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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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liefere er für möglichst viel Geld möglichst schlechte Ware, die Fabrikanten
nötigten sogar ihre Arbeiter, an der Übervorteilung des Publikums mitzu¬
wirken. "Kann man erwarten, daß entlassene Sträflinge ehrlich bleiben wer¬
den, wenn sie im Gefängnis an Unternehmer verdungen waren, in deren
Dienste sie Pappdeckel und Leder zu Sohlen haben zusammenkleben müssen?"
Im Geuossenschaftsstaate werde ein jeder, der angemessenen Velohnuug gewiß,
ohne Sorge um sich und die Seinen, nur darauf bedacht sein, das ihm an¬
vertraute Amt treu zu verwalten und das beste zu leisten, was er vermöge.
Der Spruch "Ich bien" werde wieder zu Ehren kommen, nachdem er jahr¬
hundertelang über dem weniger schönen: "Ich zahl oder laß mich bezahlen"
vergessen gewesen sei, und das schreckliche: "Friß, oder du wirst gefressen, be¬
trüge, oder laß dich betrügen" werde nicht mehr die Hanptlebensregel sein.

Auch die Frauenfrage werde der Genossenschaftsstaat lösen. Die Gleich¬
berechtigung der Frauen will Gronluud uicht so verstanden wissen, daß die
Frauen den Männern in der Berufsarbeit Konkurrenz machen sollen, wobei
weiter nichts herauskomme, als daß sie zu Mnuneru zweiter Klasse herab¬
sinken, sondern es soll ihnen nur jederzeit und überall die Möglichkeit dar¬
geboten werden, sich ihr Brot zu verdienen, sodaß sie weder genötigt seien,
um der Versorgung willen zu heiraten, noch als Dirnen ans die Straße zu
gehen. Der Fall, daß sie keinen ihnen zusagenden Gatten fänden, werde selten
vorkommen, wenn erst einmal alle Männer jung heiraten könnten. So wird,
erklärt er, von beiden Seiten her die Prostitution, die er unbedingt verwirft,
mit der Wurzel ausgerottet werden. Das Volk keusch zu erhalten, sagt er
sehr richtig, giebt es kein andres Mittel, als daß die Männer jung heiraten.
Schon dadurch, heißt es weiter, wird ein ganzes Heer von Übeln, Lastern und
Verbrechen von selbst verschwinden, daß jede schwangere Frauensperson ehren¬
voller und liebevoller Behandlung sicher sein, und jedes Kind als willkommner
Zuwachs zur Gesellschaft begrüßt werden wird. Den Malthusianismus ver¬
wirft nämlich Groulund als ebenso unsittlich wie unbegründet. Er glaubt,
daß sich England sogar heute noch bei richtig organisirter Produktion eher
über zu wenig als über zu viel Einwohner zu beklagen haben würde, und er
huldigt außerdem jener Vcrgcistigungshypothese, die wir bei andrer Gelegen¬
heit angezweifelt haben. Auch wir sind der Ansicht, daß ein Sozialistenstaat,
dem es gelänge, allgemeinen Wohlstand zu verbreiten, nicht gerade an über¬
mäßigem Kindersegen leiden würde, aber aus gewissen andern von Bebel ange¬
führten Gründen, der in diesem Punkte einsichtiger oder vielleicht auch aufrich¬
tiger ist. Hat die Frau einen Gatten, so hört damit nach Grönland die Notwen¬
digkeit des Broterwerbs für sie ans. Doch ist das Verhältnis nicht so zu verstehn,
als ob sie vom Manne eine Wohlthat empfinge. Als unentbehrliche Lcbens-
genvssin des Mannes und Leiterin seines Haushalts hat sie vielmehr ganz
denselben Anspruch auf das gemeinsame Vermögen und Einkommen wie er und


Grenzbote" IV 1392 10

liefere er für möglichst viel Geld möglichst schlechte Ware, die Fabrikanten
nötigten sogar ihre Arbeiter, an der Übervorteilung des Publikums mitzu¬
wirken. „Kann man erwarten, daß entlassene Sträflinge ehrlich bleiben wer¬
den, wenn sie im Gefängnis an Unternehmer verdungen waren, in deren
Dienste sie Pappdeckel und Leder zu Sohlen haben zusammenkleben müssen?"
Im Geuossenschaftsstaate werde ein jeder, der angemessenen Velohnuug gewiß,
ohne Sorge um sich und die Seinen, nur darauf bedacht sein, das ihm an¬
vertraute Amt treu zu verwalten und das beste zu leisten, was er vermöge.
Der Spruch „Ich bien" werde wieder zu Ehren kommen, nachdem er jahr¬
hundertelang über dem weniger schönen: „Ich zahl oder laß mich bezahlen"
vergessen gewesen sei, und das schreckliche: „Friß, oder du wirst gefressen, be¬
trüge, oder laß dich betrügen" werde nicht mehr die Hanptlebensregel sein.

Auch die Frauenfrage werde der Genossenschaftsstaat lösen. Die Gleich¬
berechtigung der Frauen will Gronluud uicht so verstanden wissen, daß die
Frauen den Männern in der Berufsarbeit Konkurrenz machen sollen, wobei
weiter nichts herauskomme, als daß sie zu Mnuneru zweiter Klasse herab¬
sinken, sondern es soll ihnen nur jederzeit und überall die Möglichkeit dar¬
geboten werden, sich ihr Brot zu verdienen, sodaß sie weder genötigt seien,
um der Versorgung willen zu heiraten, noch als Dirnen ans die Straße zu
gehen. Der Fall, daß sie keinen ihnen zusagenden Gatten fänden, werde selten
vorkommen, wenn erst einmal alle Männer jung heiraten könnten. So wird,
erklärt er, von beiden Seiten her die Prostitution, die er unbedingt verwirft,
mit der Wurzel ausgerottet werden. Das Volk keusch zu erhalten, sagt er
sehr richtig, giebt es kein andres Mittel, als daß die Männer jung heiraten.
Schon dadurch, heißt es weiter, wird ein ganzes Heer von Übeln, Lastern und
Verbrechen von selbst verschwinden, daß jede schwangere Frauensperson ehren¬
voller und liebevoller Behandlung sicher sein, und jedes Kind als willkommner
Zuwachs zur Gesellschaft begrüßt werden wird. Den Malthusianismus ver¬
wirft nämlich Groulund als ebenso unsittlich wie unbegründet. Er glaubt,
daß sich England sogar heute noch bei richtig organisirter Produktion eher
über zu wenig als über zu viel Einwohner zu beklagen haben würde, und er
huldigt außerdem jener Vcrgcistigungshypothese, die wir bei andrer Gelegen¬
heit angezweifelt haben. Auch wir sind der Ansicht, daß ein Sozialistenstaat,
dem es gelänge, allgemeinen Wohlstand zu verbreiten, nicht gerade an über¬
mäßigem Kindersegen leiden würde, aber aus gewissen andern von Bebel ange¬
führten Gründen, der in diesem Punkte einsichtiger oder vielleicht auch aufrich¬
tiger ist. Hat die Frau einen Gatten, so hört damit nach Grönland die Notwen¬
digkeit des Broterwerbs für sie ans. Doch ist das Verhältnis nicht so zu verstehn,
als ob sie vom Manne eine Wohlthat empfinge. Als unentbehrliche Lcbens-
genvssin des Mannes und Leiterin seines Haushalts hat sie vielmehr ganz
denselben Anspruch auf das gemeinsame Vermögen und Einkommen wie er und


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/81>, abgerufen am 23.07.2024.