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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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sein, glaubte mau damals in dem Juden nur den Menschen erblicken zu dürfen.
Weder in dem Umstände, daß der Jude nicht an die Erlösung durch Christum
glaubt, noch in den Eigentümlichkeiten des Juden sah man einen Grund, daß
dieser nicht ein ebenso guter Staatsbürger sein könne, wie jeder Deutsche.
Diese Anschauungen haben sich dann aus deu Liberalismus übertrage", wie
er sich in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts entwickelt hat, und sie haben
dahin geführt, daß in den meisten deutschen Ländern und schließlich auch im
deutschen Reiche die Juden in allen bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechten
den Deutschen gleichgestellt wurden. Dabei ging man noch besonders von
folgender Annahme aus. Mau sagte: seit Jahrhunderten sind die Juden unter¬
drückt und verfolgt worden. Nur dadurch haben sie die absonderliche Stellung
bekommen, die sie zur Zeit einnehmen. Geben wir sie frei, und erklären wir
sie für gleichberechtigt! dann werden sie ihre Sonderstellung aufgeben und
gute Deutsche werden. Der Verfasser dieses Aufsatzes erinnert sich, daß auch
er, als in seinem Heimatlande (noch vor 1848) die Juden freigegeben wurden,
diese Ansichten gehegt und vertreten hat.

Hat sich diese Annahme nun verwirklicht?

Um uus die Stellung der Juden in unserm Volksleben klar zu machen,
ist es am besten, wenn wir einen Vergleich ziehen. Vor zweihundert Jahren
sind zahlreiche französische Familien vor dem Neligionsdruck aus Frankreich
geflohen und haben sich bei uns niedergelassen. Sie haben auch noch längere
Zeit an annahm Orten ein gewisses Sonderleben geführt, namentlich dadurch,
daß sie besondre Kirchengemeinden gebildet haben. Nun ist der echte Fran¬
zose von keltv-romanischem Typus von dem Deutschen kaum minder verschieden
als der semit. Was ist aber aus diesem fremden Volksstamm geworden?
Noch heute begegnen wir zwar den französischen Namen, die sich in dem männ¬
lichen Geschlechte fortgeerbt haben. Aber ihre Träger sind echte Deutsche ge¬
worden, die sich in nichts von den übrigen Deutschen unterscheiden. Etwas
ähnlichem begegnen wir in den östlichen Ländern Deutschlands, wo zahlreiche
Namen auf slawischen, namentlich polnischen Ursprung hinweisen. Und doch
sind auch deren Träger in nichts von den Deutschen zu unterscheiden.

Diese Erscheinungen haben einen sehr natürlichen Grund. Der Charakter
jedes Volkstums erhält sich durch Vererbung. Wenn der Angehörige eines
fremden Volksstammes eine Deutsche heiratet, so wird in den Nachkommen das
fremde Element nur abgeschwächt auftreten. Und wenn sich diese Nachkommen
wiederum mit deutschem Blute vermischen, so wird in dein nachfolgenden Ge¬
schlechte das fremde Element kaum noch erkennbar sein, und in den weiter"
Geschlechtern wird es vollends verlöschen. Man kann es hiernach als ein
allgemeines Naturgesetz bezeichnen, daß ein kleines Stück fremden Volkstums,
wenn es in einem größern Volke Aufnahme findet, von diesem aufgesogen
wird und als fremdes verschwindet, vorausgesetzt, daß -- es sich von dem


sein, glaubte mau damals in dem Juden nur den Menschen erblicken zu dürfen.
Weder in dem Umstände, daß der Jude nicht an die Erlösung durch Christum
glaubt, noch in den Eigentümlichkeiten des Juden sah man einen Grund, daß
dieser nicht ein ebenso guter Staatsbürger sein könne, wie jeder Deutsche.
Diese Anschauungen haben sich dann aus deu Liberalismus übertrage«, wie
er sich in der ersten Hälfte dieses Jahrhunderts entwickelt hat, und sie haben
dahin geführt, daß in den meisten deutschen Ländern und schließlich auch im
deutschen Reiche die Juden in allen bürgerlichen und staatsbürgerlichen Rechten
den Deutschen gleichgestellt wurden. Dabei ging man noch besonders von
folgender Annahme aus. Mau sagte: seit Jahrhunderten sind die Juden unter¬
drückt und verfolgt worden. Nur dadurch haben sie die absonderliche Stellung
bekommen, die sie zur Zeit einnehmen. Geben wir sie frei, und erklären wir
sie für gleichberechtigt! dann werden sie ihre Sonderstellung aufgeben und
gute Deutsche werden. Der Verfasser dieses Aufsatzes erinnert sich, daß auch
er, als in seinem Heimatlande (noch vor 1848) die Juden freigegeben wurden,
diese Ansichten gehegt und vertreten hat.

Hat sich diese Annahme nun verwirklicht?

Um uus die Stellung der Juden in unserm Volksleben klar zu machen,
ist es am besten, wenn wir einen Vergleich ziehen. Vor zweihundert Jahren
sind zahlreiche französische Familien vor dem Neligionsdruck aus Frankreich
geflohen und haben sich bei uns niedergelassen. Sie haben auch noch längere
Zeit an annahm Orten ein gewisses Sonderleben geführt, namentlich dadurch,
daß sie besondre Kirchengemeinden gebildet haben. Nun ist der echte Fran¬
zose von keltv-romanischem Typus von dem Deutschen kaum minder verschieden
als der semit. Was ist aber aus diesem fremden Volksstamm geworden?
Noch heute begegnen wir zwar den französischen Namen, die sich in dem männ¬
lichen Geschlechte fortgeerbt haben. Aber ihre Träger sind echte Deutsche ge¬
worden, die sich in nichts von den übrigen Deutschen unterscheiden. Etwas
ähnlichem begegnen wir in den östlichen Ländern Deutschlands, wo zahlreiche
Namen auf slawischen, namentlich polnischen Ursprung hinweisen. Und doch
sind auch deren Träger in nichts von den Deutschen zu unterscheiden.

Diese Erscheinungen haben einen sehr natürlichen Grund. Der Charakter
jedes Volkstums erhält sich durch Vererbung. Wenn der Angehörige eines
fremden Volksstammes eine Deutsche heiratet, so wird in den Nachkommen das
fremde Element nur abgeschwächt auftreten. Und wenn sich diese Nachkommen
wiederum mit deutschem Blute vermischen, so wird in dein nachfolgenden Ge¬
schlechte das fremde Element kaum noch erkennbar sein, und in den weiter»
Geschlechtern wird es vollends verlöschen. Man kann es hiernach als ein
allgemeines Naturgesetz bezeichnen, daß ein kleines Stück fremden Volkstums,
wenn es in einem größern Volke Aufnahme findet, von diesem aufgesogen
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/428>, abgerufen am 01.09.2024.