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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Frau Jenny Treibe!

gegen deren Lieblingsgedanken, ihre junge Schwester mit dem Schwager
Leopold zu verbinden, energisch gewehrt, hat erklärt, daß sie an einer solchen
Schwiegertochter und einer solchen Enkelin gerade genug habe, und daß sie
den armen Jungen, den Leopold, etwas passender als in der Familie Munk
unterbringen möchte. Jetzt verbündet sie sich mit Helene gegen diese "schreck¬
liche Person, diese Corinna" und stülpt dem Gemahl und dem Sohne ihren
neuen Plan und die vernünftige Verbindung förmlich über den Kopf. Zwar
irrt sie sich, wenn sie glaubt, daß sie Corinnas Vater "am Bärbel" habe,
und muß aus einer Redeschlacht im Hause des Professors, wo ihr Corinna
mit berechtigtem Stolz entgegentritt, völlig geschlagen und ziemlich gedemütigt
abziehen. Aber auch Corinna erfährt zur gerechten Strafe ihrer falschen
Schätzung der Lebensgüter, daß Frau Jenny Treibe! in der Burg ihrer Geld-
vcrgötternng so sicher und fest sitzt, wie ein Gläubiger in seinem Gottvertrauen.

Leopold Treibe! ist ein viel zu wackrer junger Herr, um seinem gegebnen
Wort untreu zu werden, und ein viel zu schwacher Pinsel, um seiner Mutter
gegenüber zu einem Entschluß zu kommen. Er getraut sich nicht Corinna zu
sehen und schreibt ihr nichtssagende Briefe, und sie -- ist doch zu stolz, eine
zu feine und ehrliche Natur, um alle Mittel anzuwenden, mit denen sie selbst
den schwachen Mann festhalten könnte. Wie ihr Vater sagt: "Nach einer
kurzen Abirrung ist ihr mit einemmale klar geworden, was es eigentlich heißt,
wenn man mit zwei Familienporträts und einer väterlichen Bibliothek in eine
reiche Familie hineinheiraten will. In eine Herzogsfamilie kann man allen¬
falls hineinkommen, in eine Bourgeoisfamilie nicht." Und da zum Glück
Vetter Marcell, der kluge, brave und liebevolle, auf die Abirrung der Phan¬
tasie seiner schönen Base kein Gewicht legt, sich vielmehr von Herzen freut,
daß sich Corinna auf sich selbst besinnt, Leopold abschreibt und damit na¬
türlich zu ihm zurückkehrt, so giebt es am Ende eine fröhliche Hochzeit, die
Neuvermählten reisen nach Oberitalien ab, und Frau Kommerzienrat Treibet
samt Familie (Leopold natürlich ausgenommen) auch in xonWo-iMus, will
sagen "mit dem Puffscheitel und den Diamantbvmmeln" (wie sich die den Chorus
in diesem Familiendrama abgebende Haushälterin Schmidts, Frau Schmölle,
ausdrückt) nimmt an dem glücklichen Abschluß der Sache huldvollst Anteil.

Die Meisterschaft Fontanes bewährt sich vor allem darin, wie er in
diesen leichtgeschnitzten und einfachen Rahmen zwanglos eine Reihe von Ge¬
stalten hineingestellt hat, die fast alle Typen der mittlern Berliner Gesellschaft
sind, alle mit großer Liebe und dabei doch mit einem Anflug von leiser und
milder Ironie behandelt erscheinen. Frau Jenny Treibel allerdings fordert
mir ihrer Hcrzenskälte, ihrem tief im Blute liegenden Protzentum und ihrer
Selbstbelügung zur stärksten Satire heraus, allen übrigen Gestalten kommt
ein gewisser Humor und die Billigkeit geistesreifer und lebensfrischer Alters¬
anschauung zu gute. Das ganze Schmidtsche Haus und vor Vater und Tochter


Frau Jenny Treibe!

