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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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Der gegenwärtige Stand der Arbeiterwohnungsfrage

notwendig sei, die allgemeine Wohlthätigkeit unsrer mit Glücksgütern gesegneten
Mitbürger auch für die Schaffung von Arbeiterwohnungen anzusprechen. Diese
Wohlthätigkeit kann sich darin äußern, daß Kapitalien dargeliehen werden, bei
denen von vornherein von der Erzielung eines hohen Zinsfußes abgesehen
wird. So hat die Baufirma R. Loche in Halle a. S. von 1879 bis 1891
in zwei großen Häusergruppen über sechshundert Einzelwohnungen geschaffen.
Sie liefert für eine Jahresmiete von hundertfünfzig bis hundertsechzig Mark
eine heizbare Stube, eine Kammer, die Raum für vier Betten hat, und eine
Küche mit Wasferzufluß und -abfluß, ferner einen Kellerraum und auf dem Hofe
einen Stall für Brennmaterialien. Ferner befindet sich in jedem Hanse ein
Kalt- und Warmbad und vor dem Hause ein Garten von zweiundfievzig Qua¬
dratmetern für jede Wohnung. Der geringe Mietpreis könnte aber noch weiter
ermäßigt werden, wenn die Hypotheken statt zu vier zu dreieinhalb Prozent
gegeben würden. Neben dem Privatkapital wurde auf die Gemeinden, die
öffentlichen Sparkassen und die Jnvaliditäts- und Altersversicherungsanstalten
hingewiesen. In der That schweben mit letztern Anstalten Verhandlungen,
und es ist zu hoffen, daß diese binnen kurzem zu einem erfreulichen Abschluß
führen werden. Manche Städte haben den gemeinnützigen Baugesellschaften,
die sich in ihren Mauern gebildet haben, Kapitalien zinsfrei überwiesen in der
richtigen Ansicht, daß die Nrbeiterwohlfahrt den Anspruch erheben könne, die
Öffentlichkeit zu beschäftigen. Fördern sie dadurch unmittelbar die Bangewerke,
so sind sie sehr oft auch in der Lage, ihnen mittelbar Vorschub zu leisten.
Das kann geschehen, wenn es sich darum handelt, Straßen anzulegen, die
neuen Gebäude an die städtische Kanalisation anzuschließen und in andern
Dingen. Ebenso kann der Arbeitgeber, abgesehen davon, daß er seinen Arbeitern
selbst Wohnungen baut oder die Thätigkeit gemeinnütziger Baugesellschaften
durch Darlehen unterstützt, die Arbeit dadurch fordern, daß er seine Geschäfts¬
kenntnis in den Dienst der Arbeitersache stellt oder eine große Schwierigkeit,
die dem Emporblühen derartiger Genossenschaften im Wege steht, sehr oft,
ohne ein allzugroßes Risiko zu übernehmen, ans dem Wege räumt: die ihnen
mangelnde ^Kreditfähigkeit bis zu dem Zeitpunkte, wo das erste Haus soweit
fertig ist, daß eine Hypothek darauf aufgenommen werden kann. Wenn der
Arbeitgeber bedenkt, welchen Wert es für ihn hat, daß seine Arbeiter sich wohl
befinden und zufrieden sind, so wird er ihnen gern und willig in der Woh¬
nungsfrage, deren glückliche Lösung dieses Wohlbefinden außerordentlich zu
heben vermag, nnter die Arme greifen.

Inwiefern kann man nun noch erwarten, daß sich der Staat dieser Frage
helfend annehme? Was er in seiner Eigenschaft als Arbeitgeber leistet, ist
schon gebührend gewürdigt worden, und auf eine weitere unmittelbare Hilfe
darf man schwerlich bei ihm rechnen. Aber auch er kann sehr wohl als mittel¬
barer Förderer in dieser Sache auftreten. Schon hat er auf dem Wege der


Der gegenwärtige Stand der Arbeiterwohnungsfrage

notwendig sei, die allgemeine Wohlthätigkeit unsrer mit Glücksgütern gesegneten
Mitbürger auch für die Schaffung von Arbeiterwohnungen anzusprechen. Diese
Wohlthätigkeit kann sich darin äußern, daß Kapitalien dargeliehen werden, bei
denen von vornherein von der Erzielung eines hohen Zinsfußes abgesehen
wird. So hat die Baufirma R. Loche in Halle a. S. von 1879 bis 1891
in zwei großen Häusergruppen über sechshundert Einzelwohnungen geschaffen.
Sie liefert für eine Jahresmiete von hundertfünfzig bis hundertsechzig Mark
eine heizbare Stube, eine Kammer, die Raum für vier Betten hat, und eine
Küche mit Wasferzufluß und -abfluß, ferner einen Kellerraum und auf dem Hofe
einen Stall für Brennmaterialien. Ferner befindet sich in jedem Hanse ein
Kalt- und Warmbad und vor dem Hause ein Garten von zweiundfievzig Qua¬
dratmetern für jede Wohnung. Der geringe Mietpreis könnte aber noch weiter
ermäßigt werden, wenn die Hypotheken statt zu vier zu dreieinhalb Prozent
gegeben würden. Neben dem Privatkapital wurde auf die Gemeinden, die
öffentlichen Sparkassen und die Jnvaliditäts- und Altersversicherungsanstalten
hingewiesen. In der That schweben mit letztern Anstalten Verhandlungen,
und es ist zu hoffen, daß diese binnen kurzem zu einem erfreulichen Abschluß
führen werden. Manche Städte haben den gemeinnützigen Baugesellschaften,
die sich in ihren Mauern gebildet haben, Kapitalien zinsfrei überwiesen in der
richtigen Ansicht, daß die Nrbeiterwohlfahrt den Anspruch erheben könne, die
Öffentlichkeit zu beschäftigen. Fördern sie dadurch unmittelbar die Bangewerke,
so sind sie sehr oft auch in der Lage, ihnen mittelbar Vorschub zu leisten.
Das kann geschehen, wenn es sich darum handelt, Straßen anzulegen, die
neuen Gebäude an die städtische Kanalisation anzuschließen und in andern
Dingen. Ebenso kann der Arbeitgeber, abgesehen davon, daß er seinen Arbeitern
selbst Wohnungen baut oder die Thätigkeit gemeinnütziger Baugesellschaften
durch Darlehen unterstützt, die Arbeit dadurch fordern, daß er seine Geschäfts¬
kenntnis in den Dienst der Arbeitersache stellt oder eine große Schwierigkeit,
die dem Emporblühen derartiger Genossenschaften im Wege steht, sehr oft,
ohne ein allzugroßes Risiko zu übernehmen, ans dem Wege räumt: die ihnen
mangelnde ^Kreditfähigkeit bis zu dem Zeitpunkte, wo das erste Haus soweit
fertig ist, daß eine Hypothek darauf aufgenommen werden kann. Wenn der
Arbeitgeber bedenkt, welchen Wert es für ihn hat, daß seine Arbeiter sich wohl
befinden und zufrieden sind, so wird er ihnen gern und willig in der Woh¬
nungsfrage, deren glückliche Lösung dieses Wohlbefinden außerordentlich zu
heben vermag, nnter die Arme greifen.

