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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Stimmungen enthält nicht einen einzigen Satz, den man, um seinen Bau zu
verstehen, zweimal lesen müßte.

Die Sprache des Entwurfs ist im allgemeinen würdig und der Bedeu¬
tung des nächst der Verfassung wichtigsten Gesetzes im allgemeinen wohl an¬
gemessen. Sie ist meist vornehm, sie atmet Ruhe und Sicherheit, sie läßt von
Anfang bis zu Ende die feste, kundige Hand des den Stoff meisterlich beherr¬
schenden Verfassers erkennen. Als Ganzes betrachtet unterscheidet sie sich
immerhin wohlthuend von der oft herzlich mangelhaften Sprache unsrer neuern,
besonders der volkswirtschaftlichen Gesetze. Einige wenige etwas gewöhnlich
klingende Ausdrücke wollen nicht viel sagen. Dahin gehört z. B. das Wort
sofortig. Die gute Schriftsprache kennt es nicht. Es ist auch entbehrlich;
man braucht nur statt des Hauptwortes, zu dem es tritt, das Zeitwort zu
wühlen.

Die Sprache des Entwurfs ist auch bestündig; für denselben Begriff kehrt
fast ausnahmslos derselbe Ausdruck wieder, ein Vorzug, den besonders die
Civilprozeßordnung vermissen läßt.

Die Sätze sind fast durchweg kurz. Wo sie es nicht sind, hat es regel¬
mäßig seinen guten Grund. So bei Begriffsbestimmungen, die das Zerlegen
in mehrere Sätze schwer vertrage". So auch bei Bestimmungen, deren Ein¬
heit durch Teilung unliebsam gestört, oder bei denen durch Zerlegung ein
inneres Mißverhältnis der jetzt unter einander scharf gegliederten Absätze und
Sätze herbeigeführt werden würde. Ans das Eherecht freilich trifft dies nicht
zu; man vergl. z. B. die ohne Not in die Länge gezognen Sätze der Para¬
graphen 125>7, 1258, 1336, 1389, 1402.

Erfreulich ist die Vermeidung der Juristengötzen: etwas nicht statt
nichts -- beziehentlich oder beziehungsweise oder gar bezüglich oder
bezugsweise -- der gedachte statt der erwähnte oder genannte --
die stattgehabte oder stattgefuudue Vereinbarung; erfreulich die Ver¬
meidung des unvermittelter Nebcneinanderstellcns zweier Verhältniswörter (in
durch Vertrag chegründeten Rechtsverhältnissen); die Vermeidung des Schach-
telns (die in dem vom Bundesrate bei Erlassung der dein Seuchengesetze
beigegebnen Ausführungsverordnling aufgestellten Verzeichnisse genannten Orte);
die Vermeidung der sogenannten Inversion, d. h. der häßlichen Unsitte, nach
dem Worte und das Zeitwort dem Hauptworte vorauszuschicken.")

Dankenswert ist die Wiederaufnahme des kräftigen und wohlklingenden
Dativ-e: dem Gesetze, dem Vertrage, im Auftrage. Zu vermeiden freilich
wäre das e bei Fremdwörtern, wo es unschön klingt: dem Notare, dem In-
ventare. Dank verdient auch -- um neben vielem andern Verdienstlichen, das
hier nicht aufgeführt werden kann, noch eine Einzelheit hervorzuheben --, daß



-) Alles Dinge, von denen viele Gesetze "ut anch die "MMve" nicht frei sind.

Stimmungen enthält nicht einen einzigen Satz, den man, um seinen Bau zu
verstehen, zweimal lesen müßte.

Die Sprache des Entwurfs ist im allgemeinen würdig und der Bedeu¬
tung des nächst der Verfassung wichtigsten Gesetzes im allgemeinen wohl an¬
gemessen. Sie ist meist vornehm, sie atmet Ruhe und Sicherheit, sie läßt von
Anfang bis zu Ende die feste, kundige Hand des den Stoff meisterlich beherr¬
schenden Verfassers erkennen. Als Ganzes betrachtet unterscheidet sie sich
immerhin wohlthuend von der oft herzlich mangelhaften Sprache unsrer neuern,
besonders der volkswirtschaftlichen Gesetze. Einige wenige etwas gewöhnlich
klingende Ausdrücke wollen nicht viel sagen. Dahin gehört z. B. das Wort
sofortig. Die gute Schriftsprache kennt es nicht. Es ist auch entbehrlich;
man braucht nur statt des Hauptwortes, zu dem es tritt, das Zeitwort zu
wühlen.

Die Sprache des Entwurfs ist auch bestündig; für denselben Begriff kehrt
fast ausnahmslos derselbe Ausdruck wieder, ein Vorzug, den besonders die
Civilprozeßordnung vermissen läßt.

Die Sätze sind fast durchweg kurz. Wo sie es nicht sind, hat es regel¬
mäßig seinen guten Grund. So bei Begriffsbestimmungen, die das Zerlegen
in mehrere Sätze schwer vertrage». So auch bei Bestimmungen, deren Ein¬
heit durch Teilung unliebsam gestört, oder bei denen durch Zerlegung ein
inneres Mißverhältnis der jetzt unter einander scharf gegliederten Absätze und
Sätze herbeigeführt werden würde. Ans das Eherecht freilich trifft dies nicht
zu; man vergl. z. B. die ohne Not in die Länge gezognen Sätze der Para¬
graphen 125>7, 1258, 1336, 1389, 1402.

