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Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr.

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wirklich der Bericht des Pater Aurelian ein Schriftwerk, dessen Veröffent¬
lichung ohne den Willen seines Urhebers einen strafbaren Nachdruck enthielt?

Jedes Schriftstück ist eine menschliche That. So weit es nun berechtigt
ist, menschliches Thun überhaupt öffentlich zu besprechen, darf auch ein aus¬
gestelltes Schriftstück besprochen werden; und um die darin liegende That ge¬
nügend zu kennzeichnen, kann es nötig sein, das Schriftstück wörtlich wieder¬
zugeben. Nun verbietet allerdings das Gesetz die Vervielfältigung von "Schrift¬
werken" ohne Zustimmung des Urhebers. Ist denn aber jedes Schriftstück
ein "Schriftwerk," das nicht ohne Zustimmung des Urhebers veröffentlicht
werden darf?

Denken Nur uns einmal, es sei Veranlassung gegeben, eine" Rechtsfall
öffentlich zu besprechen, und es spielte darin ein Schriftstück, sagen wir ein Schuld¬
schein, eine Quittung, ein Wechsel, ein Mahnbrief oder auch eine Anzeige über
gewisse Vorgänge eine entscheidende Rolle. Würde es wohl da unerlaubt sein,
dieses Schriftstück wörtlich mitzuteilen? Allerdings entziehn sich Verhältnisse
dieser Art regelmäßig der öffentlichen Besprechung; und wer sie unberechtigt
an die Öffentlichkeit brächte, würde von dem Beteiligte" wegen Beleidigung
belangt werden könne". Nehmen wir aber an, daß ausnahmsweise ein berech¬
tigtes Interesse vorläge, eine solche Angelegenheit öffentlich zu besprechen, und
daß deshalb die Beleidigungsklage ausgeschlossen wäre, dann würde es doch
höchst kurios sein, wenn der Besprechende wegen Veröffentlichung eines Schrift¬
stücks der gedachten Art zwar nicht wegen Beleidigung, wohl aber wegen
Nachdrucks vor Gericht gezogen und bestraft werden könnte. Man denke sich,
daß z. B. eine Angelegenheit, ähnlich dem jetzt in Frankreich spielenden Pa¬
namaskandal, in die Öffentlichkeit gelangte, und daß dabei von Beteiligten ge¬
schriebene Briefe ohne deren Erlaubnis veröffentlicht würden: würde diese
Veröffentlichung wohl als Nachdruck verfolgt werden können? Das wird kein
Verständiger für möglich halten. Ist dies aber richtig, so ergiebt sich daraus,
daß nicht alles und jedes Geschriebne schon deshalb, weil es geschrieben ist,
ein gegen Nachdruck geschütztes Schriftwerk bildet, daß vielmehr eine gewisse
Unterscheidung gewacht werden muß. Dessen war man sich auch bei Erlaß
des Reichsgesetzes vom 11. Juni 1870 wohl bewußt. In den Motiven zu
i; 1 dieses Gesetzes ist gesagt:

In der Praxis entstehn oft Zweifel darüber, ob ein Wert Anspruch aus
Schutz gegen Nachdruck besitze oder nicht. Es kann indessen nicht die Aufgabe des
Gesetzes sein, in dieser Beziehung kasuistische Bestimmungen zu treffen; es muß
vielmehr dem richterlichen Urteil überlasse" bleibe", die Grenze nach den konkreten
Umstände" des Falles z" finden. Der Richter wird in dieser Beziehung nicht
leicht fehlgreifen, wen" er davon nnsgeht, daß das Gesetz nicht jede Schrift ohne
weiteres, sonder" mir solche Werke, welche sich als Ausfluß einer individuellen
geistigen Thätigkeit darstellen, hat schützen "vollen.

