Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.Die Socialdemokratie und die Mililärvorlage sicherlich sein Verbrauch ab, während der weniger wünschenswerte des Brannt¬ Außer dem sozialpolitischen haftet für die Sozialdemokratie an der Vor¬ Die Socialdemokratie und die Mililärvorlage sicherlich sein Verbrauch ab, während der weniger wünschenswerte des Brannt¬ Außer dem sozialpolitischen haftet für die Sozialdemokratie an der Vor¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0172" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/213964"/> <fw type="header" place="top"> Die Socialdemokratie und die Mililärvorlage</fw><lb/> <p xml:id="ID_535" prev="#ID_534"> sicherlich sein Verbrauch ab, während der weniger wünschenswerte des Brannt¬<lb/> weins, seines Nebenbuhlers in der Gunst des niedern Volks, wächst. Die<lb/> Erhöhung der Biersteuer wird freilich auf das Glas uur eiuen Bruchteil eines<lb/> Pfennigs betragen, aber auf wen wird die Steuer gewälzt werden? Wenn sie<lb/> von den Brauereien und den Zwischenverkäufen! den Konsumenten zugeschoben<lb/> wird, so ist es sehr leicht möglich, daß der Zuschlag sür das Glas eher mehr<lb/> als einen Pfennig ausmachen wird, der Mehrbetrag der Steuer läßt sich „ohne<lb/> Übervorteilung des Konsumenten gar nicht darstellen." Die kleine Übervortei¬<lb/> lung, die dem Konsumenten, sofern er die Steuer bezahlen muß, gewiß ist, da<lb/> der Überschuß über deu Pfeuuigbruchteil keine wirklich vorhandue Größe ist,<lb/> wird leicht zu einer etwas größern, nach oben abgerundeten, die sich auch be¬<lb/> quemer ausrechnen läßt. Die Brauereien aber befürchten eine Minderung ihres<lb/> Absatzes, und die kleinern fürchten trotz des Schutzes, den man ihnen verheißt,<lb/> für ihre Existenz, sie fürchten, daß noch öfter als bisher der Brauereibesitzer<lb/> ans dem Mittelstande dem Brauereidirektvr, dem Vertreter der Großindustrie,<lb/> zu weichen haben würde. In den Gastwirtschaften hat man angefangen,<lb/> Unterschriften zu Petitionen an den Reichstag zu sammeln, man sucht die Pro¬<lb/> duzenten und die Konsumenten des Biers zu vereinigen. Die Mißstimmung,<lb/> die alle solche vielleicht unnötigen Befürchtungen bei der Bevölkerung hervor¬<lb/> rufen, überträgt sich vielfach auf die Militürvorlage und den Militarismus,<lb/> besonders wenn, wie es geschieht, der schöne Agitationsstoff nach Kräften aus¬<lb/> gebeutet wird.</p><lb/> <p xml:id="ID_536" next="#ID_537"> Außer dem sozialpolitischen haftet für die Sozialdemokratie an der Vor¬<lb/> lage ein hervorragendes agitatorisches Interesse. Hütte man bei der Vorlage<lb/> Rücksicht auf die Zunahme der sozialdemokratischen Bewegung nehmen wollen<lb/> oder können, so hätte man sie zu einer günstigern Zeit einbringen müssen;<lb/> allerdings wäre der Zeitpunkt kurz vor 1895, d. h. vor Ablauf der ersten<lb/> fünfjährige» Legislaturperiode, wohl noch ungünstiger gewesen. Die Freunde<lb/> der Regierung warnen vor einer Auflösung des Reichstags, weil die Neu¬<lb/> wahlen nach ziemlich allgemeiner Annahme schlecht ausfallen würden. Die<lb/> Sozialdemokraten dagegen sehen Neuwahlen zuversichtlich entgegen. Herr von<lb/> Bennigsen fürchtet, daß ein neugewählter Reichstag noch viel weniger Neigung<lb/> haben werde, eine solche Vorlage zu bewilligen; die Kreuzzeitung erinnert an<lb/> ihre ältern Prophezeiungen, hält einen Konflikt im Reiche für nicht gut möglich,<lb/> erwartet von den Neuwahlen nichts gutes und möchte eine Schwächung des<lb/> Ansehens der Negierung abgewendet wissen; die Sozialdemokratie dagegen, die<lb/> es auch für einen „großen Gesichtspunkt" zu halten scheint, nach Herzenslust<lb/> zu agitiren, hat schon seit langem ihre Mobilmachung begonnen und hält sich<lb/> für den Fall einer Wahl bereit. Sofort als sich die Möglichkeit einer Auf¬<lb/> lösung nnr ganz von ferne zeigte, begannen schon die sozialdemokratischen<lb/> Rüstungen. Es hat Versammlungen über Versammlungen gegeben unter dem</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0172]
