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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Unser Panama

eine nicht; jeder Sünder hat Anspruch auf Gnade, für den Antisemiten ist
der Höllenpfuhl noch nicht heiß genug. Jeden Schimpf glaubt man sich gegen
jeden erlauben zu dürfen, der in dem entferntesten Verdachte steht, sich über die
Lösung der Judenfrage Gedanken zu machen, ja überhaupt nur eine Juden-
frage anzuerkennen. Freiheit ist das dritte Wort, Freiheit der Meinung, Frei¬
heit der Meinungsäußerung, Freiheit der Bewegung, Freiheit des Erwerbs
u. s. w. Aber wenn in Berlin die Schrift Ahlwardts ausgerufen wird, so
muß gegen solchen Mißbrauch der Preß- und Kolportagefreiheit die Polizei
aufgeboten werden, und wie manche Wortführer der Antisemiten Ausnahme¬
gesetze für die Juden, so fordern jetzt schon freisinnige Juden Ausnahme¬
gesetze gegen die Antisemiten. Es giebt Zeitungen, die das deutsche Volk in
zwei große Klassen bringen: Liberale und Antisemiten. Und wie die eine
ahnungslos die ihnen verhaßte Partei sür viel größer ausgiebt, als sie in
Wahrheit ist, vergißt eine andre, die den Antisemitismus mit Vorliebe eine
Sumpfpflanze nennt, daß solche Pflanzen nur da gedeihen, wo ein Sumpf ist,
und sofort verschwinden, wenn der Sumpf trockengelegt wird. So weit sind
wir gekommen, daß besonnenen Juden selbst vor diesem spezifisch jüdischen Li¬
beralismus bange zu werden anfängt. Ganz besonders lehrreich ist die Art,
wie ein Herr Lazarus, der nach Aussage des Konversationslexikons aus dem
Poseuschen eingewandert ist und an der Berliner Kriegsakademie Philosophie
vorträgt, in dem Ahlwardtschen Prozesse aufgetreten ist. Vorgeladen, um über
die ^UtMos isrÄölitö Auskunft zu geben, benutzte er diese Gelegenheit zu dem
Gutachten, daß der Angeklagte wahnwitzig fein müsse. Das wäre allerdings
die einfachste Lösung der schwierigen Frage: alle Gegner des Judentums werden
in Irrenhäuser gesperrt, und Deutschland ist gerettet!

Die Übertreibungen und Ausschreitungen auf antisemitischer Seite, die
Fälle, wo die Gegnerschaft aus Brotneid oder ähnlichen Beweggründen her-
vorzugehn scheint, sind den Juden und Judenfreunden in der Presse trotz all
ihrer bittern Klagen offenbar sehr willkommen, da sie ihnen den Vorwand ge¬
währen, die ganze Bewegung als den Ausfluß schlechter und gemeiner Leiden¬
schaften darzustellen. Daß dies nicht der Fall ist, daß in der Bewegung zwei
grundverschiedne Strömungen neben einander hergehn, darüber täuschen sich
möglicherweise die Juden selbst, ihre nichtjüdischer Anhänger und Wortführer
können das schwerlich. Sie sind es ja, die uns die dem Deutschtum drohende
Gefahr fortwährend vor Augen führen, indem sie predigen, wir sollten uns
bestreben, den Juden gleich zu werden, so thätig, so pfiffig, so sparsam u.s. w.
wie sie, denn würden wir ihre Konkurrenz nicht zu fürchten haben. Ist damit
nicht die Wahrheit zugestanden, daß hier einer der nationalen Kämpfe ent¬
brannt ist, in denen es sich um die Behauptung des eignen Volkstums han¬
delt? Derselbe Kampf, den die Deutschen an allen Grenzen gegen Dänen, Fran¬
zosen, Italiener, Slawen, Magyaren zu bestehn haben? In solchen Kämpfen