Erfreulich ist die Vermeidung der Juristengötzen: etwas nicht statt
nichts — beziehentlich oder beziehungsweise oder gar bezüglich oder
bezugsweise — der gedachte statt der erwähnte oder genannte —
die stattgehabte oder stattgefuudue Vereinbarung; erfreulich die Ver¬
meidung des unvermittelter Nebcneinanderstellcns zweier Verhältniswörter (in
durch Vertrag chegründeten Rechtsverhältnissen); die Vermeidung des Schach-
telns (die in dem vom Bundesrate bei Erlassung der dein Seuchengesetze
beigegebnen Ausführungsverordnling aufgestellten Verzeichnisse genannten Orte);
die Vermeidung der sogenannten Inversion, d. h. der häßlichen Unsitte, nach
dem Worte und das Zeitwort dem Hauptworte vorauszuschicken.")

Dankenswert ist die Wiederaufnahme des kräftigen und wohlklingenden
Dativ-e: dem Gesetze, dem Vertrage, im Auftrage. Zu vermeiden freilich
wäre das e bei Fremdwörtern, wo es unschön klingt: dem Notare, dem In-
ventare. Dank verdient auch — um neben vielem andern Verdienstlichen, das
hier nicht aufgeführt werden kann, noch eine Einzelheit hervorzuheben —, daß



-) Alles Dinge, von denen viele Gesetze »ut anch die „MMve" nicht frei sind.
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[0038] Stimmungen enthält nicht einen einzigen Satz, den man, um seinen Bau zu verstehen, zweimal lesen müßte. Die Sprache des Entwurfs ist im allgemeinen würdig und der Bedeu¬ tung des nächst der Verfassung wichtigsten Gesetzes im allgemeinen wohl an¬ gemessen. Sie ist meist vornehm, sie atmet Ruhe und Sicherheit, sie läßt von Anfang bis zu Ende die feste, kundige Hand des den Stoff meisterlich beherr¬ schenden Verfassers erkennen. Als Ganzes betrachtet unterscheidet sie sich immerhin wohlthuend von der oft herzlich mangelhaften Sprache unsrer neuern, besonders der volkswirtschaftlichen Gesetze. Einige wenige etwas gewöhnlich klingende Ausdrücke wollen nicht viel sagen. Dahin gehört z. B. das Wort sofortig. Die gute Schriftsprache kennt es nicht. Es ist auch entbehrlich; man braucht nur statt des Hauptwortes, zu dem es tritt, das Zeitwort zu wühlen. Die Sprache des Entwurfs ist auch bestündig; für denselben Begriff kehrt fast ausnahmslos derselbe Ausdruck wieder, ein Vorzug, den besonders die Civilprozeßordnung vermissen läßt. Die Sätze sind fast durchweg kurz. Wo sie es nicht sind, hat es regel¬ mäßig seinen guten Grund. So bei Begriffsbestimmungen, die das Zerlegen in mehrere Sätze schwer vertrage». So auch bei Bestimmungen, deren Ein¬ heit durch Teilung unliebsam gestört, oder bei denen durch Zerlegung ein inneres Mißverhältnis der jetzt unter einander scharf gegliederten Absätze und Sätze herbeigeführt werden würde. Ans das Eherecht freilich trifft dies nicht zu; man vergl. z. B. die ohne Not in die Länge gezognen Sätze der Para¬ graphen 125>7, 1258, 1336, 1389, 1402. Erfreulich ist die Vermeidung der Juristengötzen: etwas nicht statt nichts — beziehentlich oder beziehungsweise oder gar bezüglich oder bezugsweise — der gedachte statt der erwähnte oder genannte — die stattgehabte oder stattgefuudue Vereinbarung; erfreulich die Ver¬ meidung des unvermittelter Nebcneinanderstellcns zweier Verhältniswörter (in durch Vertrag chegründeten Rechtsverhältnissen); die Vermeidung des Schach- telns (die in dem vom Bundesrate bei Erlassung der dein Seuchengesetze beigegebnen Ausführungsverordnling aufgestellten Verzeichnisse genannten Orte); die Vermeidung der sogenannten Inversion, d. h. der häßlichen Unsitte, nach dem Worte und das Zeitwort dem Hauptworte vorauszuschicken.") Dankenswert ist die Wiederaufnahme des kräftigen und wohlklingenden Dativ-e: dem Gesetze, dem Vertrage, im Auftrage. Zu vermeiden freilich wäre das e bei Fremdwörtern, wo es unschön klingt: dem Notare, dem In- ventare. Dank verdient auch — um neben vielem andern Verdienstlichen, das hier nicht aufgeführt werden kann, noch eine Einzelheit hervorzuheben —, daß -) Alles Dinge, von denen viele Gesetze »ut anch die „MMve" nicht frei sind.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/38>, abgerufen am 01.09.2024.