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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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wie Ludwig pietsch Schriftsteller wurde

in seinen Erinnerungen, wie wehrlos damals der Zeichner gegenüber dem
Holzschneider war, der des Zeichners beste Absichten fast immer verdarb, weil
man die scheinbar so einfache Methode, unmittelbar ans den Holzstock zu zeichnen,
noch nicht erfunden hatte. Noch schlimmer war es mit der Technik der Ra-
dirnng bestellt. Von seinen Radirvcrsnchen sagt Pietsch nur wenige Worte,
und doch verdienen sie vor der Vergessenheit bewahrt zu werden, nicht wegen
ihres künstlerischen Wertes, sondern wegen der naiven Freudigkeit, mit der
Pietsch um die Mitte der fünfziger Jahre eine Kunst übte, deren höchste Blute
er dann gesehen und mit beredter Zunge oft gepriesen hat. Seine Radirver-
suche erschienen in dem von Fr. Eggers herausgegebnen "Deutschen Kunst¬
blatt," der erste noch ohne den Namen oder das Monogramm des Urhebers
(im Jahrgang 1853 das von Bläser geschaffne Standbild des Bürgermeisters
Franke für Magdeburg), vermutlich aus begründeter Scheu, weil sich die Technik
ausschließlich auf die Wirkung der reinen Nadelarbeit ohne jede Beihilfe des
Druckers verlassen mußte und dazu schon eine sehr geübte Hand nötig war,
um wenigstens etwas einigermaßen Erträgliches und Erfreuliches zustande zu
bringen. Ans den folgenden Radirungen nannte sich schon der Künstler, der
sich inzwischen auch durch gemalte und gezeichnete Bildnisse und Bildnisstudien
bekannt gemacht und aus ihrem Erlös eine Besserung seiner wirtschaftlichen
Lage errungen hatte. Ein warmes Gcleitswort ans den Weg künstlerischen
Schaffens hatte ihm Wilhelm Lübke im Jahrgang 1854 des "Deutschen Kunst¬
blattes" mitgegeben, zur größten Überraschung und Beschämung des Künstlers,
der auf solche Ehre nicht gefaßt war. In seineu Erinnerungen berührt
Pietsch diese Episode seines Lebens nur kurz. Vielleicht hat er vergessen,
was Lübke damals über ihn geschrieben hat, und doch sind es gewissermaßen
prophetische Worte, die freilich nicht der Maler, aber der Schriftsteller erfüllt
hat. Ein in Öl gemaltes weibliches Porträt und das in Kreide gezeichnete
Bildnis einer jungen Mutter mit einem Säugling an der Brust bestimmten
"üble zu dem Urteil, "daß der Künstler, der sie entworfen, ein offnes Ange,
einen scharfen Blick für jenen tiefern Inhalt des Lebens hat, der sich oft in
anspruchsloser Hülle birgt, und daß er, weit entfernt durch das Aufdrehen
einer gewissen Niedlichkeit, die so oft den Erscheinungen ihre charakteristische
Spitze abbricht und sie dadurch flach und in schlimmer Weise verallgemeinert
darstellt, gerade umgekehrt mit vollem Bewußtsein und entschiednen Erfolge
das Individuelle in der tiefsten Eigentümlichkeit seines Wesens betont."

Auch in de" spätern Radirungen nach Schöpfungen der in fröhlichem
Aufblühen begriffnen Berliner Bildhauerschule, die Pietsch für das "Deutsche
Kunstblatt" gefertigt hat, ist er der Technik nicht Herr geworden. Er konnte
die Härten der Mvdellirnng nicht überwinden, und zu einer gefälligen male¬
rischen Wirkung ist er niemals gelangt. Um so ansprechender und wirksamer
waren dagegen seine Steinzeichnungen. Den letzten Jahrgang des "Deutschen


Grenzboten I 1893 SS
wie Ludwig pietsch Schriftsteller wurde

in seinen Erinnerungen, wie wehrlos damals der Zeichner gegenüber dem
Holzschneider war, der des Zeichners beste Absichten fast immer verdarb, weil
man die scheinbar so einfache Methode, unmittelbar ans den Holzstock zu zeichnen,
noch nicht erfunden hatte. Noch schlimmer war es mit der Technik der Ra-
dirnng bestellt. Von seinen Radirvcrsnchen sagt Pietsch nur wenige Worte,
und doch verdienen sie vor der Vergessenheit bewahrt zu werden, nicht wegen
ihres künstlerischen Wertes, sondern wegen der naiven Freudigkeit, mit der
Pietsch um die Mitte der fünfziger Jahre eine Kunst übte, deren höchste Blute
er dann gesehen und mit beredter Zunge oft gepriesen hat. Seine Radirver-
suche erschienen in dem von Fr. Eggers herausgegebnen „Deutschen Kunst¬
blatt," der erste noch ohne den Namen oder das Monogramm des Urhebers
(im Jahrgang 1853 das von Bläser geschaffne Standbild des Bürgermeisters
Franke für Magdeburg), vermutlich aus begründeter Scheu, weil sich die Technik
ausschließlich auf die Wirkung der reinen Nadelarbeit ohne jede Beihilfe des
Druckers verlassen mußte und dazu schon eine sehr geübte Hand nötig war,
um wenigstens etwas einigermaßen Erträgliches und Erfreuliches zustande zu
bringen. Ans den folgenden Radirungen nannte sich schon der Künstler, der
sich inzwischen auch durch gemalte und gezeichnete Bildnisse und Bildnisstudien
bekannt gemacht und aus ihrem Erlös eine Besserung seiner wirtschaftlichen
Lage errungen hatte. Ein warmes Gcleitswort ans den Weg künstlerischen
Schaffens hatte ihm Wilhelm Lübke im Jahrgang 1854 des „Deutschen Kunst¬
blattes" mitgegeben, zur größten Überraschung und Beschämung des Künstlers,
der auf solche Ehre nicht gefaßt war. In seineu Erinnerungen berührt
Pietsch diese Episode seines Lebens nur kurz. Vielleicht hat er vergessen,
was Lübke damals über ihn geschrieben hat, und doch sind es gewissermaßen
prophetische Worte, die freilich nicht der Maler, aber der Schriftsteller erfüllt
hat. Ein in Öl gemaltes weibliches Porträt und das in Kreide gezeichnete
Bildnis einer jungen Mutter mit einem Säugling an der Brust bestimmten
"üble zu dem Urteil, „daß der Künstler, der sie entworfen, ein offnes Ange,
einen scharfen Blick für jenen tiefern Inhalt des Lebens hat, der sich oft in
anspruchsloser Hülle birgt, und daß er, weit entfernt durch das Aufdrehen
einer gewissen Niedlichkeit, die so oft den Erscheinungen ihre charakteristische
Spitze abbricht und sie dadurch flach und in schlimmer Weise verallgemeinert
darstellt, gerade umgekehrt mit vollem Bewußtsein und entschiednen Erfolge
das Individuelle in der tiefsten Eigentümlichkeit seines Wesens betont."