Unser Panama

eine nicht; jeder Sünder hat Anspruch auf Gnade, für den Antisemiten ist
der Höllenpfuhl noch nicht heiß genug. Jeden Schimpf glaubt man sich gegen
jeden erlauben zu dürfen, der in dem entferntesten Verdachte steht, sich über die
Lösung der Judenfrage Gedanken zu machen, ja überhaupt nur eine Juden-
frage anzuerkennen. Freiheit ist das dritte Wort, Freiheit der Meinung, Frei¬
heit der Meinungsäußerung, Freiheit der Bewegung, Freiheit des Erwerbs
u. s. w. Aber wenn in Berlin die Schrift Ahlwardts ausgerufen wird, so
muß gegen solchen Mißbrauch der Preß- und Kolportagefreiheit die Polizei
aufgeboten werden, und wie manche Wortführer der Antisemiten Ausnahme¬
gesetze für die Juden, so fordern jetzt schon freisinnige Juden Ausnahme¬
gesetze gegen die Antisemiten. Es giebt Zeitungen, die das deutsche Volk in
zwei große Klassen bringen: Liberale und Antisemiten. Und wie die eine
ahnungslos die ihnen verhaßte Partei sür viel größer ausgiebt, als sie in
Wahrheit ist, vergißt eine andre, die den Antisemitismus mit Vorliebe eine
Sumpfpflanze nennt, daß solche Pflanzen nur da gedeihen, wo ein Sumpf ist,
und sofort verschwinden, wenn der Sumpf trockengelegt wird. So weit sind
wir gekommen, daß besonnenen Juden selbst vor diesem spezifisch jüdischen Li¬
beralismus bange zu werden anfängt. Ganz besonders lehrreich ist die Art,
wie ein Herr Lazarus, der nach Aussage des Konversationslexikons aus dem
Poseuschen eingewandert ist und an der Berliner Kriegsakademie Philosophie
vorträgt, in dem Ahlwardtschen Prozesse aufgetreten ist. Vorgeladen, um über
die ^UtMos isrÄölitö Auskunft zu geben, benutzte er diese Gelegenheit zu dem
Gutachten, daß der Angeklagte wahnwitzig fein müsse. Das wäre allerdings
die einfachste Lösung der schwierigen Frage: alle Gegner des Judentums werden
in Irrenhäuser gesperrt, und Deutschland ist gerettet!

Die Übertreibungen und Ausschreitungen auf antisemitischer Seite, die
Fälle, wo die Gegnerschaft aus Brotneid oder ähnlichen Beweggründen her-
vorzugehn scheint, sind den Juden und Judenfreunden in der Presse trotz all
ihrer bittern Klagen offenbar sehr willkommen, da sie ihnen den Vorwand ge¬
währen, die ganze Bewegung als den Ausfluß schlechter und gemeiner Leiden¬
schaften darzustellen. Daß dies nicht der Fall ist, daß in der Bewegung zwei
grundverschiedne Strömungen neben einander hergehn, darüber täuschen sich
möglicherweise die Juden selbst, ihre nichtjüdischer Anhänger und Wortführer
können das schwerlich. Sie sind es ja, die uns die dem Deutschtum drohende
Gefahr fortwährend vor Augen führen, indem sie predigen, wir sollten uns
bestreben, den Juden gleich zu werden, so thätig, so pfiffig, so sparsam u.s. w.
wie sie, denn würden wir ihre Konkurrenz nicht zu fürchten haben. Ist damit
nicht die Wahrheit zugestanden, daß hier einer der nationalen Kämpfe ent¬
brannt ist, in denen es sich um die Behauptung des eignen Volkstums han¬
delt? Derselbe Kampf, den die Deutschen an allen Grenzen gegen Dänen, Fran¬
zosen, Italiener, Slawen, Magyaren zu bestehn haben? In solchen Kämpfen


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/176>, abgerufen am 01.09.2024.