Inwiefern kann man nun noch erwarten, daß sich der Staat dieser Frage
helfend annehme? Was er in seiner Eigenschaft als Arbeitgeber leistet, ist
schon gebührend gewürdigt worden, und auf eine weitere unmittelbare Hilfe
darf man schwerlich bei ihm rechnen. Aber auch er kann sehr wohl als mittel¬
barer Förderer in dieser Sache auftreten. Schon hat er auf dem Wege der


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[0127] Der gegenwärtige Stand der Arbeiterwohnungsfrage notwendig sei, die allgemeine Wohlthätigkeit unsrer mit Glücksgütern gesegneten Mitbürger auch für die Schaffung von Arbeiterwohnungen anzusprechen. Diese Wohlthätigkeit kann sich darin äußern, daß Kapitalien dargeliehen werden, bei denen von vornherein von der Erzielung eines hohen Zinsfußes abgesehen wird. So hat die Baufirma R. Loche in Halle a. S. von 1879 bis 1891 in zwei großen Häusergruppen über sechshundert Einzelwohnungen geschaffen. Sie liefert für eine Jahresmiete von hundertfünfzig bis hundertsechzig Mark eine heizbare Stube, eine Kammer, die Raum für vier Betten hat, und eine Küche mit Wasferzufluß und -abfluß, ferner einen Kellerraum und auf dem Hofe einen Stall für Brennmaterialien. Ferner befindet sich in jedem Hanse ein Kalt- und Warmbad und vor dem Hause ein Garten von zweiundfievzig Qua¬ dratmetern für jede Wohnung. Der geringe Mietpreis könnte aber noch weiter ermäßigt werden, wenn die Hypotheken statt zu vier zu dreieinhalb Prozent gegeben würden. Neben dem Privatkapital wurde auf die Gemeinden, die öffentlichen Sparkassen und die Jnvaliditäts- und Altersversicherungsanstalten hingewiesen. In der That schweben mit letztern Anstalten Verhandlungen, und es ist zu hoffen, daß diese binnen kurzem zu einem erfreulichen Abschluß führen werden. Manche Städte haben den gemeinnützigen Baugesellschaften, die sich in ihren Mauern gebildet haben, Kapitalien zinsfrei überwiesen in der richtigen Ansicht, daß die Nrbeiterwohlfahrt den Anspruch erheben könne, die Öffentlichkeit zu beschäftigen. Fördern sie dadurch unmittelbar die Bangewerke, so sind sie sehr oft auch in der Lage, ihnen mittelbar Vorschub zu leisten. Das kann geschehen, wenn es sich darum handelt, Straßen anzulegen, die neuen Gebäude an die städtische Kanalisation anzuschließen und in andern Dingen. Ebenso kann der Arbeitgeber, abgesehen davon, daß er seinen Arbeitern selbst Wohnungen baut oder die Thätigkeit gemeinnütziger Baugesellschaften durch Darlehen unterstützt, die Arbeit dadurch fordern, daß er seine Geschäfts¬ kenntnis in den Dienst der Arbeitersache stellt oder eine große Schwierigkeit, die dem Emporblühen derartiger Genossenschaften im Wege steht, sehr oft, ohne ein allzugroßes Risiko zu übernehmen, ans dem Wege räumt: die ihnen mangelnde ^Kreditfähigkeit bis zu dem Zeitpunkte, wo das erste Haus soweit fertig ist, daß eine Hypothek darauf aufgenommen werden kann. Wenn der Arbeitgeber bedenkt, welchen Wert es für ihn hat, daß seine Arbeiter sich wohl befinden und zufrieden sind, so wird er ihnen gern und willig in der Woh¬ nungsfrage, deren glückliche Lösung dieses Wohlbefinden außerordentlich zu heben vermag, nnter die Arme greifen. Inwiefern kann man nun noch erwarten, daß sich der Staat dieser Frage helfend annehme? Was er in seiner Eigenschaft als Arbeitgeber leistet, ist schon gebührend gewürdigt worden, und auf eine weitere unmittelbare Hilfe darf man schwerlich bei ihm rechnen. Aber auch er kann sehr wohl als mittel¬ barer Förderer in dieser Sache auftreten. Schon hat er auf dem Wege der

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/127>, abgerufen am 01.09.2024.