Hauptnahrung der Armen, der Roggen, einen so hohen Preis erreicht hatte, wie ihn auch die verbissensten Schutzzöllner früher nie mit einem Schutzzoll für vereinbar gehalten hatten, und der zu den traurigsten Verhältnissen bei einem sehr großen Teil der Arbeiterbevölkerung, -nicht bloß in den Städten und Industriebezirken, souderu nachweisbar auf dem Laude selbst geführt hatte. Herr Ruprecht wirft deu Abgeordneten, die uach ihrem besten Wissen und Ge¬ wissen für die Herabsetzung des Zolls gestimmt haben, die gröbsten Belei¬ digungen ins Gesicht und geberdet sich, als ob er und seine Gesinnungs¬ genossen ganz allein im deutschen Reiche hausten. Vielleicht die größere Hälfte der deutschen Landwirte, billig denkende, ernste Männer, werden einen solchen krassen Egoismus verwerfen und werden zugestehen, daß ein aller Wahrschein¬ lichkeit nach auf längere Zeit festgelegter Zoll von 3,50 Mark ans Brodgetreide ein ausreichender Schutz der deutscheu Landwirtschaft sei. Augenblicklich richtet sich der Kampf mit Wut gegen den Abschluß eines Handelsvertrags mit Ru߬ land ans gleicher Grundlage, und es wird der Regierung mit crhobner Faust gedroht, wenn sie gewillt sei, auch hier den Zoll herabzusetzen. Der Artikel des Herrn Ruprecht hat, wie schon erwähnt, eine große Zahl von Landwirten zu lautem Beifallsjubel fortgerissen, ein Komitee ist zusammengetreten, hat ein Programm aufgesetzt, das die „Forderungen der rechten Agrarier" enthält, und diese Schrift in Tausenden von Exemplaren an alle landwirtschaftlichen Ver¬ eine Deutschlands und an alle bedeutend«! Zeitungen gesandt, um Anhänger zu werben. Dieses Programm schließt sich im wesentlichen den Forderungen Ruprechts an, begründet sie eingehend und erweitert sie in einigen Punkten.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/474
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/474>, abgerufen am 29.11.2024.