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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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die für das Amt des Lehrers die unerläßlichste Forderung ist, kann nicht be¬
zweifelt werden. Freilich muß in Frage gestellt werden, ob das Maß ihrer
Kenntnisse ausreicht. Das wird oft nichtj der Fall fein. Der Unteroffizier
selbst und sein Kompagniechef werden gewiß meist hierüber ein richtiges Urteil
fällen und bei mangelnden Kenntnissen das Streben nach einem Amt als
Lehrer von vornherein als aussichtslos erkennen. Aber anch der, der sich für
ein solches Amt eignet, wird leicht zu erkennen sein. Zu allererst wird die
Handschrift, die Fähigkeit, sich in der deutschen Sprache schriftlich gut aus¬
zudrücken, das Alter und die früher genossene Schulbildung in Betracht zu
ziehen fein. Oster, als man allgemein denkt, findet man unter den Unter¬
offizieren solche, die das Gymnasium bis zur Sekunda zurückgelegt haben.
An musikalischer Bildung sind unstreitig viele Unteroffiziere, die in der Re-
gimentsmnsik gedient haben, dem Lehrer überlegen. Vor allem muß bedacht
werden, daß die Unteroffiziersvorschulen und Unteroffiziersschulcn einen Unter¬
richt geben, der entschieden eine spätere Verwendung des Unteroffiziers als
Lehrer zuläßt. Gerade die aus solchen Schulen hervorgegangneu Unter¬
offiziere wären als künftige Lehrer ins Auge zu fassen; denn sie sind auch
nach zwölfjähriger Dienstzeit oft noch lange nicht dreißig Jahre alt. Ein
Seminarkursus von der Dauer eines Jahres, zu dem nach sorgfältiger Prü¬
fung natürlich nur wirklich befähigte zuzulassen wären, könnte bei genügender
Vorbildung und wirklichem Eifer der Lehrenden und Lernenden tüchtige Volks-
schullehrer ans Unteroffizieren schaffen. Die Hauptsache müßte hier die Praxis
des Unterrichts sein; die Kenntnisse dürften nur ergänzt werden.

Die Frage, wie die vielen Unteroffiziere, die ihren Versvrgungsschcin er-
dient haben, zu beschäftigen sind, ist eine brennende Frage, während der Mangel
an Lehrern in vielen Gegenden groß ist. In Westpreußen, Posen, Ober¬
schlesien, wo die deutsche Schule noch besonders große und wichtige Aufgaben
zu lösen hat, müssen patriotische Männer als Lehrer wirken! Da würden
sicher einstmalige tüchtige Unteroffiziere, die wirklich gelernt haben ,,zu Befehl!"
zu sagen und darnach zu handeln, viel segensreicher wirken als Männer nach
dem Herzen der Preußischen Lehrerzeitung.

Und würde nach dem Urteil maßgebender Männer davon abzusehen sein,
ehemalige Unteroffiziere im allgemeinen als selbständig dastehende Lehrer an¬
zustellen, warum nicht an Schulen, wo mehrere Lehrer erforderlich sind,
wenigstens für bestimmte Fächer! Wie schön ist oft die Handschrift eines
Unteroffiziers, der jahrelang in einer Schreibstube geschrieben hat! Wie ge¬
diegen ist oft die musikalische Bildung, die ein tüchtiger Kapellmeister zu geben
verstand! Wie tüchtig ist mancher Unteroffizier im Turner! Und der Unter¬
richt im Rechnen, sollte er für Schüler im zweiten oder dritten Schuljahr
wirklich nicht von einem einstigen Unteroffizier erteilt werden können?

Die preußische Volksschule braucht sich ihrer Vergangenheit wahrlich nicht


die für das Amt des Lehrers die unerläßlichste Forderung ist, kann nicht be¬
zweifelt werden. Freilich muß in Frage gestellt werden, ob das Maß ihrer
Kenntnisse ausreicht. Das wird oft nichtj der Fall fein. Der Unteroffizier
selbst und sein Kompagniechef werden gewiß meist hierüber ein richtiges Urteil
fällen und bei mangelnden Kenntnissen das Streben nach einem Amt als
Lehrer von vornherein als aussichtslos erkennen. Aber anch der, der sich für
ein solches Amt eignet, wird leicht zu erkennen sein. Zu allererst wird die
Handschrift, die Fähigkeit, sich in der deutschen Sprache schriftlich gut aus¬
zudrücken, das Alter und die früher genossene Schulbildung in Betracht zu
ziehen fein. Oster, als man allgemein denkt, findet man unter den Unter¬
offizieren solche, die das Gymnasium bis zur Sekunda zurückgelegt haben.
An musikalischer Bildung sind unstreitig viele Unteroffiziere, die in der Re-
gimentsmnsik gedient haben, dem Lehrer überlegen. Vor allem muß bedacht
werden, daß die Unteroffiziersvorschulen und Unteroffiziersschulcn einen Unter¬
richt geben, der entschieden eine spätere Verwendung des Unteroffiziers als
Lehrer zuläßt. Gerade die aus solchen Schulen hervorgegangneu Unter¬
offiziere wären als künftige Lehrer ins Auge zu fassen; denn sie sind auch
nach zwölfjähriger Dienstzeit oft noch lange nicht dreißig Jahre alt. Ein
Seminarkursus von der Dauer eines Jahres, zu dem nach sorgfältiger Prü¬
fung natürlich nur wirklich befähigte zuzulassen wären, könnte bei genügender
Vorbildung und wirklichem Eifer der Lehrenden und Lernenden tüchtige Volks-
schullehrer ans Unteroffizieren schaffen. Die Hauptsache müßte hier die Praxis
des Unterrichts sein; die Kenntnisse dürften nur ergänzt werden.

