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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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snchuugen über das Verhältnis von Freiheit und Notwendigkeit und das
Wesen der Persönlichkeit an, entwickelt eine eigentümliche Ansicht über die
Person Jesu und führt einen originellen Beweis für die Möglichkeit und
Wahrscheinlichkeit der persönlichen Unsterblichkeit.

Wir haben in diesem kurzen Abriß den reichen Gedankeninhalt der beiden
kleinen Bücher (279 und 178 Seiten) weder vollständig entwickeln, noch von
der Lebendigkeit der Darstellung und der warmen Begeisterung, die sie beseelt,
einen Begriff geben können. Was unsre Stellung zu Gronlnnds Sozialismus
anlangt, so werden sie wohl unsre Leser bereits erraten haben. In der Kritik
der kapitalistischen Wirtschaft und in der Ansicht, daß die Entwickelung dem
Sozialismus zutreibe, stimmen wir mit dem Verfasser im großen und ganzen
überein. Was uns Deutschen daran übertrieben und ungerecht erscheint, trifft
zum Teil auf die amerikanischen Zustände wirklich zu, teils ist es auf den
Umstand zurückzuführen, daß man eben beim Kritisiren mehr die Schatten-
als die Lichtseiten des Gegenstandes ins Auge zu fassen Pflegt. Unsre Ab¬
weichung beginnt an der Stelle, wo sich der Blick des Verfassers von der
Gegenwart ab ans die Zukunft wendet. Was wir von der Zukunft wissen,
ist einzig das, daß sie so reich an Veränderungen sein wird wie die Ver¬
gangenheit, und daß die wirtschaftlichen Zustände des zwanzigsten Jahrhunderts
nicht weniger als die des achtzehnten, die des fünfundzwanzigsten nicht weniger
als die des dreizehnten von denen des neunzehnten abweichen werden. Die
Einbildung der Freunde des Kapitalismus, daß den gegenwärtigen Formen
des Eigentums ewige Dauer zugesichert sei, ist einfach kindisch. Streiten doch
eben jetzt die Juristen darüber, ob ein neugebautes Haus acht vielmehr den
Handwerkern gehöre, die es gebaut haben, als dem Betrüger, der den Ver¬
kaufspreis einsteckt, ohne die Handwerker zu bezahlen. Ehemals waren Wald,
Wiese, Wasser Gemeingut; im Laufe der Zeit wurde ein Stück nach dem
andern von diesen Gütern der allgemeinen Nutzung entzogen und vom Privat¬
besitz okkupirt, am Wald zuerst die Bänme, dann das Naffholz, dann die
Wege, die Beeren, die Luft und die Aussicht. Da eine weitere Anspannung
des Begriffes des Privateigentums kaum denkbar, völliger Stillstand der Ent¬
wicklung aber unmöglich ist, so muß nun eine Abspannung eintreten, wobei
natürlich die Formen, in denen die Gesamtheit dem Privateigentümer gegen¬
über wieder zu ihrem Rechte kommen wird, anders aussehen werden, als die
mittelalterlichen. Wie? das kann niemand im voraus wissen. Aber die
Frage John Stuart Mills z. B., ob es erträglich sei, daß zwei Herzöge den
schönsten Teil des schottischen Hochlandes für sich absperren dürfen, und daß
es von ihrer Gnade abhängt, ob noch einigen andern Menschen von dem
ästhetischen Genuß und der Bodennutzung, etwa gegen Geldentschüdigung,
etwas zu teil werden soll, diese Frage wird von der Vernunft als berechtigt
anerkannt, und wenn im Lause der Zeit die Zahl derer, die eine berechtigte


snchuugen über das Verhältnis von Freiheit und Notwendigkeit und das
Wesen der Persönlichkeit an, entwickelt eine eigentümliche Ansicht über die
Person Jesu und führt einen originellen Beweis für die Möglichkeit und
Wahrscheinlichkeit der persönlichen Unsterblichkeit.

Wir haben in diesem kurzen Abriß den reichen Gedankeninhalt der beiden
kleinen Bücher (279 und 178 Seiten) weder vollständig entwickeln, noch von
der Lebendigkeit der Darstellung und der warmen Begeisterung, die sie beseelt,
einen Begriff geben können. Was unsre Stellung zu Gronlnnds Sozialismus
anlangt, so werden sie wohl unsre Leser bereits erraten haben. In der Kritik
der kapitalistischen Wirtschaft und in der Ansicht, daß die Entwickelung dem
Sozialismus zutreibe, stimmen wir mit dem Verfasser im großen und ganzen
überein. Was uns Deutschen daran übertrieben und ungerecht erscheint, trifft
zum Teil auf die amerikanischen Zustände wirklich zu, teils ist es auf den
Umstand zurückzuführen, daß man eben beim Kritisiren mehr die Schatten-
als die Lichtseiten des Gegenstandes ins Auge zu fassen Pflegt. Unsre Ab¬
weichung beginnt an der Stelle, wo sich der Blick des Verfassers von der
Gegenwart ab ans die Zukunft wendet. Was wir von der Zukunft wissen,
ist einzig das, daß sie so reich an Veränderungen sein wird wie die Ver¬
gangenheit, und daß die wirtschaftlichen Zustände des zwanzigsten Jahrhunderts
nicht weniger als die des achtzehnten, die des fünfundzwanzigsten nicht weniger
als die des dreizehnten von denen des neunzehnten abweichen werden. Die
Einbildung der Freunde des Kapitalismus, daß den gegenwärtigen Formen
des Eigentums ewige Dauer zugesichert sei, ist einfach kindisch. Streiten doch
eben jetzt die Juristen darüber, ob ein neugebautes Haus acht vielmehr den
Handwerkern gehöre, die es gebaut haben, als dem Betrüger, der den Ver¬
kaufspreis einsteckt, ohne die Handwerker zu bezahlen. Ehemals waren Wald,
Wiese, Wasser Gemeingut; im Laufe der Zeit wurde ein Stück nach dem
andern von diesen Gütern der allgemeinen Nutzung entzogen und vom Privat¬
besitz okkupirt, am Wald zuerst die Bänme, dann das Naffholz, dann die
Wege, die Beeren, die Luft und die Aussicht. Da eine weitere Anspannung
des Begriffes des Privateigentums kaum denkbar, völliger Stillstand der Ent¬
wicklung aber unmöglich ist, so muß nun eine Abspannung eintreten, wobei
natürlich die Formen, in denen die Gesamtheit dem Privateigentümer gegen¬
über wieder zu ihrem Rechte kommen wird, anders aussehen werden, als die
mittelalterlichen. Wie? das kann niemand im voraus wissen. Aber die
Frage John Stuart Mills z. B., ob es erträglich sei, daß zwei Herzöge den
schönsten Teil des schottischen Hochlandes für sich absperren dürfen, und daß
es von ihrer Gnade abhängt, ob noch einigen andern Menschen von dem
ästhetischen Genuß und der Bodennutzung, etwa gegen Geldentschüdigung,
etwas zu teil werden soll, diese Frage wird von der Vernunft als berechtigt
anerkannt, und wenn im Lause der Zeit die Zahl derer, die eine berechtigte


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/84>, abgerufen am 23.07.2024.