Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.können der Sache hier nicht nachspüren, genug: die kleinen Leute in den Städten Aber die Zeit ist kritisch, und soll unsre Sozial- und Wirtschaftspolitik Für das Königreich Sachsen benntzt er die vielbesprochne Arbeit Böhmerts können der Sache hier nicht nachspüren, genug: die kleinen Leute in den Städten Aber die Zeit ist kritisch, und soll unsre Sozial- und Wirtschaftspolitik Für das Königreich Sachsen benntzt er die vielbesprochne Arbeit Böhmerts <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0129" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/213921"/> <fw type="header" place="top"/><lb/> <p xml:id="ID_410" prev="#ID_409"> können der Sache hier nicht nachspüren, genug: die kleinen Leute in den Städten<lb/> wie die Baiern fingen an, über einen ehedem unbekannten Druck zu klagen,<lb/> die Gährung machte sich in den bekannten Kommunisten- und Bauernaufständen<lb/> Luft, und nach deren Unterdrückung benutzten die Herren ihre Übermacht, die<lb/> Bauern nach Anweisung der Lehrer des römischen Rechts zu knechten. Doch<lb/> nahm die Sache keine so verhängnisvolle Wendung wie in England. Die<lb/> Bauern wurden zwar zu Leibeignen gemacht und teilweise ihrer Grundstücke<lb/> beraubt, aber nicht von der Scholle verjagt, und nirgends wurde der Körner¬<lb/> bau durch Weidewirtschaft verdrängt. niedergebeugt, aber ungebrochen, über¬<lb/> stand die deutsche Bauernschaft diese böse Zeit und erfreute sich denn uach<lb/> Aufhebung der Leibeigenschaft und nach Einführung der modernen Verbesse¬<lb/> rungen des Unterhalts einer Blüte, die beispiellos dasteht in der Geschichte<lb/> des Bauernstandes aller Völker und Zeiten. Dabei blieb die Verteilung der<lb/> Bevölkerung über das Land, das Verhältnis zwischen Stadt und Land, zwischen<lb/> Gewerbe und Ackerbau bis in die Mitte unsers Jahrhunderts gesund. Von<lb/> den Gewerben spürte zuerst die Weberei die Saugkraft des schmarotzenden Po¬<lb/> lypen England. Zu einer Zeit, wo die englische Arbeiterschaft das ärgste<lb/> schon hinter sich hatte, in den dreißiger Jahren, vernichtete der englische Kattun<lb/> die deutsche Leiueweberei, und diese zog einen Teil des Handelsstandes, sowie<lb/> einige kleinere Gewerbe in Mitleidenschaft. Bald wurde Deutschland in den<lb/> Strudel des Weltverkehrs hinein gerissen. Es folgten uach einander die Eisen¬<lb/> bahnen, die Geburt der deutschen Großindustrie, die Freizügigkeit, die Bildung<lb/> eines Standes besitz- und heimatloser Lohnarbeiter. Seitdem haben auch wir<lb/> eine Arbeiterfrage, glücklicherweise nicht in so schrecklichen Formen wie Eng¬<lb/> land, und dem größern Teile des Volks ist die gesunde und natürliche Grund-<lb/> lage des wirtschaftlichen Daseins bis auf den heutigen Tag uoch unversehrt<lb/> geblieben.</p><lb/> <p xml:id="ID_411"> Aber die Zeit ist kritisch, und soll unsre Sozial- und Wirtschaftspolitik<lb/> das Richtige treffen, so müssen wir uns vor allem die Frage beantworten:<lb/> Geht es im Augenblick mit uns auf- oder abwärts? Aufwärts, versichert Pro¬<lb/> fessor Wolf kecken Mutes. Natürlich ist es wieder die Konsum-, Einkommen-<lb/> und Vermögensstatistik, womit er seine rosige Ansicht zu rechtfertigen ver¬<lb/> sucht. Nur zwei der deutschen Staaten zieht er in Betracht: Sachsen und<lb/> Preußen.</p><lb/> <p xml:id="ID_412" next="#ID_413"> Für das Königreich Sachsen benntzt er die vielbesprochne Arbeit Böhmerts<lb/> im Jahrgang 1890 der Zeitschrift des königlich sächsischen statistischen Bureaus.<lb/> Böhmert behauptet, daß in der Zeit von 1836 bis 1890 der Fleischverbrauch<lb/> ganz außerordentlich gestiegen sei, und rechnet aus, daß 1836 auf den Kopf<lb/> 17,8 Pfund Schweinefleisch und 14,3 Pfund Rindfleisch, 1890 aber 41,2 Pfund<lb/> Schweinefleisch und 28 Pfund Rindfleisch gekommen seien. Die letzten beiden<lb/> Zahlen sind ebenso wahrscheinlich, wie die ersten beiden unwahrscheinlich. Vom</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0129]