Gleichwohl bezeichnet der Ausspruch, daß eine Schrift, nur als geschütztes


wirklich der Bericht des Pater Aurelian ein Schriftwerk, dessen Veröffent¬
lichung ohne den Willen seines Urhebers einen strafbaren Nachdruck enthielt?

Jedes Schriftstück ist eine menschliche That. So weit es nun berechtigt
ist, menschliches Thun überhaupt öffentlich zu besprechen, darf auch ein aus¬
gestelltes Schriftstück besprochen werden; und um die darin liegende That ge¬
nügend zu kennzeichnen, kann es nötig sein, das Schriftstück wörtlich wieder¬
zugeben. Nun verbietet allerdings das Gesetz die Vervielfältigung von „Schrift¬
werken" ohne Zustimmung des Urhebers. Ist denn aber jedes Schriftstück
ein „Schriftwerk," das nicht ohne Zustimmung des Urhebers veröffentlicht
werden darf?

Denken Nur uns einmal, es sei Veranlassung gegeben, eine« Rechtsfall
öffentlich zu besprechen, und es spielte darin ein Schriftstück, sagen wir ein Schuld¬
schein, eine Quittung, ein Wechsel, ein Mahnbrief oder auch eine Anzeige über
gewisse Vorgänge eine entscheidende Rolle. Würde es wohl da unerlaubt sein,
dieses Schriftstück wörtlich mitzuteilen? Allerdings entziehn sich Verhältnisse
dieser Art regelmäßig der öffentlichen Besprechung; und wer sie unberechtigt
an die Öffentlichkeit brächte, würde von dem Beteiligte» wegen Beleidigung
belangt werden könne». Nehmen wir aber an, daß ausnahmsweise ein berech¬
tigtes Interesse vorläge, eine solche Angelegenheit öffentlich zu besprechen, und
daß deshalb die Beleidigungsklage ausgeschlossen wäre, dann würde es doch
höchst kurios sein, wenn der Besprechende wegen Veröffentlichung eines Schrift¬
stücks der gedachten Art zwar nicht wegen Beleidigung, wohl aber wegen
Nachdrucks vor Gericht gezogen und bestraft werden könnte. Man denke sich,
daß z. B. eine Angelegenheit, ähnlich dem jetzt in Frankreich spielenden Pa¬
namaskandal, in die Öffentlichkeit gelangte, und daß dabei von Beteiligten ge¬
schriebene Briefe ohne deren Erlaubnis veröffentlicht würden: würde diese
Veröffentlichung wohl als Nachdruck verfolgt werden können? Das wird kein
Verständiger für möglich halten. Ist dies aber richtig, so ergiebt sich daraus,
daß nicht alles und jedes Geschriebne schon deshalb, weil es geschrieben ist,
ein gegen Nachdruck geschütztes Schriftwerk bildet, daß vielmehr eine gewisse
Unterscheidung gewacht werden muß. Dessen war man sich auch bei Erlaß
des Reichsgesetzes vom 11. Juni 1870 wohl bewußt. In den Motiven zu
i; 1 dieses Gesetzes ist gesagt:

In der Praxis entstehn oft Zweifel darüber, ob ein Wert Anspruch aus
Schutz gegen Nachdruck besitze oder nicht. Es kann indessen nicht die Aufgabe des
Gesetzes sein, in dieser Beziehung kasuistische Bestimmungen zu treffen; es muß
vielmehr dem richterlichen Urteil überlasse» bleibe», die Grenze nach den konkreten
Umstände» des Falles z» finden. Der Richter wird in dieser Beziehung nicht
leicht fehlgreifen, wen» er davon nnsgeht, daß das Gesetz nicht jede Schrift ohne
weiteres, sonder» mir solche Werke, welche sich als Ausfluß einer individuellen
geistigen Thätigkeit darstellen, hat schützen »vollen.

Gleichwohl bezeichnet der Ausspruch, daß eine Schrift, nur als geschütztes


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 52, 1893, Erstes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341857_213791/101>, abgerufen am 01.09.2024.