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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Bibelrevision und Bibelübersetzung

Kenntnis der hebräischen Sprache. "Die damalige Kenntnis des Hebräischen,
sagt Franz Delitzsch, bestand in einem nur erst elementaren, von den Juden
erborgten Wissen; die Syntax, deren Kenntnis von größter Wichtigkeit für den
Übersetzer ist, war etwas ganz unbekanntes, weil von den jüdischen Gramma¬
tikern unbearbeitet." Es ist zu bewundern, wie oft Luther mit genialen Griff
das Richtige getroffen hat, aber es ist auch nicht zu verwundern, daß viele
Stellen falsch übersetzt worden sind. Das ist auch dem Volke kein Geheimnis
mehr. Wie oft wird von der Kanzel herab die Übersetzung Luthers berich¬
tigt! Dazu kommt aber, daß die Sprache Luthers vielfach unverständlich ge¬
worden ist. "Eine Übersetzung in eine lebendige Sprache, sagt Claus Harms,
muß aller hundert Jahre revidirt werden, damit sie im Leben bleibe." Das
ist bisher versäumt worden. Tausende von Übersetzungsfehlern, vollständig
sinnlos gewordne Ausdrücke, selbst Druckfehler sind jahrhundertelang mit fort¬
geschleppt und in zahllose" Auflagen immer aufs neue gewissenhaft wieder ab¬
gedruckt worden. Daß für große Massen unsers Volks die Bibel ein fremdes
Buch geworden ist, hat freilich in der Hauptsache andre Gründe. Aber es ist
doch auch nicht zu leugnen, daß lange Zeit hindurch dein Volke das Lesen in
der Bibel unnötigerweise erschwert worden ist.

Geändert ist ja nun Luthers Bibel oft genng worden, hat doch Luther
selbst bis zu seinem Tode beständig an seiner Übersetzung gebessert. Die von
Rörer unmittelbar nach Luthers Tode besorgte Ausgabe von 1546 enthielt
eine ganze Reihe von Änderungen, die allerdings auf Notizen Luthers be¬
ruhten, aber zum Teil Verschlechterungen waren, die Luther schwerlich in den
Text aufgenommen Hütte. Trotz der Einsprache der strengen Lutheraner und
der kursächsischen Bibelrevifion 1576 bis 1581 ist etwa ein Drittel dieser
Änderungen in der Lutherbibel geblieben. Gegen Luthers ausdrücklichen Willen
ist die unechte Stelle 1. Joh. 5, 7 in den Text gekommen. Später ist in den
zahlreichen Ausgaben mancherlei, besonders in sprachlicher Beziehung, geändert
worden, aber oft genng wieder mit Unverstand. Aus Luthers Sindflut
z. B. wurde die Sündflut. Aus dem Worte freidig (d. i. kühn) machte
man freudig, sodaß fortan von freudigen Löwen (Weist). 11, 18) und von
der Freudigkeit des Einhorns (4. Mos. 23.22) in der Bibel die Rede war.
Thüren (d.i. sich erkühnen) wurde zu dürfen (Matth. 22. 46). aus Reich-
arabia lAradiki. tslix) machte man das Reich Arabia, aus leydich (vou
Leid) wurde ledig (2. Sam. 13,20), aus uubedackt (--- unbedacht) wurde
unbedeckt (4. Mos. 4, 20), ans euern, d.i. wiederholen (eigentlich äfern von
afer) wurde eifern (Syr. 17, 9).

Unstreitig das größte Verdienst um die Erhaltung und Verbreitung der
Lutherbibel hat sich die vom Freiherrn von Canstein in Halle gegründete
Bibelanstalt erworben. Der Cansteinsche Text war bisher der beste und ver-
breitetste, der tsxtns r<!v6pw8 der Lutherbibel. Da jedoch von andern Bibel-


Bibelrevision und Bibelübersetzung

Kenntnis der hebräischen Sprache. „Die damalige Kenntnis des Hebräischen,
sagt Franz Delitzsch, bestand in einem nur erst elementaren, von den Juden
erborgten Wissen; die Syntax, deren Kenntnis von größter Wichtigkeit für den
Übersetzer ist, war etwas ganz unbekanntes, weil von den jüdischen Gramma¬
tikern unbearbeitet." Es ist zu bewundern, wie oft Luther mit genialen Griff
das Richtige getroffen hat, aber es ist auch nicht zu verwundern, daß viele
Stellen falsch übersetzt worden sind. Das ist auch dem Volke kein Geheimnis
mehr. Wie oft wird von der Kanzel herab die Übersetzung Luthers berich¬
tigt! Dazu kommt aber, daß die Sprache Luthers vielfach unverständlich ge¬
worden ist. „Eine Übersetzung in eine lebendige Sprache, sagt Claus Harms,
muß aller hundert Jahre revidirt werden, damit sie im Leben bleibe." Das
ist bisher versäumt worden. Tausende von Übersetzungsfehlern, vollständig
sinnlos gewordne Ausdrücke, selbst Druckfehler sind jahrhundertelang mit fort¬
geschleppt und in zahllose» Auflagen immer aufs neue gewissenhaft wieder ab¬
gedruckt worden. Daß für große Massen unsers Volks die Bibel ein fremdes
Buch geworden ist, hat freilich in der Hauptsache andre Gründe. Aber es ist
doch auch nicht zu leugnen, daß lange Zeit hindurch dein Volke das Lesen in
der Bibel unnötigerweise erschwert worden ist.

