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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Heinrich Heine und die Vleinen von den Seinen

Arneth mit einem Grönlandfahrer verglich, der durch Aufgießen seines Thrans
die stürmischen Wellen glättete, nennt sich nur mit seinen Anfangsbuchstaben.
Allein es unterliegt keinem Zweifel, daß es einzig ein Zögling der Talmnd-
schnle zu solcher Höhe der Geistreichigkeit zu bringen vermag. Das Wort
Geistreichigkeit ist nicht schön, doch wissen wir kein bezeichnenderes für die
krankhafte Sucht, durch Verschrobenes, Verrenktes und unpassende Gleichnisse
dem Leser ein Ah! des Staunens auszupressen.

I. folgt uach Mitteilungen von allgemeinerem Interesse "Antisemitisches
aus dem Altertum." In Lykien ist eine Tafel mit einer Beschwerde des
Volkes von Pamphilien und Lhkien über die durch Duldung der Christen be¬
wirkte Schädigung der den Göttern schuldigen Verehrung und mit dem die
Bittsteller belobenden kaiserlichen Reskripte aufgefunden worden. Dazu hat Pro¬
fessor Theodor Mommsen nachstehende Nutzanwendung gemacht. ,,Die Anti¬
semiten -- Christus war ja auch ein semit -- hatten es also vor anderthalb
Jahrtausenden weiter gebracht, als ihre heutige" Gesinnungsgenossen. Unsre
offenbaren Antisemiten haben bis jetzt noch nicht erreicht, daß ihre Petitionen
um Semitenhetze von Regierungs wegen in jeder kleinen Landstadt angeschlagen
werden, und die hochgestellten Kryptoantisemiten, die eigentlichen Schuldigen,
stehen nicht minder weit zurück hinter der Leistung des Kaisers Maximinus.
Einen Fortschritt der Kultur auf diesem Gebiete wird der Menschenfreund also
gern registriren." Herr Mommsen ist bekanntlich, leider etwas spät, zu der
Einsicht gelaugt, daß ihm auf dem Boden der Politik keine Lorbeer" grünen.
Aber wenn die geliebten Juden in Frage kommen, gestattet er sich gern einen
Rückfall, und es ist nur auffallend, daß er die Gelegenheit nicht benutzt hat,
auch den verhaßten Landbebaueru einen Hieb zu versetzen. So wären denn
die Christenverfolgungen, die bisher nur von deu Ultramontanen zitirt wurden,
glücklich auch zu einem Rüstzeug der Philosemiten geworden. In seinem
Eifer hat der Gelehrte nur zwei kleine Unterschiede übersehe". Die Christen
wurden verfolgt, weil sie nicht a" die alte" Götter glaubten, während den
heutigen Juden niemand verbieten will, zum Gotte Abrahams, Jsaciks und
Jakobs zu beten. Und die Christen waren arm, konnten weder Zeitungen
noch Aktiengesellschaften gründen, noch Geld für Wahlzwecke spenden, noch die
Regel: "Edel sei der Mensch, hilfreich und gut" in der jetzt vielfach üblichen
Weise befolge".

Nun aber der Leitartikel! Die Weigerung der Stadtverordneten von
Düsseldorf, einen Platz für ein Denkmal Heines zu bewilligen, hat den Ver¬
sasser außer Rand und Band gebracht, und er sprudelt Schimpfwörter in einer
Fülle aus, daß Börsenjobber, die einander in die Haare und Bärte gerate",
beschämt die Segel streiche" können. Zu den edelsten Gütern eines freien
Volks gehört, wie männiglich bekannt, das Vorrecht der Presse, zu lästern, zu
verunglimpfen, zu verdächtigen, so weit es die brutalen Strafgesetze nnr irgend


Heinrich Heine und die Vleinen von den Seinen

Arneth mit einem Grönlandfahrer verglich, der durch Aufgießen seines Thrans
die stürmischen Wellen glättete, nennt sich nur mit seinen Anfangsbuchstaben.
Allein es unterliegt keinem Zweifel, daß es einzig ein Zögling der Talmnd-
schnle zu solcher Höhe der Geistreichigkeit zu bringen vermag. Das Wort
Geistreichigkeit ist nicht schön, doch wissen wir kein bezeichnenderes für die
krankhafte Sucht, durch Verschrobenes, Verrenktes und unpassende Gleichnisse
dem Leser ein Ah! des Staunens auszupressen.