gegen deren Lieblingsgedanken, ihre junge Schwester mit dem Schwager
Leopold zu verbinden, energisch gewehrt, hat erklärt, daß sie an einer solchen
Schwiegertochter und einer solchen Enkelin gerade genug habe, und daß sie
den armen Jungen, den Leopold, etwas passender als in der Familie Munk
unterbringen möchte. Jetzt verbündet sie sich mit Helene gegen diese „schreck¬
liche Person, diese Corinna" und stülpt dem Gemahl und dem Sohne ihren
neuen Plan und die vernünftige Verbindung förmlich über den Kopf. Zwar
irrt sie sich, wenn sie glaubt, daß sie Corinnas Vater „am Bärbel" habe,
und muß aus einer Redeschlacht im Hause des Professors, wo ihr Corinna
mit berechtigtem Stolz entgegentritt, völlig geschlagen und ziemlich gedemütigt
abziehen. Aber auch Corinna erfährt zur gerechten Strafe ihrer falschen
Schätzung der Lebensgüter, daß Frau Jenny Treibe! in der Burg ihrer Geld-
vcrgötternng so sicher und fest sitzt, wie ein Gläubiger in seinem Gottvertrauen.

Leopold Treibe! ist ein viel zu wackrer junger Herr, um seinem gegebnen
Wort untreu zu werden, und ein viel zu schwacher Pinsel, um seiner Mutter
gegenüber zu einem Entschluß zu kommen. Er getraut sich nicht Corinna zu
sehen und schreibt ihr nichtssagende Briefe, und sie — ist doch zu stolz, eine
zu feine und ehrliche Natur, um alle Mittel anzuwenden, mit denen sie selbst
den schwachen Mann festhalten könnte. Wie ihr Vater sagt: „Nach einer
kurzen Abirrung ist ihr mit einemmale klar geworden, was es eigentlich heißt,
wenn man mit zwei Familienporträts und einer väterlichen Bibliothek in eine
reiche Familie hineinheiraten will. In eine Herzogsfamilie kann man allen¬
falls hineinkommen, in eine Bourgeoisfamilie nicht." Und da zum Glück
Vetter Marcell, der kluge, brave und liebevolle, auf die Abirrung der Phan¬
tasie seiner schönen Base kein Gewicht legt, sich vielmehr von Herzen freut,
daß sich Corinna auf sich selbst besinnt, Leopold abschreibt und damit na¬
türlich zu ihm zurückkehrt, so giebt es am Ende eine fröhliche Hochzeit, die
Neuvermählten reisen nach Oberitalien ab, und Frau Kommerzienrat Treibet
samt Familie (Leopold natürlich ausgenommen) auch in xonWo-iMus, will
sagen „mit dem Puffscheitel und den Diamantbvmmeln" (wie sich die den Chorus
in diesem Familiendrama abgebende Haushälterin Schmidts, Frau Schmölle,
ausdrückt) nimmt an dem glücklichen Abschluß der Sache huldvollst Anteil.

Die Meisterschaft Fontanes bewährt sich vor allem darin, wie er in
diesen leichtgeschnitzten und einfachen Rahmen zwanglos eine Reihe von Ge¬
stalten hineingestellt hat, die fast alle Typen der mittlern Berliner Gesellschaft
sind, alle mit großer Liebe und dabei doch mit einem Anflug von leiser und
milder Ironie behandelt erscheinen. Frau Jenny Treibel allerdings fordert
mir ihrer Hcrzenskälte, ihrem tief im Blute liegenden Protzentum und ihrer
Selbstbelügung zur stärksten Satire heraus, allen übrigen Gestalten kommt
ein gewisser Humor und die Billigkeit geistesreifer und lebensfrischer Alters¬
anschauung zu gute. Das ganze Schmidtsche Haus und vor Vater und Tochter


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/354>, abgerufen am 28.09.2024.