Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.aber eben diese größere Strenge habe eine größere Anzahl von Verurteilungen Die Abnahme der Strnffälle in England ist nun allerdings eine That¬ aber eben diese größere Strenge habe eine größere Anzahl von Verurteilungen Die Abnahme der Strnffälle in England ist nun allerdings eine That¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0393" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/214185"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_1312" prev="#ID_1311"> aber eben diese größere Strenge habe eine größere Anzahl von Verurteilungen<lb/> zur Folge, und diese erzeuge den Schein einer Zunahme der Trunksucht. Van<lb/> der größern Strenge des Gesetzes werden doch wohl die Damen, die nach<lb/> der Versicherung der Lady Cavendish nach der Mahlzeit mit den Herren im<lb/> Rauchzimmer rauchen und kneipen, nicht betroffen.</p><lb/> <p xml:id="ID_1313" next="#ID_1314"> Die Abnahme der Strnffälle in England ist nun allerdings eine That¬<lb/> sache. Wahrscheinlich gebührt das Hauptverdienst darum jener Verbesserung<lb/> des Armenwesens und der Strnfrcchtspflege, deren einen Urheber, Barwick<lb/> Llohd Baker, uns Franz von Holtzendorff in seinem reizenden Büchlein „Ein<lb/> englischer Landsqnire" so lebendig vor Augen führt. Es könnte gerade in<lb/> unsern Tagen nichts schaden, wenn denkende Männer von Einfluß dieses im<lb/> Jahre 1877 erschienene winzig kleine aber gehaltvolle Buch, das die leider<lb/> täglich mehr schwindende Lichtseite des englischen Lebens schildert, noch einmal<lb/> durchlasen. Wir wollen hier nur zwei Anekdoten daraus mitteilen, die den<lb/> Geist ahnen lassen, der jene Reform beseelt hat. Ein Lord S. wurde von<lb/> Wilddieben überfallen. Nachdem er sich ihrer glücklich erwehrt hatte, traf er<lb/> am Saume des Waldes eiuen Konstabler auf der Lauer, der höchst verdrießlich<lb/> darüber war, daß die Kerls den Lord lebendig hatten entwischen lassen. Er<lb/> habe um das Komplott gewußt, gestand er dem Lord ganz offen, sich aber<lb/> weislich gehütet, ihn zu warnen. Denn wäre der Bedrohte tot geschlagen<lb/> worden, so hätte er, der Kvnstabler, dann die Diebe festgenommen und wäre<lb/> belohnt worden. Hätte er aber den Lord vor der Gefahr gewarnt, so würden<lb/> seine Vorgesetzten darin keinen Beweis seines Diensteifers erkannt haben. „Der<lb/> berufsmäßige Polizist, fügte Sir Baker dieser kleinen Erzählung bei, wird nicht<lb/> bloß in Frankreich, sondern auch in England angeklagt, die armen Teufel aus<lb/> dem Standpunkte des Sports zu betrachten. Wie es die Pflicht des Jagd¬<lb/> hüters ist, seinem Grundherrn im Herbst so viel Fasanen als möglich vor¬<lb/> zustellen, damit diese geschossen werden können, so ist es die Pflicht eines<lb/> regelmüßigen Berufspvlizisten, seiner Würdigkeit, dem Richter, die möglichst<lb/> große Anzahl von Angeklagten vorzuführen, damit diese verurteilt werden<lb/> können." Ziehen wir daraus eine kleine Nutzanwendung durch Verallgemeine¬<lb/> rung und sagen wir: dem Polizisten, dem Anklüger und dem Strafrichter von<lb/> Beruf liegt nichts an der Verminderung und Verhütung von Verbrechen, kann<lb/> gar nichts daran liegen; ist doch deren Vermehrung sür ihren Stand Lebens¬<lb/> frage. Bei einer andern Gelegenheit erzählt Baker eine Anekdote ans der<lb/> Zeit der Hexenprozesse. Ein ausgezeichneter und verständiger Richter unter<lb/> Jakob dem Zweiten, Sir John Powel, fragte ein armes altes Weiblein, das<lb/> man der höllischen Kunst des Fliegens beschuldigte: Können Sie fliegen?<lb/> ^ Wohl, Mylord, antwortete die Angeklagte. Nun, dann fliegen Sie nur<lb/> "ach Hause; ich kenne kein Gesetz, das das Fliegen verböte. Holtzendorff<lb/> bemerkte dazu: „Wie viel Weisheit liegt in dieser kleinen Anekdote. Sie</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0393]
aber eben diese größere Strenge habe eine größere Anzahl von Verurteilungen
zur Folge, und diese erzeuge den Schein einer Zunahme der Trunksucht. Van
der größern Strenge des Gesetzes werden doch wohl die Damen, die nach
der Versicherung der Lady Cavendish nach der Mahlzeit mit den Herren im
Rauchzimmer rauchen und kneipen, nicht betroffen.
