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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Lorisande

Einige der Anwesende" murmelten eine Zustimmung; dann wurde noch
etwas Wein getrunken, und Fräulein Ahlborn brachte die heute eingetrosfne
Pension. Gewissenhaft wurde sie verteilt, und als die kleine Baronin ein dickes
Packet Banknoten in der Tasche ihres Mannes verschwinden sah, empfand auch
sie große Dankbarkeit gegen die Vorsehung. Das hinderte sie aber nicht,
während sie Fräulein Ahlborn beim Abschiede noch Austern und Champagner
für die Gräfin empfahl, im stillen den lieben Gott zu bitten, sie selbst doch
nicht so entsetzlich alt werden zu lassen.

Als sich die Verwandten alle schnell verabschiedet hatten, saß die Gräfin
am Fenster und sah den Davoneilenden uach.

Ahlboru, sagte sie verwundert, sollten das Lolos Kinder gewesen sein?

Ja, Ihro Gnaden; es waren die Kinder von Komteß Lolo!

Wie alt kommen die mir vor! Es scheinen keine Kinder mehr zu sein.

Die Frau Baronin ist doch erst stinfuuddreißig! erlaubte sich Fräulein
Ahlboru zu bemerken.

Die alte Dame erhob abwehrend die Hände. Sprechen Sie nicht von
so abscheulich hohen Zahlen, Ahlborn! Ich will es nicht wissen, wie alt die
Menschen sind, es regt mich auf! Sie mit Ihrer jugendlichen Unbedachtsamkeit
passen nicht für mich, Ahlboru. Sie müssen heiraten, das ist die beste Lösung
für Sie. Ich werde mich nach einer Partie für Sie umsehen, dann können
Sie mich verlassen. Haben Sie mich verstanden?

Gewiß, Euer Gnaden; ich werde gehen.

Da kommen die Kinder aus der Schule! sagte die Gräfin, und über ihr
welkes Gesicht glitt ein flüchtiger Freudenstrahl. Bringen Sie doch den
Kleinen Kuchen, und sorgen Sie dafür, daß sie morgen Schokolade bekommen!

Dann schlief sie ein.

Wenn die heißen Sommertnge kamen, so saß die Gräfin in ihrem Garten.
Dort war es kühl und schattig, und da an der einen Seite ihres Besitztums
ein kleiner Landsee lag, so fehlte es ihr auch nicht an einer gelegentlichen Ab¬
wechslung. Hier flogen die Möwen über den glatten Wasserspiegel, aus dem
Schilf flatterten wilde Enten, und hin und wieder glitt ein Schiffchen vorbei.
Die Kahnfahrer saugen anch, manchmal lustige, manchmal traurige Lieder.
Dann hob die alte Gräfin den Kopf und lauschte. Sie summte wohl auch
selbst ein Liebchen, bis sie die Melodie vergaß und sich mit einem suchenden
Blick umsah. Aber die Melodie kam nicht wieder, und endlich schlief die Gräfin ein.
Aber auch unter den blühenden Büschen des Gartens sehnte sie sich nach Ju-
gend und nach lachenden Gesichtern, und wenn es Fräulein Ahlboru gelang,
einiger jungen Mädchen habhaft zu werden, so war ihre alte Herrin sehr erfreut.
Sie kamen nur nicht gern, diese jungen, eben erblühten Mädchenknospen, und wenn
sie konnten, verschwanden sie schnell wieder. Sie behaupteten, es sei ihnen
bange vor der gespenstischen Gräfin, und Fräulein Ahlbvrn hatte ihre liebe


Lorisande

Einige der Anwesende» murmelten eine Zustimmung; dann wurde noch
etwas Wein getrunken, und Fräulein Ahlborn brachte die heute eingetrosfne
Pension. Gewissenhaft wurde sie verteilt, und als die kleine Baronin ein dickes
Packet Banknoten in der Tasche ihres Mannes verschwinden sah, empfand auch
sie große Dankbarkeit gegen die Vorsehung. Das hinderte sie aber nicht,
während sie Fräulein Ahlborn beim Abschiede noch Austern und Champagner
für die Gräfin empfahl, im stillen den lieben Gott zu bitten, sie selbst doch
nicht so entsetzlich alt werden zu lassen.

Als sich die Verwandten alle schnell verabschiedet hatten, saß die Gräfin
am Fenster und sah den Davoneilenden uach.

Ahlboru, sagte sie verwundert, sollten das Lolos Kinder gewesen sein?

Ja, Ihro Gnaden; es waren die Kinder von Komteß Lolo!

Wie alt kommen die mir vor! Es scheinen keine Kinder mehr zu sein.

Die Frau Baronin ist doch erst stinfuuddreißig! erlaubte sich Fräulein
Ahlboru zu bemerken.

Die alte Dame erhob abwehrend die Hände. Sprechen Sie nicht von
so abscheulich hohen Zahlen, Ahlborn! Ich will es nicht wissen, wie alt die
Menschen sind, es regt mich auf! Sie mit Ihrer jugendlichen Unbedachtsamkeit
passen nicht für mich, Ahlboru. Sie müssen heiraten, das ist die beste Lösung
für Sie. Ich werde mich nach einer Partie für Sie umsehen, dann können
Sie mich verlassen. Haben Sie mich verstanden?

