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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Ein amerikanischer Sozialist

harten besteht, und die nur einerseits zur Befriedigung einer verwerflichen
Eitelkeit, andrerseits um des Untcrnehmerprofits willen da sind, werden im
Svzinlistenstacite nicht mehr hergestellt werden; solcher Plunder wird nicht
mehr dem notwendigen, Nützlichen und Schönen die Arbeitskraft entziehen.
Es würde z> B,, fügen wir erläuternd hinzu, in einer vernünftig organisirten
Gesellschaft nicht vorkommen, daß eine Unmasse Arbeitskraft auf die Herstellung
teilweise recht geschmackloser Stuckzieraten verschwendet wird, während es
einigen Millionen Volksgenossen an gesunden Wohnungen fehlt, und daß statt
des notwendigen Brotes eine übermäßige Menge von Schnaps und Zucker
produzirt wird.

Völlig unbegründet, meint Gronlund, sei auch die Furcht vor der allge¬
meinen Knechtschaft, die im Sozialistenstaate nach Ansicht seiner Gegner un¬
vermeidlich sei. Man dürfe sich den Genossenschaftsstaat nicht kommunistisch
denken. Jeder werde vollkommene Freiheit haben, seinen Beruf zu wählen,
so viel oder so wenig, so gut oder so schlecht zu arbeiten, als er könne und
wolle, jeder werde auch in der Wahl der Güter, auf die er sein Einkommen
zu verwenden wünsche, unbeschränkt sein. Jedem, der arbeiten wolle, Gelegen¬
heit zu verschaffen, jedem den Platz zugänglich zu machen, zu dem ihn seine
Fähigkeiten und Leistungen berechtigen, ihn zu bezahlen nach seinen Leistungen,
darauf habe sich die Fürsorge des Zukuuftsstaates für den einzelnen zu be¬
schränken. Mit jeder falschen Freiheit allerdings, namentlich mit der Freiheit,
zu rauben und zu betrügen, werde er gründlich aufräumen. "Von dieser Art
Freiheit hat es allezeit uur zu viel gegeben, und jedes Streben nach wahrer
Freiheit bedeutet den Kampf gegen diese falsche Freiheit. Es macht eben einen
großen Unterschied, ob man die Freiheit, recht zu thun, oder die Freiheit, un¬
recht zu thun, meint. Spencer hat den Grundsatz ausgestellt, daß "jedermann
die Freiheit haben müsse, zu thun, was er will, vorausgesetzt, daß er dadurch
keines andern Menschen Freiheit beschränke." Aus diesem Grundsatze hat er
aber keine brauchbaren Folgerungen abzuleiten vermocht, weil es nicht möglich
ist, etwas böses zu thun, wodurch nicht irgend jemand geschädigt würde.
Huxleh drückt den Gedanken so aus: eine je höhere Stufe die Zivilisation er¬
reicht hat, desto stärker wirkt jede Handlung eines Gliedes des Gesellschafts¬
körpers auf alle übrigen ein, und desto unmöglicher wird es für jeden ein¬
zelnen, ein Unrecht zu begehen, ohne dadurch die Freiheit aller seiner Mitbürger
zu beeinträchtigen." Übrigens sei jene Freiheit, die der heutige Staat in
Gestalt von verfassungsmäßigen Rechten allen ohne Unterschied gewähre, für
die meisten seiner Glieder el" bloßer Schatten, z. B. die Freiheit, Grund¬
besitzer zu werden, für alle, denen das Geld dazu fehlt; erst durch die Macht,
zu thun, was zu thun man die Freiheit hat, gewinnt die Freiheit Inhalt und
Wirklichkeit. Dieser Inhalt fehle heute meistens. "Der Unwissende ist nicht
frei. Der Vagabund ist nicht frei. Der Mann, der Weib und Kinder hungern


Ein amerikanischer Sozialist

harten besteht, und die nur einerseits zur Befriedigung einer verwerflichen
Eitelkeit, andrerseits um des Untcrnehmerprofits willen da sind, werden im
Svzinlistenstacite nicht mehr hergestellt werden; solcher Plunder wird nicht
mehr dem notwendigen, Nützlichen und Schönen die Arbeitskraft entziehen.
Es würde z> B,, fügen wir erläuternd hinzu, in einer vernünftig organisirten
Gesellschaft nicht vorkommen, daß eine Unmasse Arbeitskraft auf die Herstellung
teilweise recht geschmackloser Stuckzieraten verschwendet wird, während es
einigen Millionen Volksgenossen an gesunden Wohnungen fehlt, und daß statt
des notwendigen Brotes eine übermäßige Menge von Schnaps und Zucker
produzirt wird.

