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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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der Bismarckschen Familie mit argwöhnischen, unfreundlichen Augen angesehen
habe? Verträgt es sich wohl mit dem durch nud durch geraden und hoch¬
herzigen Charakter Bnchers, dem jeder Servilismus fremd war, wenn von
ihm gesagt wird, das; er, bei aller persönlichen Freundschaft für deu Fürsten,
andern gegenüber wegwerfend über seinen Chef geurteilt habe? Wer den Ver¬
storbnen nur etwas näher kannte, hält ihn solcher Heuchelei nicht für fähig!
Wie ist es nur denkbar, daß Bücher erklärt haben soll, Fürst Bismarck trage
die Hauptschuld an seiner Entlassung, während er sich durch die Entlassung
des Kanzlers fast tiefer getränkt fühlte, als der Fürst selbst! Dabei behauptet
der Verfasser noch folgendes: "Bücher erkannte ebenso wie andre objektive
Beobachter an, daß die Lage in den letzten Jahren Bismarcks unhaltbar ge¬
worden sei. Die fortwährenden Niederlagen nach innen und außen, die Ver¬
hetzung aller Klassen und Parteien, die zunehmende Direktivnslosigkeit der
Regiernngsorgane hätten einen Umschwung unvermeidlich gemacht." Ein solches
Urteil über den Fürsten Bismarck hat man dein deutschen Volke glücklicher¬
weise bis jetzt noch nicht oft vorzusetzen gewagt. Dem namenlosen Verfasser
freilich können wir für diesen Satz nur dankbar sein, denn er verrät wenigstens,
gegen wen die Spitze seines ganzen Artikels gerichtet ist. Daß aber Bucher
mit einem Manne verkehrt haben sollte, der so über den Fürsten Bismarck
urteilt, ist gar nicht anzunehmen. Der Verstorbne klagte mir einst, daß er in
Berlin hänfig von Persönlichkeiten aufgesucht würde, die er nicht zurückweisen
könne, obwohl sie bei ihm nnr herumhorchen wollten. Sollte der Verfasser
vielleicht zu diesen Herren gehören?

Bücher wird in dem Aufsatz auch als ein unscheinbarer Mann hingestellt,
der sehr einfach gelebt, eine fast ärmlich allsgestattete Wohnung bewohnt habe,
wegen seiner bescheidnen Vermögenslage keine Reise habe unternehmen können
und sich von dem Fürsten Bismarck habe schlecht behandeln lassen. Ich weiß
nun nicht, mit welchen Augen Bücher angesehen wurde, aber unscheinbar hat
er trotz seiner einfachen Kleidung niemals ausgesehen. Man hatte vielmehr
uns den ersten Blick den Eindruck, sich einer geistig ungewöhnlich bedeutenden
Persönlichkeit gegenüber zu befinden, und es ist mir wiederholt begegnet, daß
ich von Freunden gefragt wurde: "Wer ist denn der Herr mit dem auffallenden,
geistvollen Gesicht?" Buchers Wohnung befand sich in der ersten Etage des
Hauses Derffliugerstraße Ur. 22, nahe am Tiergarten, wo er so gern spa¬
zieren ging. Sie war einfach, aber sehr gemütlich und ganz nach seinen
Wünschen eingerichtet. Ein kleines Empfangszimmer, ein daran stoßendes
größeres Arbeitszimmer mit vielen Büchern an den Wänden, und dahinter
ein sehr großes, bequem ausgestattetes Schlafzimmer bildeten die von ihm be¬
wohnten Räume, vou deren Fenstern er einen freundlichen Blick auf gegen¬
überliegendes Gartenland genießen konnte. Diese drei Zimmer genügten für
die Bedürfnisse des einfachen Mannes so vollständig, daß er deu hintern Teil


Grenzboten I 1893 23

der Bismarckschen Familie mit argwöhnischen, unfreundlichen Augen angesehen
habe? Verträgt es sich wohl mit dem durch nud durch geraden und hoch¬
herzigen Charakter Bnchers, dem jeder Servilismus fremd war, wenn von
ihm gesagt wird, das; er, bei aller persönlichen Freundschaft für deu Fürsten,
andern gegenüber wegwerfend über seinen Chef geurteilt habe? Wer den Ver¬
storbnen nur etwas näher kannte, hält ihn solcher Heuchelei nicht für fähig!
Wie ist es nur denkbar, daß Bücher erklärt haben soll, Fürst Bismarck trage
die Hauptschuld an seiner Entlassung, während er sich durch die Entlassung
des Kanzlers fast tiefer getränkt fühlte, als der Fürst selbst! Dabei behauptet
der Verfasser noch folgendes: „Bücher erkannte ebenso wie andre objektive
Beobachter an, daß die Lage in den letzten Jahren Bismarcks unhaltbar ge¬
worden sei. Die fortwährenden Niederlagen nach innen und außen, die Ver¬
hetzung aller Klassen und Parteien, die zunehmende Direktivnslosigkeit der
Regiernngsorgane hätten einen Umschwung unvermeidlich gemacht." Ein solches
Urteil über den Fürsten Bismarck hat man dein deutschen Volke glücklicher¬
weise bis jetzt noch nicht oft vorzusetzen gewagt. Dem namenlosen Verfasser
freilich können wir für diesen Satz nur dankbar sein, denn er verrät wenigstens,
gegen wen die Spitze seines ganzen Artikels gerichtet ist. Daß aber Bucher
mit einem Manne verkehrt haben sollte, der so über den Fürsten Bismarck
urteilt, ist gar nicht anzunehmen. Der Verstorbne klagte mir einst, daß er in
Berlin hänfig von Persönlichkeiten aufgesucht würde, die er nicht zurückweisen
könne, obwohl sie bei ihm nnr herumhorchen wollten. Sollte der Verfasser
vielleicht zu diesen Herren gehören?

