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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Lorisande

Seien Sie nicht so vvrlnnt! schalt die Gräfin. Das Mädchen kennt ihre
Stellung gar nicht! seufzte sie, zu ihrem Besuch gewandt. Ich denke, daß ich
bald einen braven Manu für sie finde, vielleicht einen Gntspächter. Aber
lassen wir das. Du siehst reizend aus, Coriscmde! Sie sah das junge Mädchen
mit strahlenden Augen an.

Habe ich es nicht immer gesagt, daß du sehr hübsch aussehen könntest?
Deine Mutter behauptet, du hättest nur k>SMt,0 6s eka^Is, aber das ist nicht
wahr. Wenn dn wie heute ein Helles Kleid trägst, dazu an der Brust frische
Rosen, dann finde ich dich entzückend. Prinz Christian hat mir neulich etwas
ähnliches über dich gesagt, und er ist ein feiner Kenner von Frauenschönheit.
Auch Alfred findet dich hübsch, obgleich er erst ein wenig zweifelhaft war.
Jetzt aber hat er sich sehr entschieden darüber ausgesprochen. Ganz gewiß,
Kleine, er findet dich hübsch!

Die Gräfin schwieg und sah nach den weißen Jasminzweigen über ihrem
Haupte.

Alfred war der Verlobte von Fräulein Corisande, sagte die Gesellschaf¬
terin leise zu der Fremden, die sich hilflos umsah, als wäre sie eine Gefangne.

Wenn Sie mich noch einmal unterbrechen, Ahlborn, dann packen Sie
noch heute Ihren Koffer! rief die Gräfin aufgeregt. Sobald sie aber wieder
in das junge Gesicht neben sich blickte, nahmen ihre Augen wieder einen zärt¬
lichen Ausdruck an.

Weißt du noch, Kleine, daß dn ihn much zuerst nicht besonders gern
hattest? Nun, solche abgeredete Partien sind nicht immer angenehm; von ihrer
Notwendigkeit bin ich aber doch überzeugt. In unserm Stande muß man sich
hüte", von seinem Herzen zu sprechen, man könnte sentimental werden, und
das schickt sich nicht sür uns. Auch du, Corisande, dachtest nicht darüber nach,
ob du den Mann liebtest, den dir deine Eltern bestimmten. Schweigend thatest
dn, was sie von dir verlangten, dein Herz schlug nicht höher, als dn Braut
wurdest. Was ist denn überhaupt die Liebe?

Die Gräfin lachte laut.

Die Liebe -- sie wiederholte das Wort noch einmal -- ist ein Rausch,
eine Idee, manchmal nur eine Gedankenlosigkeit. So, Kleine, sprachen wir
über sie, und du sahst mich immer so nnschuldsvvll mit deinen blauen Augen
an, weil dn von der Welt und ihrer Arglist nichts verstandest. Bewahre dir
deine Unschuld, denn bei uns giebt es mich keine Liebe. Vielleicht findet man
sie bei den ganz gewöhnlichen Menschen, die nicht zu Hofe kommen und den
ganzen Tag nichts zu denken haben. Bei diesen Leuten kann die Liebe wohl
vorkommen, bei uns nicht. Du siehst doch auch, Corisande, daß ich meinen
Gemahl nicht liebe, und daß er sich ans mir nicht das geringste macht.
So ist es immer in unsern Kreisen, und es ist gut so. Mein Gemahl ist ein
hübscher Mann, und ich weiß genau, daß er irgendwo in der Vorstadt ein


Lorisande

Seien Sie nicht so vvrlnnt! schalt die Gräfin. Das Mädchen kennt ihre
Stellung gar nicht! seufzte sie, zu ihrem Besuch gewandt. Ich denke, daß ich
bald einen braven Manu für sie finde, vielleicht einen Gntspächter. Aber
lassen wir das. Du siehst reizend aus, Coriscmde! Sie sah das junge Mädchen
mit strahlenden Augen an.

Habe ich es nicht immer gesagt, daß du sehr hübsch aussehen könntest?
Deine Mutter behauptet, du hättest nur k>SMt,0 6s eka^Is, aber das ist nicht
wahr. Wenn dn wie heute ein Helles Kleid trägst, dazu an der Brust frische
Rosen, dann finde ich dich entzückend. Prinz Christian hat mir neulich etwas
ähnliches über dich gesagt, und er ist ein feiner Kenner von Frauenschönheit.
Auch Alfred findet dich hübsch, obgleich er erst ein wenig zweifelhaft war.
Jetzt aber hat er sich sehr entschieden darüber ausgesprochen. Ganz gewiß,
Kleine, er findet dich hübsch!

Die Gräfin schwieg und sah nach den weißen Jasminzweigen über ihrem
Haupte.

Alfred war der Verlobte von Fräulein Corisande, sagte die Gesellschaf¬
terin leise zu der Fremden, die sich hilflos umsah, als wäre sie eine Gefangne.

Wenn Sie mich noch einmal unterbrechen, Ahlborn, dann packen Sie
noch heute Ihren Koffer! rief die Gräfin aufgeregt. Sobald sie aber wieder
in das junge Gesicht neben sich blickte, nahmen ihre Augen wieder einen zärt¬
lichen Ausdruck an.

