Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.Weder Aoimnmiismus noch Aapitalismus und um dem Übel zu steuern, empfehlen sie die Wiedereinführung der Prügel¬ Was nnn England anlangt, das Wolf zunächst im Auge hat, so ist dessen Weder Aoimnmiismus noch Aapitalismus und um dem Übel zu steuern, empfehlen sie die Wiedereinführung der Prügel¬ Was nnn England anlangt, das Wolf zunächst im Auge hat, so ist dessen <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0392" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/214184"/> <fw type="header" place="top"> Weder Aoimnmiismus noch Aapitalismus</fw><lb/> <p xml:id="ID_1310" prev="#ID_1309"> und um dem Übel zu steuern, empfehlen sie die Wiedereinführung der Prügel¬<lb/> strafe und andre Strafverschärfungen. Mit diesen Herren mögen sich die Be¬<lb/> wundrer der heutigen Gesellschaftsordnung auseinandersetzen, und wenn ihre<lb/> Verhandlungen die Sache ins Reine gebracht haben werden, können wir dann<lb/> den Faden weiterspinnen. Für heute nur die Bemerkung, daß es unter<lb/> allen Arten von Verbrechen nur eine einzige giebt, die als zuverlässiger Ma߬<lb/> stab für die ab- und zunehmende Not der Armen verwendet werden kann:<lb/> das sind die gewöhnlichen kleinen Diebstähle. Dieser Maßstab hat sich bis<lb/> in die jüngste Zeit bewährt: wie in allen frühern Zeiten, so ist auch im<lb/> Jahre 1891 die Zahl dieser Diebstähle mit den Kornpreisen gestiegen. Im<lb/> allgemeinen ist die Kriminalstatistik zur Beurteilung des Volkswohlstandes wie<lb/> der negativen Sittlichkeit schon deswegen unbrauchbar, weil die Zahl der An¬<lb/> klagen und Verurteilungen weit mehr von der Zahl und dem Eifer der Poli¬<lb/> zisten, von den Gesetzen, ihrer Interpretation und ihrer Anwendung als von<lb/> der Beschaffenheit und den Zustüudeu des Volkes abhängt. Wir haben vor<lb/> dreißig und vierzig Jahren aus eigner Anschauung blühende Dörfer gelaunt,<lb/> in denen sehr vieles von dem unanstößiger Brauch war, was heute, in ein¬<lb/> zelnen großen Städten wenigstens, als Bergehen gegen das Eigentum, als<lb/> Sittlichkeitsvergehen, grober Unfug, Majestätsbeleidigung u. s. w. bestraft zu<lb/> werden Pflegt. Wären die Bauern jener Dörfer damals — wie es heute dort<lb/> aussieht, wissen wir nicht — mit diesem strengen Maßstabe gemessen worden,<lb/> so würden sie, anstatt dein Vaterlande Prachtweizcn, Prachtkühe und Pracht¬<lb/> jungen zu liefern und den Stenersäckcl zu füllen, das ganze Jahr hinter Schloß<lb/> und Riegel gesessen haben, und mit den ihnen unbekannten Schntzlenten würde<lb/> auch noch der Widerstand gegen die Staatsgewalt bei ihnen eingezogen sein.</p><lb/> <p xml:id="ID_1311" next="#ID_1312"> Was nnn England anlangt, das Wolf zunächst im Auge hat, so ist dessen<lb/> Statistik nicht zuverlässiger als die unsre, wie man z. B. aus den beinahe<lb/> spaßhaften Schwankungen der Angaben über den Umfang der Trunksucht sehen<lb/> kann. Vor etwa fünfzehn Jahren machte eine Statistik die Runde um die<lb/> Welt, nach der in England auf je eine Seele, die Weiber und Kinder ein¬<lb/> begriffen, anderthalb Trunkenbolde kämen. Vor zwei Jahren wurde dann die<lb/> Welt mit einer Statistik des Alkohvlverbrauchs überrascht, aus der sie mit<lb/> Staunen ersah, daß in keinem Lande der Welt eine so geringe Menge dieses<lb/> Gifts ans den Schlund komme wie in England. Vorigen Sommer erfuhren<lb/> wir dann wieder aus einer Artikelreihe des van/ I'vIkAi-Äpll und aus einem<lb/> Vortrage, den eine Nichte Gladstones, Lady Cavendish, auf dem Kirchenkongreß<lb/> zu Folkestoue gehalten hat, daß das weibliche Geschlecht, auch das der höhern<lb/> Stäude, der Trunksucht in früher unerhörtem Maße fröhne. Worauf dann<lb/> wieder verschiedne Zeitungen meinten, die Sache sei doch wohl nicht so arg,<lb/> man sehe in London weit weniger Bctrunkne im Gerinne liegen wie vor<lb/> einigen Jahren, dank der strengern Bestrafung solches öffentlichen Ärgernisses,</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0392]
