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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Weder Kommunismus noch Kapitalismus

Männer war imstande, mehrere Dutzend Spindeln zu überwachen; anch fielen
sie nicht so oft aus Ermüdung oder Unaufmerksamkeit in die Ruder, was ber
der Kinderarbeit immer unangenehm gewesen war, nicht der zerfleischten leben¬
digen Werkzeuge, sondern der Störung und des Zeitverlustes wegen. Da
nun ein solcher Mann ein Dutzend Kinder ersetzte, kam er anch bei besserm
Lohne billiger zu stehen, als diese Kinder, und da es sich zeigte, daß die Zahl
der Spindeln, die er zu überwachen vermochte, mit seiner Gesundheit und
Kraft, diese aber mit dem Lohne stieg, so erwies sich zuletzt die teuerste "Hand"
als die billigste, sodaß gegenwärtig die Spinner von Lancashire die am höchsten
bezahlten, gebildetsten und respektabelsten, sozusagen die Aristokratie unter den
englischen Arbeitern sind.

Mittlerweile hatte" die Arbeiter auch in dem funfzigjährigen Kampfe um
die Koalitionsfreiheit gesiegt, sich in den Gewerlvereinen ein Mittel des Wider¬
standes gegen Lohndruck, in den Genossenschaften ein Mittel zur Erhöhung
ihrer Lebensführung durch billige und gute Lebensmittel und Wohnungen ge¬
schaffen. Das Gelingen der Koalitionsbewegnng wurde durch eine Reihe von
Umständen begünstigt. Gerade in ihre entscheidende Wendung fiel der Kampf
der Fabrikanten um freie Korneinfuhr, die eine Lebensfrage für die Industrie
war, denn Arbeiter mögen noch so geduldig und genügsam sein, verhungert
und tot sind sie zu nichts mehr nütze. So waren die Fabrikanten genötigt,
die Arbeiterschaft als Bundesgenossen gegen die Agrarier zu verwenden, ihnen
das Wahlrecht zu erkämpfen und dafür das Koalitionsrecht zu bewilligen.
Dabei ergab sich noch der Nebenerfolg für die Arbeiter, daß in der Hitze des
Kampfes beide Parteien, Fabrikanten und Agrarier, um die Wette die Ver¬
brechen aufdeckten, die einerseits an den ländlichen, andrerseits an den gewerb¬
lichen Arbeitern verübt wurden. Auch lohnten sich, wie Engels meint, die
kleinen Diebstälfle am Arbeitslohn und an der Lebenskraft der Arbeiter nicht
"lehr, als die Baumwollenindnstrie zu so gewaltiger Größe angewachsen war,
daß sie Millionen indischer Webstuhle fast mit einem Schlage zum Stillstand
bringen konnte. (Fortan war hierdurch in Indien eine neue Gold- oder viel¬
mehr Silberquelle erschlossen: die Jndier wurden gezwungen, Baumwolle zu
bauen, diese nach England zu verkaufen und dafür dann den englischen Kattun
zu kaufen; den Einkaufspreis der Baumwolle und den Verkaufspreis des Kat¬
tuns machte natürlich der Engländer.) Es kam jetzt mehr darauf an. das
immer glänzender werdende Geschäft in ruhigem Gange zu erhalten und Stö¬
rungen dnrch Streiks und Arbeiterunruhen zu vermeiden. Die Organisation
der Arbeiter, die friedliche Unterhandlung mit den Gewerkvereinen, das Schieds¬
gericht, was alles man früher verabscheut hatte, erschienen um sogar will¬
kommen. Und, was wohl zu beachten ist, einzig und allein Engels hat es
angedeutet, aber nicht mit dem gehörigen Nachdruck hervorgehoben: mit der
Entwicklung der Eisenbahnen und der Dampfschiffahrt, auf die dann die Pe-


Weder Kommunismus noch Kapitalismus

Männer war imstande, mehrere Dutzend Spindeln zu überwachen; anch fielen
sie nicht so oft aus Ermüdung oder Unaufmerksamkeit in die Ruder, was ber
der Kinderarbeit immer unangenehm gewesen war, nicht der zerfleischten leben¬
digen Werkzeuge, sondern der Störung und des Zeitverlustes wegen. Da
nun ein solcher Mann ein Dutzend Kinder ersetzte, kam er anch bei besserm
Lohne billiger zu stehen, als diese Kinder, und da es sich zeigte, daß die Zahl
der Spindeln, die er zu überwachen vermochte, mit seiner Gesundheit und
Kraft, diese aber mit dem Lohne stieg, so erwies sich zuletzt die teuerste „Hand"
als die billigste, sodaß gegenwärtig die Spinner von Lancashire die am höchsten
bezahlten, gebildetsten und respektabelsten, sozusagen die Aristokratie unter den
englischen Arbeitern sind.

