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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Soldat und Schulmeister

ich in Breslau auf dem Platze vor dem königlichen Palais. Ein Unteroffizier
drillte gleichzeitig die Schulmeister. Wir standen im Rühren und sahen den
Kameraden zu. Da entschlüpften einem sonst wirklich vortrefflichen Unteroffizier
die Worte: Hütte ich ein einziges mal die Schulmeister, wie wollte ich die
schleifen! Ich fragte: Warum gerade die Schulmeister noch mehr, als das schon
andern geschieht? (Als Einjährigfreiwilliger, der Unterosfiziersdienste that,
konnte ich mir die Frage erlauben.) Es folgte ein Augenblick des Stutzens,
der Gefragte suchte sichtlich nach einem stichhaltigen Grunde, dann kam die
außerordentlich befriedigende, den Gegenstand völlig erschöpfende Antwort:
Nun weil sie Schulmeister sind! Dieser Unteroffizier ist in seiner Anschauung
unzählig oft vertreten. Daß es so ist, ist ein Unglück und läßt sich nicht mit
einem Schlage ändern; aber die Schuld liegt hauptsächlich an eiuer, mau kann
fast sagen, geflissentlich getriebnen Verhetzung. Die Kosten trägt der Lehrer¬
stand, und weil seine Leistungsfähigkeit ein Grundpfeiler des Vaterlandswvhles
ist, in letzter Linie das Vaterland.

Aber reicht der erwähnte Gegensatz nur hinauf bis zum Feldwebel und
zum Volksschullehrer, oder ist er auch vorhanden in dem Verhältnis zwischen
Offizier und akademisch gebildetem Lehrer? Leider ja! Und vielleicht ist das
in unsern Tagen als größeres Übel zu betrachten, als der Gegensatz in den
entsprechenden niedern Stellungen.

Ein berechtigter Grund für solche" Gegensatz dürfte auch hier nicht vor¬
handen sein. Schon darum nicht, weil auch hier zutrifft, was schon allgemein
ausgesprochen wurde; denn der Offizier und der akademisch gebildete Lehrer
sind in hervorragendster Weise Erzieher gerade derer, die doch am allerersten
die staatserhaltenden Glieder sein sollen.

Es kann und wird wahrscheinlich erwidert werden, ein solcher Gegensatz
sei nicht vorhanden. Aber man täusche sich ja nicht! Immer wird es ja einzelne
geben, die in beiden Ständen, die Allgemeinheit überragend, solchen Gegensatz
für sich nicht gelten lassen. Aber die Ausnahme bestätigt nur die Regel. Am
meisten füllt es in die Augen, daß Offizier und akademisch gebildeter Lehrer
gesellschaftlich einander so gut wie gar nicht berühren. Man denke beispiels¬
weise an die Geselligkeit, wie sie sich heutzutage in einer mittlern Garnison-
stadt gestaltet. Findet da, sei es im Kasino der Offiziere oder in dem der
Zivilgesellschaft, eine gemeinsame Festlichkeit statt, so sind sicherlich am aller¬
wenigsten -- meist gar nicht -- die Lehrer der höhern Schulen dabei ver¬
treten. Regierungs-, Forst-, Verkehrs-, Gerichts-, Baubeamte, Ärzte, Kauf¬
leute sind da; warum fehlt der akademisch gebildete, also auf gleicher Bil¬
dungsstufe wie die erwähnten Beamten stehende Lehrer? Der Grund mag häufig
das liebe Geld sein, sie Habens nicht dazu; aber noch häufiger ist er darin zu
suchen, daß sich der akademisch gebildete Lehrer in den Offiziers kreisen nicht
wohl und behaglich fühlt. Er weiß, daß in diesen Kreisen seine Stellung,


Soldat und Schulmeister

ich in Breslau auf dem Platze vor dem königlichen Palais. Ein Unteroffizier
drillte gleichzeitig die Schulmeister. Wir standen im Rühren und sahen den
Kameraden zu. Da entschlüpften einem sonst wirklich vortrefflichen Unteroffizier
die Worte: Hütte ich ein einziges mal die Schulmeister, wie wollte ich die
schleifen! Ich fragte: Warum gerade die Schulmeister noch mehr, als das schon
andern geschieht? (Als Einjährigfreiwilliger, der Unterosfiziersdienste that,
konnte ich mir die Frage erlauben.) Es folgte ein Augenblick des Stutzens,
der Gefragte suchte sichtlich nach einem stichhaltigen Grunde, dann kam die
außerordentlich befriedigende, den Gegenstand völlig erschöpfende Antwort:
Nun weil sie Schulmeister sind! Dieser Unteroffizier ist in seiner Anschauung
unzählig oft vertreten. Daß es so ist, ist ein Unglück und läßt sich nicht mit
einem Schlage ändern; aber die Schuld liegt hauptsächlich an eiuer, mau kann
fast sagen, geflissentlich getriebnen Verhetzung. Die Kosten trägt der Lehrer¬
stand, und weil seine Leistungsfähigkeit ein Grundpfeiler des Vaterlandswvhles
ist, in letzter Linie das Vaterland.

Aber reicht der erwähnte Gegensatz nur hinauf bis zum Feldwebel und
zum Volksschullehrer, oder ist er auch vorhanden in dem Verhältnis zwischen
Offizier und akademisch gebildetem Lehrer? Leider ja! Und vielleicht ist das
in unsern Tagen als größeres Übel zu betrachten, als der Gegensatz in den
entsprechenden niedern Stellungen.

Ein berechtigter Grund für solche» Gegensatz dürfte auch hier nicht vor¬
handen sein. Schon darum nicht, weil auch hier zutrifft, was schon allgemein
ausgesprochen wurde; denn der Offizier und der akademisch gebildete Lehrer
sind in hervorragendster Weise Erzieher gerade derer, die doch am allerersten
die staatserhaltenden Glieder sein sollen.

Es kann und wird wahrscheinlich erwidert werden, ein solcher Gegensatz
sei nicht vorhanden. Aber man täusche sich ja nicht! Immer wird es ja einzelne
geben, die in beiden Ständen, die Allgemeinheit überragend, solchen Gegensatz
für sich nicht gelten lassen. Aber die Ausnahme bestätigt nur die Regel. Am
meisten füllt es in die Augen, daß Offizier und akademisch gebildeter Lehrer
gesellschaftlich einander so gut wie gar nicht berühren. Man denke beispiels¬
weise an die Geselligkeit, wie sie sich heutzutage in einer mittlern Garnison-
stadt gestaltet. Findet da, sei es im Kasino der Offiziere oder in dem der
Zivilgesellschaft, eine gemeinsame Festlichkeit statt, so sind sicherlich am aller¬
wenigsten — meist gar nicht — die Lehrer der höhern Schulen dabei ver¬
treten. Regierungs-, Forst-, Verkehrs-, Gerichts-, Baubeamte, Ärzte, Kauf¬
leute sind da; warum fehlt der akademisch gebildete, also auf gleicher Bil¬
dungsstufe wie die erwähnten Beamten stehende Lehrer? Der Grund mag häufig
das liebe Geld sein, sie Habens nicht dazu; aber noch häufiger ist er darin zu
suchen, daß sich der akademisch gebildete Lehrer in den Offiziers kreisen nicht
wohl und behaglich fühlt. Er weiß, daß in diesen Kreisen seine Stellung,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/422>, abgerufen am 21.11.2024.