können der Sache hier nicht nachspüren, genug: die kleinen Leute in den Städten
wie die Baiern fingen an, über einen ehedem unbekannten Druck zu klagen,
die Gährung machte sich in den bekannten Kommunisten- und Bauernaufständen
Luft, und nach deren Unterdrückung benutzten die Herren ihre Übermacht, die
Bauern nach Anweisung der Lehrer des römischen Rechts zu knechten. Doch
nahm die Sache keine so verhängnisvolle Wendung wie in England. Die
Bauern wurden zwar zu Leibeignen gemacht und teilweise ihrer Grundstücke
beraubt, aber nicht von der Scholle verjagt, und nirgends wurde der Körner¬
bau durch Weidewirtschaft verdrängt. niedergebeugt, aber ungebrochen, über¬
stand die deutsche Bauernschaft diese böse Zeit und erfreute sich denn uach
Aufhebung der Leibeigenschaft und nach Einführung der modernen Verbesse¬
rungen des Unterhalts einer Blüte, die beispiellos dasteht in der Geschichte
des Bauernstandes aller Völker und Zeiten. Dabei blieb die Verteilung der
Bevölkerung über das Land, das Verhältnis zwischen Stadt und Land, zwischen
Gewerbe und Ackerbau bis in die Mitte unsers Jahrhunderts gesund. Von
den Gewerben spürte zuerst die Weberei die Saugkraft des schmarotzenden Po¬
lypen England. Zu einer Zeit, wo die englische Arbeiterschaft das ärgste
schon hinter sich hatte, in den dreißiger Jahren, vernichtete der englische Kattun
die deutsche Leiueweberei, und diese zog einen Teil des Handelsstandes, sowie
einige kleinere Gewerbe in Mitleidenschaft. Bald wurde Deutschland in den
Strudel des Weltverkehrs hinein gerissen. Es folgten uach einander die Eisen¬
bahnen, die Geburt der deutschen Großindustrie, die Freizügigkeit, die Bildung
eines Standes besitz- und heimatloser Lohnarbeiter. Seitdem haben auch wir
eine Arbeiterfrage, glücklicherweise nicht in so schrecklichen Formen wie Eng¬
land, und dem größern Teile des Volks ist die gesunde und natürliche Grund-
lage des wirtschaftlichen Daseins bis auf den heutigen Tag uoch unversehrt
geblieben.
Aber die Zeit ist kritisch, und soll unsre Sozial- und Wirtschaftspolitik
das Richtige treffen, so müssen wir uns vor allem die Frage beantworten:
Geht es im Augenblick mit uns auf- oder abwärts? Aufwärts, versichert Pro¬
fessor Wolf kecken Mutes. Natürlich ist es wieder die Konsum-, Einkommen-
und Vermögensstatistik, womit er seine rosige Ansicht zu rechtfertigen ver¬
sucht. Nur zwei der deutschen Staaten zieht er in Betracht: Sachsen und
Preußen.
Für das Königreich Sachsen benntzt er die vielbesprochne Arbeit Böhmerts
im Jahrgang 1890 der Zeitschrift des königlich sächsischen statistischen Bureaus.
Böhmert behauptet, daß in der Zeit von 1836 bis 1890 der Fleischverbrauch
ganz außerordentlich gestiegen sei, und rechnet aus, daß 1836 auf den Kopf
17,8 Pfund Schweinefleisch und 14,3 Pfund Rindfleisch, 1890 aber 41,2 Pfund
Schweinefleisch und 28 Pfund Rindfleisch gekommen seien. Die letzten beiden
Zahlen sind ebenso wahrscheinlich, wie die ersten beiden unwahrscheinlich. Vom
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