Die Socialdemokratie und die Mililärvorlage
sicherlich sein Verbrauch ab, während der weniger wünschenswerte des Brannt¬
weins, seines Nebenbuhlers in der Gunst des niedern Volks, wächst. Die
Erhöhung der Biersteuer wird freilich auf das Glas uur eiuen Bruchteil eines
Pfennigs betragen, aber auf wen wird die Steuer gewälzt werden? Wenn sie
von den Brauereien und den Zwischenverkäufen! den Konsumenten zugeschoben
wird, so ist es sehr leicht möglich, daß der Zuschlag sür das Glas eher mehr
als einen Pfennig ausmachen wird, der Mehrbetrag der Steuer läßt sich „ohne
Übervorteilung des Konsumenten gar nicht darstellen." Die kleine Übervortei¬
lung, die dem Konsumenten, sofern er die Steuer bezahlen muß, gewiß ist, da
der Überschuß über deu Pfeuuigbruchteil keine wirklich vorhandue Größe ist,
wird leicht zu einer etwas größern, nach oben abgerundeten, die sich auch be¬
quemer ausrechnen läßt. Die Brauereien aber befürchten eine Minderung ihres
Absatzes, und die kleinern fürchten trotz des Schutzes, den man ihnen verheißt,
für ihre Existenz, sie fürchten, daß noch öfter als bisher der Brauereibesitzer
ans dem Mittelstande dem Brauereidirektvr, dem Vertreter der Großindustrie,
zu weichen haben würde. In den Gastwirtschaften hat man angefangen,
Unterschriften zu Petitionen an den Reichstag zu sammeln, man sucht die Pro¬
duzenten und die Konsumenten des Biers zu vereinigen. Die Mißstimmung,
die alle solche vielleicht unnötigen Befürchtungen bei der Bevölkerung hervor¬
rufen, überträgt sich vielfach auf die Militürvorlage und den Militarismus,
besonders wenn, wie es geschieht, der schöne Agitationsstoff nach Kräften aus¬
gebeutet wird.
Außer dem sozialpolitischen haftet für die Sozialdemokratie an der Vor¬
lage ein hervorragendes agitatorisches Interesse. Hütte man bei der Vorlage
Rücksicht auf die Zunahme der sozialdemokratischen Bewegung nehmen wollen
oder können, so hätte man sie zu einer günstigern Zeit einbringen müssen;
allerdings wäre der Zeitpunkt kurz vor 1895, d. h. vor Ablauf der ersten
fünfjährige» Legislaturperiode, wohl noch ungünstiger gewesen. Die Freunde
der Regierung warnen vor einer Auflösung des Reichstags, weil die Neu¬
wahlen nach ziemlich allgemeiner Annahme schlecht ausfallen würden. Die
Sozialdemokraten dagegen sehen Neuwahlen zuversichtlich entgegen. Herr von
Bennigsen fürchtet, daß ein neugewählter Reichstag noch viel weniger Neigung
haben werde, eine solche Vorlage zu bewilligen; die Kreuzzeitung erinnert an
ihre ältern Prophezeiungen, hält einen Konflikt im Reiche für nicht gut möglich,
erwartet von den Neuwahlen nichts gutes und möchte eine Schwächung des
Ansehens der Negierung abgewendet wissen; die Sozialdemokratie dagegen, die
es auch für einen „großen Gesichtspunkt" zu halten scheint, nach Herzenslust
zu agitiren, hat schon seit langem ihre Mobilmachung begonnen und hält sich
für den Fall einer Wahl bereit. Sofort als sich die Möglichkeit einer Auf¬
lösung nnr ganz von ferne zeigte, begannen schon die sozialdemokratischen
Rüstungen. Es hat Versammlungen über Versammlungen gegeben unter dem
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