Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.Mozarts Bild nach hundert Zähre" buches die Feder geführt hat. Das heutige Geschlecht bedarf gar sehr der Am W. September 1791 erlebte die Zauberflöte ihre erste Aufführung, Der nachstehende Versuch einer kurzen Würdigung Mozarts sieht in der An jedem Kunstwerk unterscheiden wir Erfindung und Ausführung; und Die Abwandlung dieses Verhältnisses nimmt innerhalb der verschiednen Das Zeitalter der Reife wird durch eine vorwaltende Abtönung zwischen Grenzboten 1 18W 37
Mozarts Bild nach hundert Zähre» buches die Feder geführt hat. Das heutige Geschlecht bedarf gar sehr der Am W. September 1791 erlebte die Zauberflöte ihre erste Aufführung, Der nachstehende Versuch einer kurzen Würdigung Mozarts sieht in der An jedem Kunstwerk unterscheiden wir Erfindung und Ausführung; und Die Abwandlung dieses Verhältnisses nimmt innerhalb der verschiednen Das Zeitalter der Reife wird durch eine vorwaltende Abtönung zwischen Grenzboten 1 18W 37
<TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0299" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/214091"/> <fw type="header" place="top"> Mozarts Bild nach hundert Zähre»</fw><lb/> <p xml:id="ID_1031" prev="#ID_1030"> buches die Feder geführt hat. Das heutige Geschlecht bedarf gar sehr der<lb/> äußern Anlässe, um auch mir vorübergehend sein geräuschvolles Tagewerk zu<lb/> unterbrechen und im Reiche des Schönen Einkehr zu halten.</p><lb/> <p xml:id="ID_1032"> Am W. September 1791 erlebte die Zauberflöte ihre erste Aufführung,<lb/> und am 5. Dezember desselben Jahres schloß der Schöpfer des Werkes die<lb/> Augen. „Am schönsten stirbt der Zweig, der unter der Schwere seiner eignen<lb/> Früchte erliegt." Besser, als es eine lange Abhandlung vermöchte, erschließt<lb/> uns dieses Wort Friedrich Hebbels die Erkenntnis, daß der zeitliche Zusammen¬<lb/> hang zwischen der Vollendung jenes Werkes und Mozarts Tod kein zufälliger<lb/> war. Denn mag sich auch dem freien Geschmack des einzelnen diese oder jene<lb/> von den Opern des Meisters besser anpassen: mit dein Maßstabe gemessen,<lb/> den Mozarts eigne künstlerische Individualität hergiebt, erscheint die Zauber-<lb/> flöte als sein reifstes Werk. Und das ist doch der einzige Weg, der in dem<lb/> Gebiete des Kunstverstandes ans dem Wirrwar sich kreuzender Gcschmacks-<lb/> änßernngen auf deu festen Boden des Urteils hinüberführt: das einzelne .Kunst¬<lb/> werk in dem Nahmen der Gesamtthütigkeit des Künstlers und die Gesamt¬<lb/> thätigkeit des Künstlers in dem Nahmen der geschichtlichen Entwicklung seiner<lb/> Kunst zu betrachten.</p><lb/> <p xml:id="ID_1033"> Der nachstehende Versuch einer kurzen Würdigung Mozarts sieht in der<lb/> Entwicklung der Musik bis zu seinem Tode eine aufsteigende Linie und will<lb/> diese auch innerhalb der eignen Entwicklung Mozarts an seinen drei Haupt¬<lb/> werken verfolgen. Da fragt es sich denn vorweg, was unter der aufsteigenden<lb/> und der absteigenden Entwicklung einer Kunst verstanden werden soll.</p><lb/> <p xml:id="ID_1034"> An jedem Kunstwerk unterscheiden wir Erfindung und Ausführung; und<lb/> in der Thätigkeit des schaffenden Künstlers entsprechen diesen beiden Seiten<lb/> seines Werkes die beiden Elemente des Anschaunngs- und des Gestaltungs¬<lb/> vermögens, oder anders ausgedrückt, der Einbildungskraft und der Ausbil¬<lb/> dungskraft. In dem Gebiete jeder einzelnen Kunst ist die Geschichte des Ver¬<lb/> hältnisses dieser beiden Elemente zu einander die Geschichte der betreffenden<lb/> Kunst.</p><lb/> <p xml:id="ID_1035"> Die Abwandlung dieses Verhältnisses nimmt innerhalb der verschiednen<lb/> Künste stets den gleichen, offenbar also eine» streng gesetzmäßigen Verlauf.<lb/> Ausnahmslos beginnt sie mit einer starken Überlegenheit der Anschauung über<lb/> die Darstellung. Nicht bloß in der Entwicklung des einzelnen Künstlers, auch<lb/> in der einer ganzen Kunst bilden mehr oder weniger nnbehvlfne Versuche die<lb/> ersten Äußerungen der erwachenden Phantasie. Aber in dein Ringen mit den<lb/> anfangs spröden Stoffen erstarkt die Gestaltungskraft, wird sie je länger desto<lb/> völliger der Einbildungskraft ebenbürtig; und dieses ihr Wachstum beherrscht<lb/> den Abschnitt in der Geschichte einer Kunst, der zwischen ihren Anfängen und<lb/> ihrer Reife liegt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1036" next="#ID_1037"> Das Zeitalter der Reife wird durch eine vorwaltende Abtönung zwischen</p><lb/> <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten 1 18W 37</fw><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0299]
Mozarts Bild nach hundert Zähre»
buches die Feder geführt hat. Das heutige Geschlecht bedarf gar sehr der
äußern Anlässe, um auch mir vorübergehend sein geräuschvolles Tagewerk zu
unterbrechen und im Reiche des Schönen Einkehr zu halten.
