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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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formen zu verschließen, so müßte man eben mit den Sozialisten annehmen,
daß die Verwirklichung des Sozialismus im Plane der Vorsehung liege, und
daß diese eben deshalb die obern Zehntausend und deren Anhang mit Blind¬
heit schlage.

Am entschiedensten müssen mir Gronlund gerade in dem widersprechen,
was uns seine Person lichens- und achtungswürdig macht, in seiner Hoffnung,
daß der Sozialismus das "Reich Gottes" herbeiführen werde. Wie viele ver-
schiedne Gesellschaftsordnungen das Menschengeschlecht auch noch zu überstehn
haben wird, jede wird ihre eigentümlichen Mängel mitbringen und die Mensch¬
heit mit eigentümlichen Leiden plagen. Es ist vollkommen richtig, daß der
größte Teil aller Sünden, Laster und Verbrechen die notwendige Folge unsrer
sozialen Verhältnisse ist, aber da diese Verhältnisse selbst nur ein Erzeugnis
menschlicher Niedertracht sind, so ist die Hoffnung eitel, daß mit der Besei¬
tigung jener auch diese ausgerottet werden würde. Es ist eine geradezu kind¬
liche Vorstellung, daß alle die Leidenschaften, die uns in ewige Konflikte mit
einander verwickeln, durch eine sichre Versorgung zur Schweigen gebracht werden
könnten. Allerdings erzeugen Armut und Elend Unfrieden in der Ehe, aber
daraus folgt noch lange nicht, daß alle Eheleute, die nicht von Nahrungs¬
sorgen geplagt werden, wie die Turteltauben mit einander leben müßten. Und
wie in der Ehe, so geht es in der Welt überhaupt. Ebendeshalb bleibt die
Interessenharmonie selbst schon ein Traum. Daß die Interessenkonflikte eine
so unmenschliche Größe und Gestalt annehmen wie heute, ist allerdings nicht
notwendig, aber die Wurzel, aus der immer neue Konflikte hervorgehn, die,
Selbstsucht, bleibt als wesentlicher Bestandteil der Menschennatur unaus¬
rottbar. Selbst wenn dem Genosfenschaftsstaate das Wunder gelänge, die Ge¬
rechtigkeit objektiv zu verwirklichen: an jeden Platz den richtigen Mann zu
stellen und diesen nach dem Maße seiner Leistungen zu besolden, würde diese
Gerechtigkeit subjektiv als Ungerechtigkeit erscheinen, denn von je zehn würden
sich neun für übervorteilt und zurückgesetzt halten. Damit wäre der Antrieb
gegeben, auch die objektive Gerechtigkeit wieder umzustoßen, und die vorüber¬
gehend hergestellte Harmonie würde verschwinden, ehe sie noch dem Volke zum
Bewußtsein gekommen wäre. Nach dem Evangelium ist das "Reich Gottes"
nicht an diesem oder jenem Ort im Raume zu suchen, noch kommt es zu irgend
einer Zeit an, sodaß man seinen Eintritt an äußern Merkmalen zu erkennen
vermöchte, sondern es ist von Anbeginn bis ans Ende der Zeiten in den Herzen
der Kinder Gottes sLukas 17, 20). Das Wort "unmöglich" jedoch wollen wir
auch dieser Hoffnung edler Schwärmer nicht entgegenhalten; darf sich doch
niemand erkühnen, der Zukunft gewisse Bahnen anzuweisen oder zu verwehren.
Aber das wissen wir, daß ein Leben ohne Furcht und Hoffnung, ein Leben
ohne jene Glückswechsel und Schicksalsverkettungen, in denen der Fromme das
Walten Gottes ahnt, ein Leben ohne beständigen Kampf gegen Hindernisse,


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formen zu verschließen, so müßte man eben mit den Sozialisten annehmen,
daß die Verwirklichung des Sozialismus im Plane der Vorsehung liege, und
daß diese eben deshalb die obern Zehntausend und deren Anhang mit Blind¬
heit schlage.

Am entschiedensten müssen mir Gronlund gerade in dem widersprechen,
was uns seine Person lichens- und achtungswürdig macht, in seiner Hoffnung,
daß der Sozialismus das „Reich Gottes" herbeiführen werde. Wie viele ver-
schiedne Gesellschaftsordnungen das Menschengeschlecht auch noch zu überstehn
haben wird, jede wird ihre eigentümlichen Mängel mitbringen und die Mensch¬
heit mit eigentümlichen Leiden plagen. Es ist vollkommen richtig, daß der
größte Teil aller Sünden, Laster und Verbrechen die notwendige Folge unsrer
sozialen Verhältnisse ist, aber da diese Verhältnisse selbst nur ein Erzeugnis
menschlicher Niedertracht sind, so ist die Hoffnung eitel, daß mit der Besei¬
tigung jener auch diese ausgerottet werden würde. Es ist eine geradezu kind¬
liche Vorstellung, daß alle die Leidenschaften, die uns in ewige Konflikte mit
einander verwickeln, durch eine sichre Versorgung zur Schweigen gebracht werden
könnten. Allerdings erzeugen Armut und Elend Unfrieden in der Ehe, aber
daraus folgt noch lange nicht, daß alle Eheleute, die nicht von Nahrungs¬
sorgen geplagt werden, wie die Turteltauben mit einander leben müßten. Und
wie in der Ehe, so geht es in der Welt überhaupt. Ebendeshalb bleibt die
Interessenharmonie selbst schon ein Traum. Daß die Interessenkonflikte eine
so unmenschliche Größe und Gestalt annehmen wie heute, ist allerdings nicht
notwendig, aber die Wurzel, aus der immer neue Konflikte hervorgehn, die,
Selbstsucht, bleibt als wesentlicher Bestandteil der Menschennatur unaus¬
rottbar. Selbst wenn dem Genosfenschaftsstaate das Wunder gelänge, die Ge¬
rechtigkeit objektiv zu verwirklichen: an jeden Platz den richtigen Mann zu
stellen und diesen nach dem Maße seiner Leistungen zu besolden, würde diese
Gerechtigkeit subjektiv als Ungerechtigkeit erscheinen, denn von je zehn würden
sich neun für übervorteilt und zurückgesetzt halten. Damit wäre der Antrieb
gegeben, auch die objektive Gerechtigkeit wieder umzustoßen, und die vorüber¬
gehend hergestellte Harmonie würde verschwinden, ehe sie noch dem Volke zum
Bewußtsein gekommen wäre. Nach dem Evangelium ist das „Reich Gottes"
nicht an diesem oder jenem Ort im Raume zu suchen, noch kommt es zu irgend
einer Zeit an, sodaß man seinen Eintritt an äußern Merkmalen zu erkennen
vermöchte, sondern es ist von Anbeginn bis ans Ende der Zeiten in den Herzen
der Kinder Gottes sLukas 17, 20). Das Wort „unmöglich" jedoch wollen wir
auch dieser Hoffnung edler Schwärmer nicht entgegenhalten; darf sich doch
niemand erkühnen, der Zukunft gewisse Bahnen anzuweisen oder zu verwehren.
Aber das wissen wir, daß ein Leben ohne Furcht und Hoffnung, ein Leben
ohne jene Glückswechsel und Schicksalsverkettungen, in denen der Fromme das
Walten Gottes ahnt, ein Leben ohne beständigen Kampf gegen Hindernisse,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/86>, abgerufen am 23.07.2024.