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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Die Sprache des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuchs

der Hausknecht meldet: "Der Gast ist hinausgesteckt," so meldet er richtig,
denn er will uicht den Vorgang mitteilen, sondern die Thatsache, daß der
Gast jetzt draußen ist. Die Scheiben sind ins Fenster eingelassen -- das ist
der dauernde Zustand; aber der Dieb ist hereingelassen worden, denn nicht
das Drinsein, sondern die Art seines Eindringens soll festgestellt werden. Doch
wir brauchen die Beispiele nicht außerhalb des Entwurfs zu suchen.

Es leuchtet ein, daß es grundverschieden ist, ob ich von jemand sage,
daß ihm die Freiheit entzogen ist, oder daß sie ihm entzogen worden ist;
im ersten Falle melde ich einen gegenwärtigen Zustand, im zweiten ein Er¬
eignis. Wenn es nun in § 728 heißt: "Demjenigen, welchem die Freiheit
entzogen ist, kann eine Entschädigung zugesprochen werden," so wird dort als
Voraussetzung der Entschädigung fälschlich ein gegenwärtiger Zustand der
Unfreiheit hingestellt, wahrend es doch thatsächlich nur auf das Entzogen-
wordensein ankommt. Derselbe Fehler findet sich in den 88 81, 98, 104,
411, 729. 741, 875, 879, 936 Abs. 3, 957 Abs. 3, 1112 Abs. 2, 1251 Abs. 2,
1572 Abs. 1 und 2, 1783 und an zahlreichen andern Stellen. Die Fälle
des § 1572 enthalten Fehler, die über alle Begriffe stark sind.

Richtig ist die Weglassung des worden in § 1640: "Unfähig, Bormund
zu sein, ist: 3. wer der bürgerlichen Ehrenrechte für verlustig erklärt ist";
denn die Unfähigkeit beschränkt sich auf die Zeit, für die die Entziehung der
Ehrenrechte ausgesprochen worden ist. Eine scharfe Beleuchtung des Fehlers
giebt § 767: "Eine Vereinbarung, durch welche das Recht, die Aufhebung
der Gemeinschaft zu verlangen, für alle Zeit oder für einen längern Zeitraum
als dreißig Jahre ausgeschlossen ist, tritt nach Ablauf vou dreißig Jahren außer
Kraft." Also: eine Aufhebung, die für länger als dreißig Jahre ausgeschlossen
ist, ist nicht für länger als dreißig Jahre ausgeschlossen! Nein, sie ist nicht
sür länger ausgeschlossen, obschon sie für länger ausgeschlossen worden ist.
In H 1014, der einen ähnlichen Fall behandelt, ist das worden richtig hinzu¬
gefügt. Die Weglassung wird überhaupt uicht beständig geübt. Merkwürdiger¬
weise begehen aber die Verfasser auch den umgekehrtem Fehler, d. h. sie schieben
das worden vielfach ein, wo es gar nicht am Platze ist. So z. B. in Z 1666:
"Der Vormund soll die Anlegung (von Geldern), wenn ein Gegenvormund
bestellt worden ist, nur mit Genehmigung desselben bewirken." Hier ist nicht
vou der Bestelluugshandlung, sondern vou dem Vorhandensein eines Gegeuvor-
muuds die Rede. Derselbe Fehler findet sich u. a. in deu 1679, 1687
Abs. 6.