Bücher wird in dem Aufsatz auch als ein unscheinbarer Mann hingestellt,
der sehr einfach gelebt, eine fast ärmlich allsgestattete Wohnung bewohnt habe,
wegen seiner bescheidnen Vermögenslage keine Reise habe unternehmen können
und sich von dem Fürsten Bismarck habe schlecht behandeln lassen. Ich weiß
nun nicht, mit welchen Augen Bücher angesehen wurde, aber unscheinbar hat
er trotz seiner einfachen Kleidung niemals ausgesehen. Man hatte vielmehr
uns den ersten Blick den Eindruck, sich einer geistig ungewöhnlich bedeutenden
Persönlichkeit gegenüber zu befinden, und es ist mir wiederholt begegnet, daß
ich von Freunden gefragt wurde: „Wer ist denn der Herr mit dem auffallenden,
geistvollen Gesicht?" Buchers Wohnung befand sich in der ersten Etage des
Hauses Derffliugerstraße Ur. 22, nahe am Tiergarten, wo er so gern spa¬
zieren ging. Sie war einfach, aber sehr gemütlich und ganz nach seinen
Wünschen eingerichtet. Ein kleines Empfangszimmer, ein daran stoßendes
größeres Arbeitszimmer mit vielen Büchern an den Wänden, und dahinter
ein sehr großes, bequem ausgestattetes Schlafzimmer bildeten die von ihm be¬
wohnten Räume, vou deren Fenstern er einen freundlichen Blick auf gegen¬
überliegendes Gartenland genießen konnte. Diese drei Zimmer genügten für
die Bedürfnisse des einfachen Mannes so vollständig, daß er deu hintern Teil


Grenzboten I 1893 23
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[0187] der Bismarckschen Familie mit argwöhnischen, unfreundlichen Augen angesehen habe? Verträgt es sich wohl mit dem durch nud durch geraden und hoch¬ herzigen Charakter Bnchers, dem jeder Servilismus fremd war, wenn von ihm gesagt wird, das; er, bei aller persönlichen Freundschaft für deu Fürsten, andern gegenüber wegwerfend über seinen Chef geurteilt habe? Wer den Ver¬ storbnen nur etwas näher kannte, hält ihn solcher Heuchelei nicht für fähig! Wie ist es nur denkbar, daß Bücher erklärt haben soll, Fürst Bismarck trage die Hauptschuld an seiner Entlassung, während er sich durch die Entlassung des Kanzlers fast tiefer getränkt fühlte, als der Fürst selbst! Dabei behauptet der Verfasser noch folgendes: „Bücher erkannte ebenso wie andre objektive Beobachter an, daß die Lage in den letzten Jahren Bismarcks unhaltbar ge¬ worden sei. Die fortwährenden Niederlagen nach innen und außen, die Ver¬ hetzung aller Klassen und Parteien, die zunehmende Direktivnslosigkeit der Regiernngsorgane hätten einen Umschwung unvermeidlich gemacht." Ein solches Urteil über den Fürsten Bismarck hat man dein deutschen Volke glücklicher¬ weise bis jetzt noch nicht oft vorzusetzen gewagt. Dem namenlosen Verfasser freilich können wir für diesen Satz nur dankbar sein, denn er verrät wenigstens, gegen wen die Spitze seines ganzen Artikels gerichtet ist. Daß aber Bucher mit einem Manne verkehrt haben sollte, der so über den Fürsten Bismarck urteilt, ist gar nicht anzunehmen. Der Verstorbne klagte mir einst, daß er in Berlin hänfig von Persönlichkeiten aufgesucht würde, die er nicht zurückweisen könne, obwohl sie bei ihm nnr herumhorchen wollten. Sollte der Verfasser vielleicht zu diesen Herren gehören? Bücher wird in dem Aufsatz auch als ein unscheinbarer Mann hingestellt, der sehr einfach gelebt, eine fast ärmlich allsgestattete Wohnung bewohnt habe, wegen seiner bescheidnen Vermögenslage keine Reise habe unternehmen können und sich von dem Fürsten Bismarck habe schlecht behandeln lassen. Ich weiß nun nicht, mit welchen Augen Bücher angesehen wurde, aber unscheinbar hat er trotz seiner einfachen Kleidung niemals ausgesehen. Man hatte vielmehr uns den ersten Blick den Eindruck, sich einer geistig ungewöhnlich bedeutenden Persönlichkeit gegenüber zu befinden, und es ist mir wiederholt begegnet, daß ich von Freunden gefragt wurde: „Wer ist denn der Herr mit dem auffallenden, geistvollen Gesicht?" Buchers Wohnung befand sich in der ersten Etage des Hauses Derffliugerstraße Ur. 22, nahe am Tiergarten, wo er so gern spa¬ zieren ging. Sie war einfach, aber sehr gemütlich und ganz nach seinen Wünschen eingerichtet. Ein kleines Empfangszimmer, ein daran stoßendes größeres Arbeitszimmer mit vielen Büchern an den Wänden, und dahinter ein sehr großes, bequem ausgestattetes Schlafzimmer bildeten die von ihm be¬ wohnten Räume, vou deren Fenstern er einen freundlichen Blick auf gegen¬ überliegendes Gartenland genießen konnte. Diese drei Zimmer genügten für die Bedürfnisse des einfachen Mannes so vollständig, daß er deu hintern Teil Grenzboten I 1893 23

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/187>, abgerufen am 01.09.2024.