Weder Aoimnmiismus noch Aapitalismus
und um dem Übel zu steuern, empfehlen sie die Wiedereinführung der Prügel¬
strafe und andre Strafverschärfungen. Mit diesen Herren mögen sich die Be¬
wundrer der heutigen Gesellschaftsordnung auseinandersetzen, und wenn ihre
Verhandlungen die Sache ins Reine gebracht haben werden, können wir dann
den Faden weiterspinnen. Für heute nur die Bemerkung, daß es unter
allen Arten von Verbrechen nur eine einzige giebt, die als zuverlässiger Ma߬
stab für die ab- und zunehmende Not der Armen verwendet werden kann:
das sind die gewöhnlichen kleinen Diebstähle. Dieser Maßstab hat sich bis
in die jüngste Zeit bewährt: wie in allen frühern Zeiten, so ist auch im
Jahre 1891 die Zahl dieser Diebstähle mit den Kornpreisen gestiegen. Im
allgemeinen ist die Kriminalstatistik zur Beurteilung des Volkswohlstandes wie
der negativen Sittlichkeit schon deswegen unbrauchbar, weil die Zahl der An¬
klagen und Verurteilungen weit mehr von der Zahl und dem Eifer der Poli¬
zisten, von den Gesetzen, ihrer Interpretation und ihrer Anwendung als von
der Beschaffenheit und den Zustüudeu des Volkes abhängt. Wir haben vor
dreißig und vierzig Jahren aus eigner Anschauung blühende Dörfer gelaunt,
in denen sehr vieles von dem unanstößiger Brauch war, was heute, in ein¬
zelnen großen Städten wenigstens, als Bergehen gegen das Eigentum, als
Sittlichkeitsvergehen, grober Unfug, Majestätsbeleidigung u. s. w. bestraft zu
werden Pflegt. Wären die Bauern jener Dörfer damals — wie es heute dort
aussieht, wissen wir nicht — mit diesem strengen Maßstabe gemessen worden,
so würden sie, anstatt dein Vaterlande Prachtweizcn, Prachtkühe und Pracht¬
jungen zu liefern und den Stenersäckcl zu füllen, das ganze Jahr hinter Schloß
und Riegel gesessen haben, und mit den ihnen unbekannten Schntzlenten würde
auch noch der Widerstand gegen die Staatsgewalt bei ihnen eingezogen sein.
Was nnn England anlangt, das Wolf zunächst im Auge hat, so ist dessen
Statistik nicht zuverlässiger als die unsre, wie man z. B. aus den beinahe
spaßhaften Schwankungen der Angaben über den Umfang der Trunksucht sehen
kann. Vor etwa fünfzehn Jahren machte eine Statistik die Runde um die
Welt, nach der in England auf je eine Seele, die Weiber und Kinder ein¬
begriffen, anderthalb Trunkenbolde kämen. Vor zwei Jahren wurde dann die
Welt mit einer Statistik des Alkohvlverbrauchs überrascht, aus der sie mit
Staunen ersah, daß in keinem Lande der Welt eine so geringe Menge dieses
Gifts ans den Schlund komme wie in England. Vorigen Sommer erfuhren
wir dann wieder aus einer Artikelreihe des van/ I'vIkAi-Äpll und aus einem
Vortrage, den eine Nichte Gladstones, Lady Cavendish, auf dem Kirchenkongreß
zu Folkestoue gehalten hat, daß das weibliche Geschlecht, auch das der höhern
Stäude, der Trunksucht in früher unerhörtem Maße fröhne. Worauf dann
wieder verschiedne Zeitungen meinten, die Sache sei doch wohl nicht so arg,
man sehe in London weit weniger Bctrunkne im Gerinne liegen wie vor
einigen Jahren, dank der strengern Bestrafung solches öffentlichen Ärgernisses,
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