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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Gin vermächtuis Lenaus an die Deutschon

Nicht liebt er die Religion,
Die sittenstarr ein Volk begräbt.

Man vergleiche damit in Lenaus Gedichten die Schlußstrophe des "Cisteron"
(des ersten Gedichts des "Klara Hebert" überschriebnen Cyklus). Auch die
beiden Gedichte "Hinter dem Walde" und "Erst baute der Mann" im "Ame¬
rikamüden" mahnen in Stimmung und Stil durchaus an Lenausche Weise.

Was aber vollends am Schluß des "Amerikamüden" steht, genügt, jeden
weitern Zweifel zu heben. Die Stelle lautet von da ab, wo sich Moorfeld
bei der Bennetschen Familie in Newyork verabschiedet, wörtlich folgender¬
maßen :

"Das darf Ihr letztes Wort nicht sein!

Es ists nicht, antwortete Moorfeld, ich werde den Frauenherzen noch
manches Souvenir schreiben! Verfolgen Sie den Dichternamen Nikolaus --

Seine Stimme brach -- ein Blick -- ein Hündcdruck -- er stürmte
hinweg."

Auch sonst deuten überall bestimmte Züge auf Nikolaus Nimbsch von
Strelenau; so die Entdeckung des adelichen Namens auf der Visitenkarte, die
Entdeckung, daß er ein Dichter sei, die Anspielung auf den Wahnsinn des Dich¬
ters, die Begegnung mit Da Ponte, dem Don Juan-Textdichter in Newyork
und andres.

In welchem Verhältnis Ferdinand Kürnberger zu Lenen gestanden hat,
als er dieses Buch schrieb -- die Veröffentlichung geschah erst nach Lenans
Tode 1855 das ausfindig zu machen, wird Sache der litterarischen For¬
schung sein. Ob Lenau seinein Freunde Kürnberger die Sachen schriftlich oder
mündlich überliefert hat und unter welchen Verhältnissen, mit welcher Absicht,
das wird von den Litteraturfreunden hoffentlich bald aufgeklärt werden. Daß
es nicht eine bloße Phantasie Kürnbergers*) sein konnte, dafür spricht mit aller
Entschiedenheit, daß dieser, wie Schembera in der Vorrede angiebt, nie in
Amerika gewesen ist. Jeder, der, wie der Verfasser dieser Zeilen, jahrelang
in Amerika gelebt hat, wird die Unmöglichkeit solcher Phantasieschöpfungen
unter so eigentümlichen Verhältnissen bestätigen.

Was aber das Jnteressanteste ist: die Möglichkeit, Vergleiche anzustellen,
wie sich das Deutschtum 1832 in Amerika zeigte, und wie es sich zwei Menschen¬
alter später zeigt, ist uns jetzt gegeben, wo das deutsche Chicago und Mil-
waukee, die geistig gebietende Macht des Westens, uns zur Weltausstellung
einladet, jetzt, wo der deutschen Völkerströmung Vonseiten der Ä)ankees ein
energisches "Halt" durch die Mac Kiuleh-Bill und das Auswauderungsverbot
zugerufen werden soll.



Eine Täuschung des Publikums ist bei der bekannten grundgedieguen Arbeitsweise
Kürnbergers, wie sie aus allen seinen Schriften hervorgeht, gänzlich nnsgeschlosse".
Gin vermächtuis Lenaus an die Deutschon

Nicht liebt er die Religion,
Die sittenstarr ein Volk begräbt.

Man vergleiche damit in Lenaus Gedichten die Schlußstrophe des „Cisteron"
(des ersten Gedichts des „Klara Hebert" überschriebnen Cyklus). Auch die
beiden Gedichte „Hinter dem Walde" und „Erst baute der Mann" im „Ame¬
rikamüden" mahnen in Stimmung und Stil durchaus an Lenausche Weise.

Was aber vollends am Schluß des „Amerikamüden" steht, genügt, jeden
weitern Zweifel zu heben. Die Stelle lautet von da ab, wo sich Moorfeld
bei der Bennetschen Familie in Newyork verabschiedet, wörtlich folgender¬
maßen :

„Das darf Ihr letztes Wort nicht sein!

Es ists nicht, antwortete Moorfeld, ich werde den Frauenherzen noch
manches Souvenir schreiben! Verfolgen Sie den Dichternamen Nikolaus —

Seine Stimme brach — ein Blick — ein Hündcdruck — er stürmte
hinweg."

Auch sonst deuten überall bestimmte Züge auf Nikolaus Nimbsch von
Strelenau; so die Entdeckung des adelichen Namens auf der Visitenkarte, die
Entdeckung, daß er ein Dichter sei, die Anspielung auf den Wahnsinn des Dich¬
ters, die Begegnung mit Da Ponte, dem Don Juan-Textdichter in Newyork
und andres.