Mittlerweile hatte» die Arbeiter auch in dem funfzigjährigen Kampfe um
die Koalitionsfreiheit gesiegt, sich in den Gewerlvereinen ein Mittel des Wider¬
standes gegen Lohndruck, in den Genossenschaften ein Mittel zur Erhöhung
ihrer Lebensführung durch billige und gute Lebensmittel und Wohnungen ge¬
schaffen. Das Gelingen der Koalitionsbewegnng wurde durch eine Reihe von
Umständen begünstigt. Gerade in ihre entscheidende Wendung fiel der Kampf
der Fabrikanten um freie Korneinfuhr, die eine Lebensfrage für die Industrie
war, denn Arbeiter mögen noch so geduldig und genügsam sein, verhungert
und tot sind sie zu nichts mehr nütze. So waren die Fabrikanten genötigt,
die Arbeiterschaft als Bundesgenossen gegen die Agrarier zu verwenden, ihnen
das Wahlrecht zu erkämpfen und dafür das Koalitionsrecht zu bewilligen.
Dabei ergab sich noch der Nebenerfolg für die Arbeiter, daß in der Hitze des
Kampfes beide Parteien, Fabrikanten und Agrarier, um die Wette die Ver¬
brechen aufdeckten, die einerseits an den ländlichen, andrerseits an den gewerb¬
lichen Arbeitern verübt wurden. Auch lohnten sich, wie Engels meint, die
kleinen Diebstälfle am Arbeitslohn und an der Lebenskraft der Arbeiter nicht
»lehr, als die Baumwollenindnstrie zu so gewaltiger Größe angewachsen war,
daß sie Millionen indischer Webstuhle fast mit einem Schlage zum Stillstand
bringen konnte. (Fortan war hierdurch in Indien eine neue Gold- oder viel¬
mehr Silberquelle erschlossen: die Jndier wurden gezwungen, Baumwolle zu
bauen, diese nach England zu verkaufen und dafür dann den englischen Kattun
zu kaufen; den Einkaufspreis der Baumwolle und den Verkaufspreis des Kat¬
tuns machte natürlich der Engländer.) Es kam jetzt mehr darauf an. das
immer glänzender werdende Geschäft in ruhigem Gange zu erhalten und Stö¬
rungen dnrch Streiks und Arbeiterunruhen zu vermeiden. Die Organisation
der Arbeiter, die friedliche Unterhandlung mit den Gewerkvereinen, das Schieds¬
gericht, was alles man früher verabscheut hatte, erschienen um sogar will¬
kommen. Und, was wohl zu beachten ist, einzig und allein Engels hat es
angedeutet, aber nicht mit dem gehörigen Nachdruck hervorgehoben: mit der
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[0029] Weder Kommunismus noch Kapitalismus Männer war imstande, mehrere Dutzend Spindeln zu überwachen; anch fielen sie nicht so oft aus Ermüdung oder Unaufmerksamkeit in die Ruder, was ber der Kinderarbeit immer unangenehm gewesen war, nicht der zerfleischten leben¬ digen Werkzeuge, sondern der Störung und des Zeitverlustes wegen. Da nun ein solcher Mann ein Dutzend Kinder ersetzte, kam er anch bei besserm Lohne billiger zu stehen, als diese Kinder, und da es sich zeigte, daß die Zahl der Spindeln, die er zu überwachen vermochte, mit seiner Gesundheit und Kraft, diese aber mit dem Lohne stieg, so erwies sich zuletzt die teuerste „Hand" als die billigste, sodaß gegenwärtig die Spinner von Lancashire die am höchsten bezahlten, gebildetsten und respektabelsten, sozusagen die Aristokratie unter den englischen Arbeitern sind. Mittlerweile hatte» die Arbeiter auch in dem funfzigjährigen Kampfe um die Koalitionsfreiheit gesiegt, sich in den Gewerlvereinen ein Mittel des Wider¬ standes gegen Lohndruck, in den Genossenschaften ein Mittel zur Erhöhung ihrer Lebensführung durch billige und gute Lebensmittel und Wohnungen ge¬ schaffen. Das Gelingen der Koalitionsbewegnng wurde durch eine Reihe von Umständen begünstigt. Gerade in ihre entscheidende Wendung fiel der Kampf der Fabrikanten um freie Korneinfuhr, die eine Lebensfrage für die Industrie war, denn Arbeiter mögen noch so geduldig und genügsam sein, verhungert und tot sind sie zu nichts mehr nütze. So waren die Fabrikanten genötigt, die Arbeiterschaft als Bundesgenossen gegen die Agrarier zu verwenden, ihnen das Wahlrecht zu erkämpfen und dafür das Koalitionsrecht zu bewilligen. Dabei ergab sich noch der Nebenerfolg für die Arbeiter, daß in der Hitze des Kampfes beide Parteien, Fabrikanten und Agrarier, um die Wette die Ver¬ brechen aufdeckten, die einerseits an den ländlichen, andrerseits an den gewerb¬ lichen Arbeitern verübt wurden. Auch lohnten sich, wie Engels meint, die kleinen Diebstälfle am Arbeitslohn und an der Lebenskraft der Arbeiter nicht »lehr, als die Baumwollenindnstrie zu so gewaltiger Größe angewachsen war, daß sie Millionen indischer Webstuhle fast mit einem Schlage zum Stillstand bringen konnte. (Fortan war hierdurch in Indien eine neue Gold- oder viel¬ mehr Silberquelle erschlossen: die Jndier wurden gezwungen, Baumwolle zu bauen, diese nach England zu verkaufen und dafür dann den englischen Kattun zu kaufen; den Einkaufspreis der Baumwolle und den Verkaufspreis des Kat¬ tuns machte natürlich der Engländer.) Es kam jetzt mehr darauf an. das immer glänzender werdende Geschäft in ruhigem Gange zu erhalten und Stö¬ rungen dnrch Streiks und Arbeiterunruhen zu vermeiden. Die Organisation der Arbeiter, die friedliche Unterhandlung mit den Gewerkvereinen, das Schieds¬ gericht, was alles man früher verabscheut hatte, erschienen um sogar will¬ kommen. Und, was wohl zu beachten ist, einzig und allein Engels hat es angedeutet, aber nicht mit dem gehörigen Nachdruck hervorgehoben: mit der Entwicklung der Eisenbahnen und der Dampfschiffahrt, auf die dann die Pe-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/29>, abgerufen am 01.09.2024.