Völlig unbegründet, meint Gronlund, sei auch die Furcht vor der allge¬
meinen Knechtschaft, die im Sozialistenstaate nach Ansicht seiner Gegner un¬
vermeidlich sei. Man dürfe sich den Genossenschaftsstaat nicht kommunistisch
denken. Jeder werde vollkommene Freiheit haben, seinen Beruf zu wählen,
so viel oder so wenig, so gut oder so schlecht zu arbeiten, als er könne und
wolle, jeder werde auch in der Wahl der Güter, auf die er sein Einkommen
zu verwenden wünsche, unbeschränkt sein. Jedem, der arbeiten wolle, Gelegen¬
heit zu verschaffen, jedem den Platz zugänglich zu machen, zu dem ihn seine
Fähigkeiten und Leistungen berechtigen, ihn zu bezahlen nach seinen Leistungen,
darauf habe sich die Fürsorge des Zukuuftsstaates für den einzelnen zu be¬
schränken. Mit jeder falschen Freiheit allerdings, namentlich mit der Freiheit,
zu rauben und zu betrügen, werde er gründlich aufräumen. „Von dieser Art
Freiheit hat es allezeit uur zu viel gegeben, und jedes Streben nach wahrer
Freiheit bedeutet den Kampf gegen diese falsche Freiheit. Es macht eben einen
großen Unterschied, ob man die Freiheit, recht zu thun, oder die Freiheit, un¬
recht zu thun, meint. Spencer hat den Grundsatz ausgestellt, daß »jedermann
die Freiheit haben müsse, zu thun, was er will, vorausgesetzt, daß er dadurch
keines andern Menschen Freiheit beschränke.« Aus diesem Grundsatze hat er
aber keine brauchbaren Folgerungen abzuleiten vermocht, weil es nicht möglich
ist, etwas böses zu thun, wodurch nicht irgend jemand geschädigt würde.
Huxleh drückt den Gedanken so aus: eine je höhere Stufe die Zivilisation er¬
reicht hat, desto stärker wirkt jede Handlung eines Gliedes des Gesellschafts¬
körpers auf alle übrigen ein, und desto unmöglicher wird es für jeden ein¬
zelnen, ein Unrecht zu begehen, ohne dadurch die Freiheit aller seiner Mitbürger
zu beeinträchtigen." Übrigens sei jene Freiheit, die der heutige Staat in
Gestalt von verfassungsmäßigen Rechten allen ohne Unterschied gewähre, für
die meisten seiner Glieder el» bloßer Schatten, z. B. die Freiheit, Grund¬
besitzer zu werden, für alle, denen das Geld dazu fehlt; erst durch die Macht,
zu thun, was zu thun man die Freiheit hat, gewinnt die Freiheit Inhalt und
Wirklichkeit. Dieser Inhalt fehle heute meistens. „Der Unwissende ist nicht
frei. Der Vagabund ist nicht frei. Der Mann, der Weib und Kinder hungern


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[0075] Ein amerikanischer Sozialist harten besteht, und die nur einerseits zur Befriedigung einer verwerflichen Eitelkeit, andrerseits um des Untcrnehmerprofits willen da sind, werden im Svzinlistenstacite nicht mehr hergestellt werden; solcher Plunder wird nicht mehr dem notwendigen, Nützlichen und Schönen die Arbeitskraft entziehen. Es würde z> B,, fügen wir erläuternd hinzu, in einer vernünftig organisirten Gesellschaft nicht vorkommen, daß eine Unmasse Arbeitskraft auf die Herstellung teilweise recht geschmackloser Stuckzieraten verschwendet wird, während es einigen Millionen Volksgenossen an gesunden Wohnungen fehlt, und daß statt des notwendigen Brotes eine übermäßige Menge von Schnaps und Zucker produzirt wird. Völlig unbegründet, meint Gronlund, sei auch die Furcht vor der allge¬ meinen Knechtschaft, die im Sozialistenstaate nach Ansicht seiner Gegner un¬ vermeidlich sei. Man dürfe sich den Genossenschaftsstaat nicht kommunistisch denken. Jeder werde vollkommene Freiheit haben, seinen Beruf zu wählen, so viel oder so wenig, so gut oder so schlecht zu arbeiten, als er könne und wolle, jeder werde auch in der Wahl der Güter, auf die er sein Einkommen zu verwenden wünsche, unbeschränkt sein. Jedem, der arbeiten wolle, Gelegen¬ heit zu verschaffen, jedem den Platz zugänglich zu machen, zu dem ihn seine Fähigkeiten und Leistungen berechtigen, ihn zu bezahlen nach seinen Leistungen, darauf habe sich die Fürsorge des Zukuuftsstaates für den einzelnen zu be¬ schränken. Mit jeder falschen Freiheit allerdings, namentlich mit der Freiheit, zu rauben und zu betrügen, werde er gründlich aufräumen. „Von dieser Art Freiheit hat es allezeit uur zu viel gegeben, und jedes Streben nach wahrer Freiheit bedeutet den Kampf gegen diese falsche Freiheit. Es macht eben einen großen Unterschied, ob man die Freiheit, recht zu thun, oder die Freiheit, un¬ recht zu thun, meint. Spencer hat den Grundsatz ausgestellt, daß »jedermann die Freiheit haben müsse, zu thun, was er will, vorausgesetzt, daß er dadurch keines andern Menschen Freiheit beschränke.« Aus diesem Grundsatze hat er aber keine brauchbaren Folgerungen abzuleiten vermocht, weil es nicht möglich ist, etwas böses zu thun, wodurch nicht irgend jemand geschädigt würde. Huxleh drückt den Gedanken so aus: eine je höhere Stufe die Zivilisation er¬ reicht hat, desto stärker wirkt jede Handlung eines Gliedes des Gesellschafts¬ körpers auf alle übrigen ein, und desto unmöglicher wird es für jeden ein¬ zelnen, ein Unrecht zu begehen, ohne dadurch die Freiheit aller seiner Mitbürger zu beeinträchtigen." Übrigens sei jene Freiheit, die der heutige Staat in Gestalt von verfassungsmäßigen Rechten allen ohne Unterschied gewähre, für die meisten seiner Glieder el» bloßer Schatten, z. B. die Freiheit, Grund¬ besitzer zu werden, für alle, denen das Geld dazu fehlt; erst durch die Macht, zu thun, was zu thun man die Freiheit hat, gewinnt die Freiheit Inhalt und Wirklichkeit. Dieser Inhalt fehle heute meistens. „Der Unwissende ist nicht frei. Der Vagabund ist nicht frei. Der Mann, der Weib und Kinder hungern

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/75>, abgerufen am 23.07.2024.