Gewiß, Euer Gnaden; ich werde gehen.

Da kommen die Kinder aus der Schule! sagte die Gräfin, und über ihr
welkes Gesicht glitt ein flüchtiger Freudenstrahl. Bringen Sie doch den
Kleinen Kuchen, und sorgen Sie dafür, daß sie morgen Schokolade bekommen!

Dann schlief sie ein.

Wenn die heißen Sommertnge kamen, so saß die Gräfin in ihrem Garten.
Dort war es kühl und schattig, und da an der einen Seite ihres Besitztums
ein kleiner Landsee lag, so fehlte es ihr auch nicht an einer gelegentlichen Ab¬
wechslung. Hier flogen die Möwen über den glatten Wasserspiegel, aus dem
Schilf flatterten wilde Enten, und hin und wieder glitt ein Schiffchen vorbei.
Die Kahnfahrer saugen anch, manchmal lustige, manchmal traurige Lieder.
Dann hob die alte Gräfin den Kopf und lauschte. Sie summte wohl auch
selbst ein Liebchen, bis sie die Melodie vergaß und sich mit einem suchenden
Blick umsah. Aber die Melodie kam nicht wieder, und endlich schlief die Gräfin ein.
Aber auch unter den blühenden Büschen des Gartens sehnte sie sich nach Ju-
gend und nach lachenden Gesichtern, und wenn es Fräulein Ahlboru gelang,
einiger jungen Mädchen habhaft zu werden, so war ihre alte Herrin sehr erfreut.
Sie kamen nur nicht gern, diese jungen, eben erblühten Mädchenknospen, und wenn
sie konnten, verschwanden sie schnell wieder. Sie behaupteten, es sei ihnen
bange vor der gespenstischen Gräfin, und Fräulein Ahlbvrn hatte ihre liebe


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[0450] Lorisande Einige der Anwesende» murmelten eine Zustimmung; dann wurde noch etwas Wein getrunken, und Fräulein Ahlborn brachte die heute eingetrosfne Pension. Gewissenhaft wurde sie verteilt, und als die kleine Baronin ein dickes Packet Banknoten in der Tasche ihres Mannes verschwinden sah, empfand auch sie große Dankbarkeit gegen die Vorsehung. Das hinderte sie aber nicht, während sie Fräulein Ahlborn beim Abschiede noch Austern und Champagner für die Gräfin empfahl, im stillen den lieben Gott zu bitten, sie selbst doch nicht so entsetzlich alt werden zu lassen. Als sich die Verwandten alle schnell verabschiedet hatten, saß die Gräfin am Fenster und sah den Davoneilenden uach. Ahlboru, sagte sie verwundert, sollten das Lolos Kinder gewesen sein? Ja, Ihro Gnaden; es waren die Kinder von Komteß Lolo! Wie alt kommen die mir vor! Es scheinen keine Kinder mehr zu sein. Die Frau Baronin ist doch erst stinfuuddreißig! erlaubte sich Fräulein Ahlboru zu bemerken. Die alte Dame erhob abwehrend die Hände. Sprechen Sie nicht von so abscheulich hohen Zahlen, Ahlborn! Ich will es nicht wissen, wie alt die Menschen sind, es regt mich auf! Sie mit Ihrer jugendlichen Unbedachtsamkeit passen nicht für mich, Ahlboru. Sie müssen heiraten, das ist die beste Lösung für Sie. Ich werde mich nach einer Partie für Sie umsehen, dann können Sie mich verlassen. Haben Sie mich verstanden? Gewiß, Euer Gnaden; ich werde gehen. Da kommen die Kinder aus der Schule! sagte die Gräfin, und über ihr welkes Gesicht glitt ein flüchtiger Freudenstrahl. Bringen Sie doch den Kleinen Kuchen, und sorgen Sie dafür, daß sie morgen Schokolade bekommen! Dann schlief sie ein. Wenn die heißen Sommertnge kamen, so saß die Gräfin in ihrem Garten. Dort war es kühl und schattig, und da an der einen Seite ihres Besitztums ein kleiner Landsee lag, so fehlte es ihr auch nicht an einer gelegentlichen Ab¬ wechslung. Hier flogen die Möwen über den glatten Wasserspiegel, aus dem Schilf flatterten wilde Enten, und hin und wieder glitt ein Schiffchen vorbei. Die Kahnfahrer saugen anch, manchmal lustige, manchmal traurige Lieder. Dann hob die alte Gräfin den Kopf und lauschte. Sie summte wohl auch selbst ein Liebchen, bis sie die Melodie vergaß und sich mit einem suchenden Blick umsah. Aber die Melodie kam nicht wieder, und endlich schlief die Gräfin ein. Aber auch unter den blühenden Büschen des Gartens sehnte sie sich nach Ju- gend und nach lachenden Gesichtern, und wenn es Fräulein Ahlboru gelang, einiger jungen Mädchen habhaft zu werden, so war ihre alte Herrin sehr erfreut. Sie kamen nur nicht gern, diese jungen, eben erblühten Mädchenknospen, und wenn sie konnten, verschwanden sie schnell wieder. Sie behaupteten, es sei ihnen bange vor der gespenstischen Gräfin, und Fräulein Ahlbvrn hatte ihre liebe

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/450>, abgerufen am 27.11.2024.