Entschied"" Verurteilung verdient auch die regelwidrige Stellung, die man
dein persönlichen Fürwort sich anweist. Feststehende Regel ist, daß das per¬
sönliche Fürwort seinen Platz im Satze so weit als möglich vorn erhält. Eine
Ausnahme grammatischer Art findet statt, wenn das Subjekt selber ein per¬
sönliches Fürwort ist. Ausnahmen andrer Art können gerechtfertigt sein aus


Grenzboten I 1893 5>
Die Sprache des Entwurfs eines bürgerlichen Gesetzbuchs

der Hausknecht meldet: „Der Gast ist hinausgesteckt," so meldet er richtig,
denn er will uicht den Vorgang mitteilen, sondern die Thatsache, daß der
Gast jetzt draußen ist. Die Scheiben sind ins Fenster eingelassen — das ist
der dauernde Zustand; aber der Dieb ist hereingelassen worden, denn nicht
das Drinsein, sondern die Art seines Eindringens soll festgestellt werden. Doch
wir brauchen die Beispiele nicht außerhalb des Entwurfs zu suchen.

Es leuchtet ein, daß es grundverschieden ist, ob ich von jemand sage,
daß ihm die Freiheit entzogen ist, oder daß sie ihm entzogen worden ist;
im ersten Falle melde ich einen gegenwärtigen Zustand, im zweiten ein Er¬
eignis. Wenn es nun in § 728 heißt: „Demjenigen, welchem die Freiheit
entzogen ist, kann eine Entschädigung zugesprochen werden," so wird dort als
Voraussetzung der Entschädigung fälschlich ein gegenwärtiger Zustand der
Unfreiheit hingestellt, wahrend es doch thatsächlich nur auf das Entzogen-
wordensein ankommt. Derselbe Fehler findet sich in den 88 81, 98, 104,
411, 729. 741, 875, 879, 936 Abs. 3, 957 Abs. 3, 1112 Abs. 2, 1251 Abs. 2,
1572 Abs. 1 und 2, 1783 und an zahlreichen andern Stellen. Die Fälle
des § 1572 enthalten Fehler, die über alle Begriffe stark sind.

Richtig ist die Weglassung des worden in § 1640: „Unfähig, Bormund
zu sein, ist: 3. wer der bürgerlichen Ehrenrechte für verlustig erklärt ist";
denn die Unfähigkeit beschränkt sich auf die Zeit, für die die Entziehung der
Ehrenrechte ausgesprochen worden ist. Eine scharfe Beleuchtung des Fehlers
giebt § 767: „Eine Vereinbarung, durch welche das Recht, die Aufhebung
der Gemeinschaft zu verlangen, für alle Zeit oder für einen längern Zeitraum
als dreißig Jahre ausgeschlossen ist, tritt nach Ablauf vou dreißig Jahren außer
Kraft." Also: eine Aufhebung, die für länger als dreißig Jahre ausgeschlossen
ist, ist nicht für länger als dreißig Jahre ausgeschlossen! Nein, sie ist nicht
sür länger ausgeschlossen, obschon sie für länger ausgeschlossen worden ist.
In H 1014, der einen ähnlichen Fall behandelt, ist das worden richtig hinzu¬
gefügt. Die Weglassung wird überhaupt uicht beständig geübt. Merkwürdiger¬
weise begehen aber die Verfasser auch den umgekehrtem Fehler, d. h. sie schieben
das worden vielfach ein, wo es gar nicht am Platze ist. So z. B. in Z 1666:
„Der Vormund soll die Anlegung (von Geldern), wenn ein Gegenvormund
bestellt worden ist, nur mit Genehmigung desselben bewirken." Hier ist nicht
vou der Bestelluugshandlung, sondern vou dem Vorhandensein eines Gegeuvor-
muuds die Rede. Derselbe Fehler findet sich u. a. in deu 1679, 1687
Abs. 6.

Entschied»« Verurteilung verdient auch die regelwidrige Stellung, die man
dein persönlichen Fürwort sich anweist. Feststehende Regel ist, daß das per¬
sönliche Fürwort seinen Platz im Satze so weit als möglich vorn erhält. Eine
Ausnahme grammatischer Art findet statt, wenn das Subjekt selber ein per¬
sönliches Fürwort ist. Ausnahmen andrer Art können gerechtfertigt sein aus


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/43>, abgerufen am 01.09.2024.