Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.Maßgebliches und Unmaßgebliches Hand, und mit einem schwachen Versuche zu lächeln fragte sie: "Was is Elsbcth?" Nicht wahr, prachtvoll, ein Realismus -- großartig! Darauf geht sie ihren Der Selbstmord spielt eine große Rolle im Haushalt der Materialisten und Und nnn die sittliche Stellung der "Gesellschaft." Das nächste Stück des Maßgebliches und Unmaßgebliches Hand, und mit einem schwachen Versuche zu lächeln fragte sie: „Was is Elsbcth?" Nicht wahr, prachtvoll, ein Realismus — großartig! Darauf geht sie ihren Der Selbstmord spielt eine große Rolle im Haushalt der Materialisten und Und nnn die sittliche Stellung der „Gesellschaft." Das nächste Stück des <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0360" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/214152"/> <fw type="header" place="top"> Maßgebliches und Unmaßgebliches</fw><lb/> <p xml:id="ID_1209" prev="#ID_1208"> Hand, und mit einem schwachen Versuche zu lächeln fragte sie: „Was is Elsbcth?"<lb/> Stürmisch preßte er sie an sich. „Mein Alles! Alles!" — „Mehr?" — „Mein<lb/> Engel." — „Noch mehr!" — „Mein Herzensschatz!" — „Nu mein?" — „Mein<lb/> Liebling!" — „Un? . . ." — „Mein Weib!" Da blickte sie froh ans. „Bitte,<lb/> noch mal!" — „Mein Weib, mein liebes, liebes Weib." Er küßte sie, daß ihr<lb/> der Atem verging. „Noch!" Er küßte sie wieder.</p><lb/> <p xml:id="ID_1210"> Nicht wahr, prachtvoll, ein Realismus — großartig! Darauf geht sie ihren<lb/> Eltern durch, sucht ihren Chemiker in dessen Wohnung auf, und dort schießt er sie<lb/> und sich tot, weil er nichts gelernt hat, um sie zu ernähre», und weil er den<lb/> Widerspruch seiner Eltern fürchtet.</p><lb/> <p xml:id="ID_1211"> Der Selbstmord spielt eine große Rolle im Haushalt der Materialisten und<lb/> Deterministen. Da eine Änderung im Laufe der Dinge unmöglich ist, da es einen<lb/> Willen, eine Verantwortung nicht giebt, so bleibt eigentlich nichts weiter übrig,<lb/> als „den Satz ablegen," der nicht geraten ist, und zu erwarten, daß die Natur<lb/> später einmal einen bessern Satz liefern werde. Dieses Lied hat seiner Zeit Schopen¬<lb/> hauer vorgesungen, jetzt singen sie es im Chöre nach. Künstlerisch ist der Selbst¬<lb/> mord nur schwer zu verwerten, er ist nur dann erträglich, wenn er die einzig<lb/> mögliche Lösung darstellt, wenn der Held den letzten Rest seiner Kraft verwendet<lb/> hat. ,,Hedda Gabler" schießt sich tot, weil sie in unlösliche Schlingen gefallen ist,<lb/> und weil ihr ihre Selbstachtung verbietet, weiter zu leben. Das verkehrte dabei<lb/> ist, daß in dem Jbsenschen Stücke dem Selbstmorde der Schein der Schönheit ge¬<lb/> geben werden soll. Der Selbstmord bleibt stets häßlich. Der Selbstmörder Fischers<lb/> ist ein dummer Junge, der nicht einmal den Versuch macht, die Folgen seines<lb/> Leichtsinns auf sich zu nehmen. Erst wird gedankenlos die Dummheit begangen,<lb/> und dann wird ebenso gedankenlos das Leben weggeworfen. Solche Dinge kommen<lb/> allerdings vor. Quartcmer haben sich erschossen, weil sie nicht versetzt wurden,<lb/> andre sind ins Wasser gelaufen, weil sie sich geärgert haben, noch andre haben<lb/> sich aufgehängt, um andre zu ärgern. Aber ist man berechtigt, jede Dummheit<lb/> zum Gegenstande einer Dichtung zu machen? Photographische Treue genügt nicht<lb/> einmal zu einer Photographie, viel weniger zu einem litterarischen Bilde, das<lb/> den Anspruch erhebt, künstlerisch zu sein. Auch bei realistischer Zeichnung muß das<lb/> Allgemeingültige die Grundlinien bilden. Der Leser muß sich und seine Welt in<lb/> dem Bilde wiederfinden können. Was geht uns die Geschichte eines Knotens wie<lb/> dieses Selbstmörders um, die frivol anfängt und brutal endigt?</p><lb/> <p xml:id="ID_1212" next="#ID_1213"> Und nnn die sittliche Stellung der „Gesellschaft." Das nächste Stück des<lb/> Heftes trägt die Aberschrift „Ervtika," Skizze von Valentin Traudl. Was ans<lb/> diesen zwei Seiten geschrieben ist, ist unerhört, es ist das abscheulichste, was je zu<lb/> Papier gebracht worden ist. Es ist unmöglich, die Sache anch nur anzudeuten.<lb/> Und so etwas darf jetzt gedruckt und auf den Markt geworfen werden! Der gute<lb/> Zola mit seinen Unzweideutigkeiten wird unsittlich genannt, seine Bücher werden<lb/> verboten. Wir wollen den Schmutz, den er aufrührt, nicht loben, aber das ist un¬<lb/> verkennbar, Zolas Art verhält sich zu dieser wie die — Unbefangenheiten des Arztes<lb/> zu denen des Wüstlings. Die Kunst darf hier nicht als Beschützerin angerufen<lb/> Werden. Wir merken nicht eine Spur von Kunst, nicht einmal die eiuer geschickten<lb/> Verschleierung. Die Naturalisten halten es für erlaubt, solche Dinge zur Sprache<lb/> zu bringen, sie sind ja natürlich. Ja sie rühmen sich ihrer, als wenn es Äuße¬<lb/> rungen urwüchsiger Kraft wären. Wir sind nicht dieser Meinung. Wir finden<lb/> in diesem ewigen Sichwälzen in lüsternen Phantasien nicht die Zeichen gesunder<lb/> Natur, sondern die der Entartung, nicht männliche Kraft, sondern Krankheitserschei-</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0360]
Maßgebliches und Unmaßgebliches
Hand, und mit einem schwachen Versuche zu lächeln fragte sie: „Was is Elsbcth?"
