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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Lin amerikanischer Zozicilist

Frage auswerfen, hinlänglich groß wird, so pflegt sich das Recht durch¬
zusetzen.

Also die Zukunft wird nicht weniger gewaltige Veränderungen bringen,
als die Vergangenheit gebracht hat; aber wie diese aussehen werden, das er¬
kühnen wir uns nicht mit solcher Zuversicht anzugeben wie Gronlund. Es
ist möglich, daß wir den demokratischen, auf Gewerkschaften und Genossen¬
schaften ruhenden Sozialistenstaat bekommen. Eine innere Unmöglichkeit steht
nicht entgegen, und ebenso wenig die Erfahrung, da ja genossenschaftlicher
Wirtschaftsbetrieb und auf ihn gegründete politische Macht in den alten
Zünften schon dagewesen sind, in den Aktiengesellschaften, Finanzgruppen nud
Unternehmerringen der heutigen Zeit aufs neue erscheinen, und niemand im
voraus sagen kann, welcher Ausdehnung diese Regierungsform fähig ist, und
in welchem Grube sie die Demokratisirung verträgt. Also möglich ist diese
Wendung, aber nicht notwendig. Es öffnen sich der Vermutung noch mehrere
andre Aussichten. Es könnte, ucnneutlich bei uns in Deutschland, wohl kommen,
daß der Staat immer mehr Produktionszweige -- zuerst vielleicht alle Kohlen¬
bergwerke-- in seinen Betrieb nähme und alle übrigen durch Verstcheruugsgesetze,
Polizeivorschriften und Aufsicht dermaßen einengte, daß zuletzt von dem Rechte
des Privatunternehmers nichts mehr übrig bliebe und der sozialistische Staat
von oben verwirklicht würde. Wir müssen uns aber auch darauf gefaßt
machen, daß die leitenden Kreise in der Rat- und Hilflosigkeit stecken bleiben,
in der sie augenblicklich festsitzen, und daß, in den europäischen Ländern
wenigstens, das Volk dem Siechtum des Elends verfällt. Uns persönlich wäre
eine vierte mögliche Wendung am meisten willkommen: daß nämlich verständige
Leitung der herrschenden und verständige Selbsthilfe der abhängigen Klassen
zusammenwirkten, die Übeln Wirkungen des Kapitalismus ohne Verstaatlichung
der Produktionsmittel zu heilen. Es wäre dazu notwendig: daß die großen
Unternehmer den "Kuchen" zwischen sich und den Arbeitern etwas christlicher
teilten, daß die Staaten der beliebten Pnmpwirtschaft Einhalt thäten und sich
den Schlingen entzögen, die ihnen die Finanzmächte um den Hals gelegt
haben, daß durch progressive Einkommen- und Erbschaftssteuer, vielleicht auch
noch durch andre Mittel, der Anhäufung von Riesenvermögen vorgebeugt
würde, daß die Benutzung der technischen Errungenschaften mehr als bisher den
kleinen Unternehmern zugänglich gemacht würde, daß die Produzenten durch ge¬
naue Statistiker, durch Beseitigung des Börsenspiels und Wiederherstellung des
unmittelbaren Verkehrs zwischen Produzenten und Konsumenten in den Stand
gesetzt würden, die Menge der zu erzeugenden Güter dein Bedarf anzupassen,
daß das ideale Anrecht jedes arbeitswilligen Volksgenossen auf ein Stück vater¬
ländischen Bodens in irgend einer Form verwirklicht würde, und noch so
manches andre. Sollten die herrschenden Klassen fortfahren, ihre und des
durch ihre Presse geleiteten Publikums Augen der Notwendigkeit solcher Re-


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Frage auswerfen, hinlänglich groß wird, so pflegt sich das Recht durch¬
zusetzen.

Also die Zukunft wird nicht weniger gewaltige Veränderungen bringen,
als die Vergangenheit gebracht hat; aber wie diese aussehen werden, das er¬
kühnen wir uns nicht mit solcher Zuversicht anzugeben wie Gronlund. Es
ist möglich, daß wir den demokratischen, auf Gewerkschaften und Genossen¬
schaften ruhenden Sozialistenstaat bekommen. Eine innere Unmöglichkeit steht
nicht entgegen, und ebenso wenig die Erfahrung, da ja genossenschaftlicher
Wirtschaftsbetrieb und auf ihn gegründete politische Macht in den alten
Zünften schon dagewesen sind, in den Aktiengesellschaften, Finanzgruppen nud
Unternehmerringen der heutigen Zeit aufs neue erscheinen, und niemand im
voraus sagen kann, welcher Ausdehnung diese Regierungsform fähig ist, und
in welchem Grube sie die Demokratisirung verträgt. Also möglich ist diese
Wendung, aber nicht notwendig. Es öffnen sich der Vermutung noch mehrere
andre Aussichten. Es könnte, ucnneutlich bei uns in Deutschland, wohl kommen,
daß der Staat immer mehr Produktionszweige — zuerst vielleicht alle Kohlen¬
bergwerke— in seinen Betrieb nähme und alle übrigen durch Verstcheruugsgesetze,
Polizeivorschriften und Aufsicht dermaßen einengte, daß zuletzt von dem Rechte
des Privatunternehmers nichts mehr übrig bliebe und der sozialistische Staat
von oben verwirklicht würde. Wir müssen uns aber auch darauf gefaßt
machen, daß die leitenden Kreise in der Rat- und Hilflosigkeit stecken bleiben,
in der sie augenblicklich festsitzen, und daß, in den europäischen Ländern
wenigstens, das Volk dem Siechtum des Elends verfällt. Uns persönlich wäre
eine vierte mögliche Wendung am meisten willkommen: daß nämlich verständige
Leitung der herrschenden und verständige Selbsthilfe der abhängigen Klassen
zusammenwirkten, die Übeln Wirkungen des Kapitalismus ohne Verstaatlichung
der Produktionsmittel zu heilen. Es wäre dazu notwendig: daß die großen
Unternehmer den „Kuchen" zwischen sich und den Arbeitern etwas christlicher
teilten, daß die Staaten der beliebten Pnmpwirtschaft Einhalt thäten und sich
den Schlingen entzögen, die ihnen die Finanzmächte um den Hals gelegt
haben, daß durch progressive Einkommen- und Erbschaftssteuer, vielleicht auch
noch durch andre Mittel, der Anhäufung von Riesenvermögen vorgebeugt
würde, daß die Benutzung der technischen Errungenschaften mehr als bisher den
kleinen Unternehmern zugänglich gemacht würde, daß die Produzenten durch ge¬
naue Statistiker, durch Beseitigung des Börsenspiels und Wiederherstellung des
unmittelbaren Verkehrs zwischen Produzenten und Konsumenten in den Stand
gesetzt würden, die Menge der zu erzeugenden Güter dein Bedarf anzupassen,
daß das ideale Anrecht jedes arbeitswilligen Volksgenossen auf ein Stück vater¬
ländischen Bodens in irgend einer Form verwirklicht würde, und noch so
manches andre. Sollten die herrschenden Klassen fortfahren, ihre und des
durch ihre Presse geleiteten Publikums Augen der Notwendigkeit solcher Re-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/85>, abgerufen am 23.07.2024.