Weißt du noch, Kleine, daß dn ihn much zuerst nicht besonders gern
hattest? Nun, solche abgeredete Partien sind nicht immer angenehm; von ihrer
Notwendigkeit bin ich aber doch überzeugt. In unserm Stande muß man sich
hüte», von seinem Herzen zu sprechen, man könnte sentimental werden, und
das schickt sich nicht sür uns. Auch du, Corisande, dachtest nicht darüber nach,
ob du den Mann liebtest, den dir deine Eltern bestimmten. Schweigend thatest
dn, was sie von dir verlangten, dein Herz schlug nicht höher, als dn Braut
wurdest. Was ist denn überhaupt die Liebe?

Die Gräfin lachte laut.

Die Liebe — sie wiederholte das Wort noch einmal — ist ein Rausch,
eine Idee, manchmal nur eine Gedankenlosigkeit. So, Kleine, sprachen wir
über sie, und du sahst mich immer so nnschuldsvvll mit deinen blauen Augen
an, weil dn von der Welt und ihrer Arglist nichts verstandest. Bewahre dir
deine Unschuld, denn bei uns giebt es mich keine Liebe. Vielleicht findet man
sie bei den ganz gewöhnlichen Menschen, die nicht zu Hofe kommen und den
ganzen Tag nichts zu denken haben. Bei diesen Leuten kann die Liebe wohl
vorkommen, bei uns nicht. Du siehst doch auch, Corisande, daß ich meinen
Gemahl nicht liebe, und daß er sich ans mir nicht das geringste macht.
So ist es immer in unsern Kreisen, und es ist gut so. Mein Gemahl ist ein
hübscher Mann, und ich weiß genau, daß er irgendwo in der Vorstadt ein


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[0453] Lorisande Seien Sie nicht so vvrlnnt! schalt die Gräfin. Das Mädchen kennt ihre Stellung gar nicht! seufzte sie, zu ihrem Besuch gewandt. Ich denke, daß ich bald einen braven Manu für sie finde, vielleicht einen Gntspächter. Aber lassen wir das. Du siehst reizend aus, Coriscmde! Sie sah das junge Mädchen mit strahlenden Augen an. Habe ich es nicht immer gesagt, daß du sehr hübsch aussehen könntest? Deine Mutter behauptet, du hättest nur k>SMt,0 6s eka^Is, aber das ist nicht wahr. Wenn dn wie heute ein Helles Kleid trägst, dazu an der Brust frische Rosen, dann finde ich dich entzückend. Prinz Christian hat mir neulich etwas ähnliches über dich gesagt, und er ist ein feiner Kenner von Frauenschönheit. Auch Alfred findet dich hübsch, obgleich er erst ein wenig zweifelhaft war. Jetzt aber hat er sich sehr entschieden darüber ausgesprochen. Ganz gewiß, Kleine, er findet dich hübsch! Die Gräfin schwieg und sah nach den weißen Jasminzweigen über ihrem Haupte. Alfred war der Verlobte von Fräulein Corisande, sagte die Gesellschaf¬ terin leise zu der Fremden, die sich hilflos umsah, als wäre sie eine Gefangne. Wenn Sie mich noch einmal unterbrechen, Ahlborn, dann packen Sie noch heute Ihren Koffer! rief die Gräfin aufgeregt. Sobald sie aber wieder in das junge Gesicht neben sich blickte, nahmen ihre Augen wieder einen zärt¬ lichen Ausdruck an. Weißt du noch, Kleine, daß dn ihn much zuerst nicht besonders gern hattest? Nun, solche abgeredete Partien sind nicht immer angenehm; von ihrer Notwendigkeit bin ich aber doch überzeugt. In unserm Stande muß man sich hüte», von seinem Herzen zu sprechen, man könnte sentimental werden, und das schickt sich nicht sür uns. Auch du, Corisande, dachtest nicht darüber nach, ob du den Mann liebtest, den dir deine Eltern bestimmten. Schweigend thatest dn, was sie von dir verlangten, dein Herz schlug nicht höher, als dn Braut wurdest. Was ist denn überhaupt die Liebe? Die Gräfin lachte laut. Die Liebe — sie wiederholte das Wort noch einmal — ist ein Rausch, eine Idee, manchmal nur eine Gedankenlosigkeit. So, Kleine, sprachen wir über sie, und du sahst mich immer so nnschuldsvvll mit deinen blauen Augen an, weil dn von der Welt und ihrer Arglist nichts verstandest. Bewahre dir deine Unschuld, denn bei uns giebt es mich keine Liebe. Vielleicht findet man sie bei den ganz gewöhnlichen Menschen, die nicht zu Hofe kommen und den ganzen Tag nichts zu denken haben. Bei diesen Leuten kann die Liebe wohl vorkommen, bei uns nicht. Du siehst doch auch, Corisande, daß ich meinen Gemahl nicht liebe, und daß er sich ans mir nicht das geringste macht. So ist es immer in unsern Kreisen, und es ist gut so. Mein Gemahl ist ein hübscher Mann, und ich weiß genau, daß er irgendwo in der Vorstadt ein

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/453>, abgerufen am 27.11.2024.