Die Abnahme der Strnffälle in England ist nun allerdings eine That¬
sache. Wahrscheinlich gebührt das Hauptverdienst darum jener Verbesserung
des Armenwesens und der Strnfrcchtspflege, deren einen Urheber, Barwick
Llohd Baker, uns Franz von Holtzendorff in seinem reizenden Büchlein „Ein
englischer Landsqnire" so lebendig vor Augen führt. Es könnte gerade in
unsern Tagen nichts schaden, wenn denkende Männer von Einfluß dieses im
Jahre 1877 erschienene winzig kleine aber gehaltvolle Buch, das die leider
täglich mehr schwindende Lichtseite des englischen Lebens schildert, noch einmal
durchlasen. Wir wollen hier nur zwei Anekdoten daraus mitteilen, die den
Geist ahnen lassen, der jene Reform beseelt hat. Ein Lord S. wurde von
Wilddieben überfallen. Nachdem er sich ihrer glücklich erwehrt hatte, traf er
am Saume des Waldes eiuen Konstabler auf der Lauer, der höchst verdrießlich
darüber war, daß die Kerls den Lord lebendig hatten entwischen lassen. Er
habe um das Komplott gewußt, gestand er dem Lord ganz offen, sich aber
weislich gehütet, ihn zu warnen. Denn wäre der Bedrohte tot geschlagen
worden, so hätte er, der Kvnstabler, dann die Diebe festgenommen und wäre
belohnt worden. Hätte er aber den Lord vor der Gefahr gewarnt, so würden
seine Vorgesetzten darin keinen Beweis seines Diensteifers erkannt haben. „Der
berufsmäßige Polizist, fügte Sir Baker dieser kleinen Erzählung bei, wird nicht
bloß in Frankreich, sondern auch in England angeklagt, die armen Teufel aus
dem Standpunkte des Sports zu betrachten. Wie es die Pflicht des Jagd¬
hüters ist, seinem Grundherrn im Herbst so viel Fasanen als möglich vor¬
zustellen, damit diese geschossen werden können, so ist es die Pflicht eines
regelmüßigen Berufspvlizisten, seiner Würdigkeit, dem Richter, die möglichst
große Anzahl von Angeklagten vorzuführen, damit diese verurteilt werden
können." Ziehen wir daraus eine kleine Nutzanwendung durch Verallgemeine¬
rung und sagen wir: dem Polizisten, dem Anklüger und dem Strafrichter von
Beruf liegt nichts an der Verminderung und Verhütung von Verbrechen, kann
gar nichts daran liegen; ist doch deren Vermehrung sür ihren Stand Lebens¬
frage. Bei einer andern Gelegenheit erzählt Baker eine Anekdote ans der
Zeit der Hexenprozesse. Ein ausgezeichneter und verständiger Richter unter
Jakob dem Zweiten, Sir John Powel, fragte ein armes altes Weiblein, das
man der höllischen Kunst des Fliegens beschuldigte: Können Sie fliegen?
^ Wohl, Mylord, antwortete die Angeklagte. Nun, dann fliegen Sie nur
"ach Hause; ich kenne kein Gesetz, das das Fliegen verböte. Holtzendorff
bemerkte dazu: „Wie viel Weisheit liegt in dieser kleinen Anekdote. Sie
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