Stürmisch preßte er sie an sich. „Mein Alles! Alles!" — „Mehr?" — „Mein
Engel." — „Noch mehr!" — „Mein Herzensschatz!" — „Nu mein?" — „Mein
Liebling!" — „Un? . . ." — „Mein Weib!" Da blickte sie froh ans. „Bitte,
noch mal!" — „Mein Weib, mein liebes, liebes Weib." Er küßte sie, daß ihr
der Atem verging. „Noch!" Er küßte sie wieder.
Nicht wahr, prachtvoll, ein Realismus — großartig! Darauf geht sie ihren
Eltern durch, sucht ihren Chemiker in dessen Wohnung auf, und dort schießt er sie
und sich tot, weil er nichts gelernt hat, um sie zu ernähre», und weil er den
Widerspruch seiner Eltern fürchtet.
Der Selbstmord spielt eine große Rolle im Haushalt der Materialisten und
Deterministen. Da eine Änderung im Laufe der Dinge unmöglich ist, da es einen
Willen, eine Verantwortung nicht giebt, so bleibt eigentlich nichts weiter übrig,
als „den Satz ablegen," der nicht geraten ist, und zu erwarten, daß die Natur
später einmal einen bessern Satz liefern werde. Dieses Lied hat seiner Zeit Schopen¬
hauer vorgesungen, jetzt singen sie es im Chöre nach. Künstlerisch ist der Selbst¬
mord nur schwer zu verwerten, er ist nur dann erträglich, wenn er die einzig
mögliche Lösung darstellt, wenn der Held den letzten Rest seiner Kraft verwendet
hat. ,,Hedda Gabler" schießt sich tot, weil sie in unlösliche Schlingen gefallen ist,
und weil ihr ihre Selbstachtung verbietet, weiter zu leben. Das verkehrte dabei
ist, daß in dem Jbsenschen Stücke dem Selbstmorde der Schein der Schönheit ge¬
geben werden soll. Der Selbstmord bleibt stets häßlich. Der Selbstmörder Fischers
ist ein dummer Junge, der nicht einmal den Versuch macht, die Folgen seines
Leichtsinns auf sich zu nehmen. Erst wird gedankenlos die Dummheit begangen,
und dann wird ebenso gedankenlos das Leben weggeworfen. Solche Dinge kommen
allerdings vor. Quartcmer haben sich erschossen, weil sie nicht versetzt wurden,
andre sind ins Wasser gelaufen, weil sie sich geärgert haben, noch andre haben
sich aufgehängt, um andre zu ärgern. Aber ist man berechtigt, jede Dummheit
zum Gegenstande einer Dichtung zu machen? Photographische Treue genügt nicht
einmal zu einer Photographie, viel weniger zu einem litterarischen Bilde, das
den Anspruch erhebt, künstlerisch zu sein. Auch bei realistischer Zeichnung muß das
Allgemeingültige die Grundlinien bilden. Der Leser muß sich und seine Welt in
dem Bilde wiederfinden können. Was geht uns die Geschichte eines Knotens wie
dieses Selbstmörders um, die frivol anfängt und brutal endigt?
Und nnn die sittliche Stellung der „Gesellschaft." Das nächste Stück des
Heftes trägt die Aberschrift „Ervtika," Skizze von Valentin Traudl. Was ans
diesen zwei Seiten geschrieben ist, ist unerhört, es ist das abscheulichste, was je zu
Papier gebracht worden ist. Es ist unmöglich, die Sache anch nur anzudeuten.
Und so etwas darf jetzt gedruckt und auf den Markt geworfen werden! Der gute
Zola mit seinen Unzweideutigkeiten wird unsittlich genannt, seine Bücher werden
verboten. Wir wollen den Schmutz, den er aufrührt, nicht loben, aber das ist un¬
verkennbar, Zolas Art verhält sich zu dieser wie die — Unbefangenheiten des Arztes
zu denen des Wüstlings. Die Kunst darf hier nicht als Beschützerin angerufen
Werden. Wir merken nicht eine Spur von Kunst, nicht einmal die eiuer geschickten
Verschleierung. Die Naturalisten halten es für erlaubt, solche Dinge zur Sprache
zu bringen, sie sind ja natürlich. Ja sie rühmen sich ihrer, als wenn es Äuße¬
rungen urwüchsiger Kraft wären. Wir sind nicht dieser Meinung. Wir finden
in diesem ewigen Sichwälzen in lüsternen Phantasien nicht die Zeichen gesunder
Natur, sondern die der Entartung, nicht männliche Kraft, sondern Krankheitserschei-
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