Auch in de» spätern Radirungen nach Schöpfungen der in fröhlichem
Aufblühen begriffnen Berliner Bildhauerschule, die Pietsch für das „Deutsche
Kunstblatt" gefertigt hat, ist er der Technik nicht Herr geworden. Er konnte
die Härten der Mvdellirnng nicht überwinden, und zu einer gefälligen male¬
rischen Wirkung ist er niemals gelangt. Um so ansprechender und wirksamer
waren dagegen seine Steinzeichnungen. Den letzten Jahrgang des „Deutschen


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[0443] wie Ludwig pietsch Schriftsteller wurde in seinen Erinnerungen, wie wehrlos damals der Zeichner gegenüber dem Holzschneider war, der des Zeichners beste Absichten fast immer verdarb, weil man die scheinbar so einfache Methode, unmittelbar ans den Holzstock zu zeichnen, noch nicht erfunden hatte. Noch schlimmer war es mit der Technik der Ra- dirnng bestellt. Von seinen Radirvcrsnchen sagt Pietsch nur wenige Worte, und doch verdienen sie vor der Vergessenheit bewahrt zu werden, nicht wegen ihres künstlerischen Wertes, sondern wegen der naiven Freudigkeit, mit der Pietsch um die Mitte der fünfziger Jahre eine Kunst übte, deren höchste Blute er dann gesehen und mit beredter Zunge oft gepriesen hat. Seine Radirver- suche erschienen in dem von Fr. Eggers herausgegebnen „Deutschen Kunst¬ blatt," der erste noch ohne den Namen oder das Monogramm des Urhebers (im Jahrgang 1853 das von Bläser geschaffne Standbild des Bürgermeisters Franke für Magdeburg), vermutlich aus begründeter Scheu, weil sich die Technik ausschließlich auf die Wirkung der reinen Nadelarbeit ohne jede Beihilfe des Druckers verlassen mußte und dazu schon eine sehr geübte Hand nötig war, um wenigstens etwas einigermaßen Erträgliches und Erfreuliches zustande zu bringen. Ans den folgenden Radirungen nannte sich schon der Künstler, der sich inzwischen auch durch gemalte und gezeichnete Bildnisse und Bildnisstudien bekannt gemacht und aus ihrem Erlös eine Besserung seiner wirtschaftlichen Lage errungen hatte. Ein warmes Gcleitswort ans den Weg künstlerischen Schaffens hatte ihm Wilhelm Lübke im Jahrgang 1854 des „Deutschen Kunst¬ blattes" mitgegeben, zur größten Überraschung und Beschämung des Künstlers, der auf solche Ehre nicht gefaßt war. In seineu Erinnerungen berührt Pietsch diese Episode seines Lebens nur kurz. Vielleicht hat er vergessen, was Lübke damals über ihn geschrieben hat, und doch sind es gewissermaßen prophetische Worte, die freilich nicht der Maler, aber der Schriftsteller erfüllt hat. Ein in Öl gemaltes weibliches Porträt und das in Kreide gezeichnete Bildnis einer jungen Mutter mit einem Säugling an der Brust bestimmten "üble zu dem Urteil, „daß der Künstler, der sie entworfen, ein offnes Ange, einen scharfen Blick für jenen tiefern Inhalt des Lebens hat, der sich oft in anspruchsloser Hülle birgt, und daß er, weit entfernt durch das Aufdrehen einer gewissen Niedlichkeit, die so oft den Erscheinungen ihre charakteristische Spitze abbricht und sie dadurch flach und in schlimmer Weise verallgemeinert darstellt, gerade umgekehrt mit vollem Bewußtsein und entschiednen Erfolge das Individuelle in der tiefsten Eigentümlichkeit seines Wesens betont." Auch in de» spätern Radirungen nach Schöpfungen der in fröhlichem Aufblühen begriffnen Berliner Bildhauerschule, die Pietsch für das „Deutsche Kunstblatt" gefertigt hat, ist er der Technik nicht Herr geworden. Er konnte die Härten der Mvdellirnng nicht überwinden, und zu einer gefälligen male¬ rischen Wirkung ist er niemals gelangt. Um so ansprechender und wirksamer waren dagegen seine Steinzeichnungen. Den letzten Jahrgang des „Deutschen Grenzboten I 1893 SS

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/443>, abgerufen am 27.11.2024.