Am W. September 1791 erlebte die Zauberflöte ihre erste Aufführung,
und am 5. Dezember desselben Jahres schloß der Schöpfer des Werkes die
Augen. „Am schönsten stirbt der Zweig, der unter der Schwere seiner eignen
Früchte erliegt." Besser, als es eine lange Abhandlung vermöchte, erschließt
uns dieses Wort Friedrich Hebbels die Erkenntnis, daß der zeitliche Zusammen¬
hang zwischen der Vollendung jenes Werkes und Mozarts Tod kein zufälliger
war. Denn mag sich auch dem freien Geschmack des einzelnen diese oder jene
von den Opern des Meisters besser anpassen: mit dein Maßstabe gemessen,
den Mozarts eigne künstlerische Individualität hergiebt, erscheint die Zauber-
flöte als sein reifstes Werk. Und das ist doch der einzige Weg, der in dem
Gebiete des Kunstverstandes ans dem Wirrwar sich kreuzender Gcschmacks-
änßernngen auf deu festen Boden des Urteils hinüberführt: das einzelne .Kunst¬
werk in dem Nahmen der Gesamtthütigkeit des Künstlers und die Gesamt¬
thätigkeit des Künstlers in dem Nahmen der geschichtlichen Entwicklung seiner
Kunst zu betrachten.
Der nachstehende Versuch einer kurzen Würdigung Mozarts sieht in der
Entwicklung der Musik bis zu seinem Tode eine aufsteigende Linie und will
diese auch innerhalb der eignen Entwicklung Mozarts an seinen drei Haupt¬
werken verfolgen. Da fragt es sich denn vorweg, was unter der aufsteigenden
und der absteigenden Entwicklung einer Kunst verstanden werden soll.
An jedem Kunstwerk unterscheiden wir Erfindung und Ausführung; und
in der Thätigkeit des schaffenden Künstlers entsprechen diesen beiden Seiten
seines Werkes die beiden Elemente des Anschaunngs- und des Gestaltungs¬
vermögens, oder anders ausgedrückt, der Einbildungskraft und der Ausbil¬
dungskraft. In dem Gebiete jeder einzelnen Kunst ist die Geschichte des Ver¬
hältnisses dieser beiden Elemente zu einander die Geschichte der betreffenden
Kunst.
Die Abwandlung dieses Verhältnisses nimmt innerhalb der verschiednen
Künste stets den gleichen, offenbar also eine» streng gesetzmäßigen Verlauf.
Ausnahmslos beginnt sie mit einer starken Überlegenheit der Anschauung über
die Darstellung. Nicht bloß in der Entwicklung des einzelnen Künstlers, auch
in der einer ganzen Kunst bilden mehr oder weniger nnbehvlfne Versuche die
ersten Äußerungen der erwachenden Phantasie. Aber in dein Ringen mit den
anfangs spröden Stoffen erstarkt die Gestaltungskraft, wird sie je länger desto
völliger der Einbildungskraft ebenbürtig; und dieses ihr Wachstum beherrscht
den Abschnitt in der Geschichte einer Kunst, der zwischen ihren Anfängen und
ihrer Reife liegt.
Das Zeitalter der Reife wird durch eine vorwaltende Abtönung zwischen
Grenzboten 1 18W 37
Informationen zum Werk
Download dieses Werks
XML (TEI P5) ·
HTML ·
Text Metadaten zum WerkTEI-Header · CMDI · Dublin Core Ansichten dieser Seite
FeedbackSie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden. Kommentar zur DTA-AusgabeDieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen … Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.
Weitere Informationen:Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur. Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (ꝛ): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja; Nachkorrektur erfolgte automatisch.
|
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden. Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des § 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
2007–2025 Deutsches Textarchiv, Berlin-Brandenburgische Akademie der Wissenschaften.
Kontakt: redaktion(at)deutschestextarchiv.de. |