Die Frage, wie die vielen Unteroffiziere, die ihren Versvrgungsschcin er-
dient haben, zu beschäftigen sind, ist eine brennende Frage, während der Mangel
an Lehrern in vielen Gegenden groß ist. In Westpreußen, Posen, Ober¬
schlesien, wo die deutsche Schule noch besonders große und wichtige Aufgaben
zu lösen hat, müssen patriotische Männer als Lehrer wirken! Da würden
sicher einstmalige tüchtige Unteroffiziere, die wirklich gelernt haben ,,zu Befehl!"
zu sagen und darnach zu handeln, viel segensreicher wirken als Männer nach
dem Herzen der Preußischen Lehrerzeitung.

Und würde nach dem Urteil maßgebender Männer davon abzusehen sein,
ehemalige Unteroffiziere im allgemeinen als selbständig dastehende Lehrer an¬
zustellen, warum nicht an Schulen, wo mehrere Lehrer erforderlich sind,
wenigstens für bestimmte Fächer! Wie schön ist oft die Handschrift eines
Unteroffiziers, der jahrelang in einer Schreibstube geschrieben hat! Wie ge¬
diegen ist oft die musikalische Bildung, die ein tüchtiger Kapellmeister zu geben
verstand! Wie tüchtig ist mancher Unteroffizier im Turner! Und der Unter¬
richt im Rechnen, sollte er für Schüler im zweiten oder dritten Schuljahr
wirklich nicht von einem einstigen Unteroffizier erteilt werden können?

Die preußische Volksschule braucht sich ihrer Vergangenheit wahrlich nicht


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[0426] die für das Amt des Lehrers die unerläßlichste Forderung ist, kann nicht be¬ zweifelt werden. Freilich muß in Frage gestellt werden, ob das Maß ihrer Kenntnisse ausreicht. Das wird oft nichtj der Fall fein. Der Unteroffizier selbst und sein Kompagniechef werden gewiß meist hierüber ein richtiges Urteil fällen und bei mangelnden Kenntnissen das Streben nach einem Amt als Lehrer von vornherein als aussichtslos erkennen. Aber anch der, der sich für ein solches Amt eignet, wird leicht zu erkennen sein. Zu allererst wird die Handschrift, die Fähigkeit, sich in der deutschen Sprache schriftlich gut aus¬ zudrücken, das Alter und die früher genossene Schulbildung in Betracht zu ziehen fein. Oster, als man allgemein denkt, findet man unter den Unter¬ offizieren solche, die das Gymnasium bis zur Sekunda zurückgelegt haben. An musikalischer Bildung sind unstreitig viele Unteroffiziere, die in der Re- gimentsmnsik gedient haben, dem Lehrer überlegen. Vor allem muß bedacht werden, daß die Unteroffiziersvorschulen und Unteroffiziersschulcn einen Unter¬ richt geben, der entschieden eine spätere Verwendung des Unteroffiziers als Lehrer zuläßt. Gerade die aus solchen Schulen hervorgegangneu Unter¬ offiziere wären als künftige Lehrer ins Auge zu fassen; denn sie sind auch nach zwölfjähriger Dienstzeit oft noch lange nicht dreißig Jahre alt. Ein Seminarkursus von der Dauer eines Jahres, zu dem nach sorgfältiger Prü¬ fung natürlich nur wirklich befähigte zuzulassen wären, könnte bei genügender Vorbildung und wirklichem Eifer der Lehrenden und Lernenden tüchtige Volks- schullehrer ans Unteroffizieren schaffen. Die Hauptsache müßte hier die Praxis des Unterrichts sein; die Kenntnisse dürften nur ergänzt werden. Die Frage, wie die vielen Unteroffiziere, die ihren Versvrgungsschcin er- dient haben, zu beschäftigen sind, ist eine brennende Frage, während der Mangel an Lehrern in vielen Gegenden groß ist. In Westpreußen, Posen, Ober¬ schlesien, wo die deutsche Schule noch besonders große und wichtige Aufgaben zu lösen hat, müssen patriotische Männer als Lehrer wirken! Da würden sicher einstmalige tüchtige Unteroffiziere, die wirklich gelernt haben ,,zu Befehl!" zu sagen und darnach zu handeln, viel segensreicher wirken als Männer nach dem Herzen der Preußischen Lehrerzeitung. Und würde nach dem Urteil maßgebender Männer davon abzusehen sein, ehemalige Unteroffiziere im allgemeinen als selbständig dastehende Lehrer an¬ zustellen, warum nicht an Schulen, wo mehrere Lehrer erforderlich sind, wenigstens für bestimmte Fächer! Wie schön ist oft die Handschrift eines Unteroffiziers, der jahrelang in einer Schreibstube geschrieben hat! Wie ge¬ diegen ist oft die musikalische Bildung, die ein tüchtiger Kapellmeister zu geben verstand! Wie tüchtig ist mancher Unteroffizier im Turner! Und der Unter¬ richt im Rechnen, sollte er für Schüler im zweiten oder dritten Schuljahr wirklich nicht von einem einstigen Unteroffizier erteilt werden können? Die preußische Volksschule braucht sich ihrer Vergangenheit wahrlich nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/426>, abgerufen am 25.11.2024.