Geändert ist ja nun Luthers Bibel oft genng worden, hat doch Luther
selbst bis zu seinem Tode beständig an seiner Übersetzung gebessert. Die von
Rörer unmittelbar nach Luthers Tode besorgte Ausgabe von 1546 enthielt
eine ganze Reihe von Änderungen, die allerdings auf Notizen Luthers be¬
ruhten, aber zum Teil Verschlechterungen waren, die Luther schwerlich in den
Text aufgenommen Hütte. Trotz der Einsprache der strengen Lutheraner und
der kursächsischen Bibelrevifion 1576 bis 1581 ist etwa ein Drittel dieser
Änderungen in der Lutherbibel geblieben. Gegen Luthers ausdrücklichen Willen
ist die unechte Stelle 1. Joh. 5, 7 in den Text gekommen. Später ist in den
zahlreichen Ausgaben mancherlei, besonders in sprachlicher Beziehung, geändert
worden, aber oft genng wieder mit Unverstand. Aus Luthers Sindflut
z. B. wurde die Sündflut. Aus dem Worte freidig (d. i. kühn) machte
man freudig, sodaß fortan von freudigen Löwen (Weist). 11, 18) und von
der Freudigkeit des Einhorns (4. Mos. 23.22) in der Bibel die Rede war.
Thüren (d.i. sich erkühnen) wurde zu dürfen (Matth. 22. 46). aus Reich-
arabia lAradiki. tslix) machte man das Reich Arabia, aus leydich (vou
Leid) wurde ledig (2. Sam. 13,20), aus uubedackt (--- unbedacht) wurde
unbedeckt (4. Mos. 4, 20), ans euern, d.i. wiederholen (eigentlich äfern von
afer) wurde eifern (Syr. 17, 9).

Unstreitig das größte Verdienst um die Erhaltung und Verbreitung der
Lutherbibel hat sich die vom Freiherrn von Canstein in Halle gegründete
Bibelanstalt erworben. Der Cansteinsche Text war bisher der beste und ver-
breitetste, der tsxtns r<!v6pw8 der Lutherbibel. Da jedoch von andern Bibel-


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[0288] Bibelrevision und Bibelübersetzung Kenntnis der hebräischen Sprache. „Die damalige Kenntnis des Hebräischen, sagt Franz Delitzsch, bestand in einem nur erst elementaren, von den Juden erborgten Wissen; die Syntax, deren Kenntnis von größter Wichtigkeit für den Übersetzer ist, war etwas ganz unbekanntes, weil von den jüdischen Gramma¬ tikern unbearbeitet." Es ist zu bewundern, wie oft Luther mit genialen Griff das Richtige getroffen hat, aber es ist auch nicht zu verwundern, daß viele Stellen falsch übersetzt worden sind. Das ist auch dem Volke kein Geheimnis mehr. Wie oft wird von der Kanzel herab die Übersetzung Luthers berich¬ tigt! Dazu kommt aber, daß die Sprache Luthers vielfach unverständlich ge¬ worden ist. „Eine Übersetzung in eine lebendige Sprache, sagt Claus Harms, muß aller hundert Jahre revidirt werden, damit sie im Leben bleibe." Das ist bisher versäumt worden. Tausende von Übersetzungsfehlern, vollständig sinnlos gewordne Ausdrücke, selbst Druckfehler sind jahrhundertelang mit fort¬ geschleppt und in zahllose» Auflagen immer aufs neue gewissenhaft wieder ab¬ gedruckt worden. Daß für große Massen unsers Volks die Bibel ein fremdes Buch geworden ist, hat freilich in der Hauptsache andre Gründe. Aber es ist doch auch nicht zu leugnen, daß lange Zeit hindurch dein Volke das Lesen in der Bibel unnötigerweise erschwert worden ist. Geändert ist ja nun Luthers Bibel oft genng worden, hat doch Luther selbst bis zu seinem Tode beständig an seiner Übersetzung gebessert. Die von Rörer unmittelbar nach Luthers Tode besorgte Ausgabe von 1546 enthielt eine ganze Reihe von Änderungen, die allerdings auf Notizen Luthers be¬ ruhten, aber zum Teil Verschlechterungen waren, die Luther schwerlich in den Text aufgenommen Hütte. Trotz der Einsprache der strengen Lutheraner und der kursächsischen Bibelrevifion 1576 bis 1581 ist etwa ein Drittel dieser Änderungen in der Lutherbibel geblieben. Gegen Luthers ausdrücklichen Willen ist die unechte Stelle 1. Joh. 5, 7 in den Text gekommen. Später ist in den zahlreichen Ausgaben mancherlei, besonders in sprachlicher Beziehung, geändert worden, aber oft genng wieder mit Unverstand. Aus Luthers Sindflut z. B. wurde die Sündflut. Aus dem Worte freidig (d. i. kühn) machte man freudig, sodaß fortan von freudigen Löwen (Weist). 11, 18) und von der Freudigkeit des Einhorns (4. Mos. 23.22) in der Bibel die Rede war. Thüren (d.i. sich erkühnen) wurde zu dürfen (Matth. 22. 46). aus Reich- arabia lAradiki. tslix) machte man das Reich Arabia, aus leydich (vou Leid) wurde ledig (2. Sam. 13,20), aus uubedackt (--- unbedacht) wurde unbedeckt (4. Mos. 4, 20), ans euern, d.i. wiederholen (eigentlich äfern von afer) wurde eifern (Syr. 17, 9). Unstreitig das größte Verdienst um die Erhaltung und Verbreitung der Lutherbibel hat sich die vom Freiherrn von Canstein in Halle gegründete Bibelanstalt erworben. Der Cansteinsche Text war bisher der beste und ver- breitetste, der tsxtns r<!v6pw8 der Lutherbibel. Da jedoch von andern Bibel-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/288>, abgerufen am 01.09.2024.