In welchem Verhältnis Ferdinand Kürnberger zu Lenen gestanden hat,
als er dieses Buch schrieb — die Veröffentlichung geschah erst nach Lenans
Tode 1855 das ausfindig zu machen, wird Sache der litterarischen For¬
schung sein. Ob Lenau seinein Freunde Kürnberger die Sachen schriftlich oder
mündlich überliefert hat und unter welchen Verhältnissen, mit welcher Absicht,
das wird von den Litteraturfreunden hoffentlich bald aufgeklärt werden. Daß
es nicht eine bloße Phantasie Kürnbergers*) sein konnte, dafür spricht mit aller
Entschiedenheit, daß dieser, wie Schembera in der Vorrede angiebt, nie in
Amerika gewesen ist. Jeder, der, wie der Verfasser dieser Zeilen, jahrelang
in Amerika gelebt hat, wird die Unmöglichkeit solcher Phantasieschöpfungen
unter so eigentümlichen Verhältnissen bestätigen.

Was aber das Jnteressanteste ist: die Möglichkeit, Vergleiche anzustellen,
wie sich das Deutschtum 1832 in Amerika zeigte, und wie es sich zwei Menschen¬
alter später zeigt, ist uns jetzt gegeben, wo das deutsche Chicago und Mil-
waukee, die geistig gebietende Macht des Westens, uns zur Weltausstellung
einladet, jetzt, wo der deutschen Völkerströmung Vonseiten der Ä)ankees ein
energisches „Halt" durch die Mac Kiuleh-Bill und das Auswauderungsverbot
zugerufen werden soll.



Eine Täuschung des Publikums ist bei der bekannten grundgedieguen Arbeitsweise
Kürnbergers, wie sie aus allen seinen Schriften hervorgeht, gänzlich nnsgeschlosse».
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[0152] Gin vermächtuis Lenaus an die Deutschon Nicht liebt er die Religion, Die sittenstarr ein Volk begräbt. Man vergleiche damit in Lenaus Gedichten die Schlußstrophe des „Cisteron" (des ersten Gedichts des „Klara Hebert" überschriebnen Cyklus). Auch die beiden Gedichte „Hinter dem Walde" und „Erst baute der Mann" im „Ame¬ rikamüden" mahnen in Stimmung und Stil durchaus an Lenausche Weise. Was aber vollends am Schluß des „Amerikamüden" steht, genügt, jeden weitern Zweifel zu heben. Die Stelle lautet von da ab, wo sich Moorfeld bei der Bennetschen Familie in Newyork verabschiedet, wörtlich folgender¬ maßen : „Das darf Ihr letztes Wort nicht sein! Es ists nicht, antwortete Moorfeld, ich werde den Frauenherzen noch manches Souvenir schreiben! Verfolgen Sie den Dichternamen Nikolaus — Seine Stimme brach — ein Blick — ein Hündcdruck — er stürmte hinweg." Auch sonst deuten überall bestimmte Züge auf Nikolaus Nimbsch von Strelenau; so die Entdeckung des adelichen Namens auf der Visitenkarte, die Entdeckung, daß er ein Dichter sei, die Anspielung auf den Wahnsinn des Dich¬ ters, die Begegnung mit Da Ponte, dem Don Juan-Textdichter in Newyork und andres. In welchem Verhältnis Ferdinand Kürnberger zu Lenen gestanden hat, als er dieses Buch schrieb — die Veröffentlichung geschah erst nach Lenans Tode 1855 das ausfindig zu machen, wird Sache der litterarischen For¬ schung sein. Ob Lenau seinein Freunde Kürnberger die Sachen schriftlich oder mündlich überliefert hat und unter welchen Verhältnissen, mit welcher Absicht, das wird von den Litteraturfreunden hoffentlich bald aufgeklärt werden. Daß es nicht eine bloße Phantasie Kürnbergers*) sein konnte, dafür spricht mit aller Entschiedenheit, daß dieser, wie Schembera in der Vorrede angiebt, nie in Amerika gewesen ist. Jeder, der, wie der Verfasser dieser Zeilen, jahrelang in Amerika gelebt hat, wird die Unmöglichkeit solcher Phantasieschöpfungen unter so eigentümlichen Verhältnissen bestätigen. Was aber das Jnteressanteste ist: die Möglichkeit, Vergleiche anzustellen, wie sich das Deutschtum 1832 in Amerika zeigte, und wie es sich zwei Menschen¬ alter später zeigt, ist uns jetzt gegeben, wo das deutsche Chicago und Mil- waukee, die geistig gebietende Macht des Westens, uns zur Weltausstellung einladet, jetzt, wo der deutschen Völkerströmung Vonseiten der Ä)ankees ein energisches „Halt" durch die Mac Kiuleh-Bill und das Auswauderungsverbot zugerufen werden soll. Eine Täuschung des Publikums ist bei der bekannten grundgedieguen Arbeitsweise Kürnbergers, wie sie aus allen seinen Schriften hervorgeht, gänzlich nnsgeschlosse».

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/152>, abgerufen am 01.09.2024.