I. folgt uach Mitteilungen von allgemeinerem Interesse „Antisemitisches
aus dem Altertum." In Lykien ist eine Tafel mit einer Beschwerde des
Volkes von Pamphilien und Lhkien über die durch Duldung der Christen be¬
wirkte Schädigung der den Göttern schuldigen Verehrung und mit dem die
Bittsteller belobenden kaiserlichen Reskripte aufgefunden worden. Dazu hat Pro¬
fessor Theodor Mommsen nachstehende Nutzanwendung gemacht. ,,Die Anti¬
semiten — Christus war ja auch ein semit — hatten es also vor anderthalb
Jahrtausenden weiter gebracht, als ihre heutige» Gesinnungsgenossen. Unsre
offenbaren Antisemiten haben bis jetzt noch nicht erreicht, daß ihre Petitionen
um Semitenhetze von Regierungs wegen in jeder kleinen Landstadt angeschlagen
werden, und die hochgestellten Kryptoantisemiten, die eigentlichen Schuldigen,
stehen nicht minder weit zurück hinter der Leistung des Kaisers Maximinus.
Einen Fortschritt der Kultur auf diesem Gebiete wird der Menschenfreund also
gern registriren." Herr Mommsen ist bekanntlich, leider etwas spät, zu der
Einsicht gelaugt, daß ihm auf dem Boden der Politik keine Lorbeer» grünen.
Aber wenn die geliebten Juden in Frage kommen, gestattet er sich gern einen
Rückfall, und es ist nur auffallend, daß er die Gelegenheit nicht benutzt hat,
auch den verhaßten Landbebaueru einen Hieb zu versetzen. So wären denn
die Christenverfolgungen, die bisher nur von deu Ultramontanen zitirt wurden,
glücklich auch zu einem Rüstzeug der Philosemiten geworden. In seinem
Eifer hat der Gelehrte nur zwei kleine Unterschiede übersehe». Die Christen
wurden verfolgt, weil sie nicht a» die alte» Götter glaubten, während den
heutigen Juden niemand verbieten will, zum Gotte Abrahams, Jsaciks und
Jakobs zu beten. Und die Christen waren arm, konnten weder Zeitungen
noch Aktiengesellschaften gründen, noch Geld für Wahlzwecke spenden, noch die
Regel: „Edel sei der Mensch, hilfreich und gut" in der jetzt vielfach üblichen
Weise befolge».

Nun aber der Leitartikel! Die Weigerung der Stadtverordneten von
Düsseldorf, einen Platz für ein Denkmal Heines zu bewilligen, hat den Ver¬
sasser außer Rand und Band gebracht, und er sprudelt Schimpfwörter in einer
Fülle aus, daß Börsenjobber, die einander in die Haare und Bärte gerate»,
beschämt die Segel streiche» können. Zu den edelsten Gütern eines freien
Volks gehört, wie männiglich bekannt, das Vorrecht der Presse, zu lästern, zu
verunglimpfen, zu verdächtigen, so weit es die brutalen Strafgesetze nnr irgend


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[0402] Heinrich Heine und die Vleinen von den Seinen Arneth mit einem Grönlandfahrer verglich, der durch Aufgießen seines Thrans die stürmischen Wellen glättete, nennt sich nur mit seinen Anfangsbuchstaben. Allein es unterliegt keinem Zweifel, daß es einzig ein Zögling der Talmnd- schnle zu solcher Höhe der Geistreichigkeit zu bringen vermag. Das Wort Geistreichigkeit ist nicht schön, doch wissen wir kein bezeichnenderes für die krankhafte Sucht, durch Verschrobenes, Verrenktes und unpassende Gleichnisse dem Leser ein Ah! des Staunens auszupressen. I. folgt uach Mitteilungen von allgemeinerem Interesse „Antisemitisches aus dem Altertum." In Lykien ist eine Tafel mit einer Beschwerde des Volkes von Pamphilien und Lhkien über die durch Duldung der Christen be¬ wirkte Schädigung der den Göttern schuldigen Verehrung und mit dem die Bittsteller belobenden kaiserlichen Reskripte aufgefunden worden. Dazu hat Pro¬ fessor Theodor Mommsen nachstehende Nutzanwendung gemacht. ,,Die Anti¬ semiten — Christus war ja auch ein semit — hatten es also vor anderthalb Jahrtausenden weiter gebracht, als ihre heutige» Gesinnungsgenossen. Unsre offenbaren Antisemiten haben bis jetzt noch nicht erreicht, daß ihre Petitionen um Semitenhetze von Regierungs wegen in jeder kleinen Landstadt angeschlagen werden, und die hochgestellten Kryptoantisemiten, die eigentlichen Schuldigen, stehen nicht minder weit zurück hinter der Leistung des Kaisers Maximinus. Einen Fortschritt der Kultur auf diesem Gebiete wird der Menschenfreund also gern registriren." Herr Mommsen ist bekanntlich, leider etwas spät, zu der Einsicht gelaugt, daß ihm auf dem Boden der Politik keine Lorbeer» grünen. Aber wenn die geliebten Juden in Frage kommen, gestattet er sich gern einen Rückfall, und es ist nur auffallend, daß er die Gelegenheit nicht benutzt hat, auch den verhaßten Landbebaueru einen Hieb zu versetzen. So wären denn die Christenverfolgungen, die bisher nur von deu Ultramontanen zitirt wurden, glücklich auch zu einem Rüstzeug der Philosemiten geworden. In seinem Eifer hat der Gelehrte nur zwei kleine Unterschiede übersehe». Die Christen wurden verfolgt, weil sie nicht a» die alte» Götter glaubten, während den heutigen Juden niemand verbieten will, zum Gotte Abrahams, Jsaciks und Jakobs zu beten. Und die Christen waren arm, konnten weder Zeitungen noch Aktiengesellschaften gründen, noch Geld für Wahlzwecke spenden, noch die Regel: „Edel sei der Mensch, hilfreich und gut" in der jetzt vielfach üblichen Weise befolge». Nun aber der Leitartikel! Die Weigerung der Stadtverordneten von Düsseldorf, einen Platz für ein Denkmal Heines zu bewilligen, hat den Ver¬ sasser außer Rand und Band gebracht, und er sprudelt Schimpfwörter in einer Fülle aus, daß Börsenjobber, die einander in die Haare und Bärte gerate», beschämt die Segel streiche» können. Zu den edelsten Gütern eines freien Volks gehört, wie männiglich bekannt, das Vorrecht der Presse, zu lästern, zu verunglimpfen, zu verdächtigen, so weit es die brutalen Strafgesetze nnr irgend

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/402>, abgerufen am 01.09.2024.