Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.Lin amerikanischer Sozialist welche Rolle die angebliche Unentbehrlichkeit des Unternehmergenies in der Lin amerikanischer Sozialist welche Rolle die angebliche Unentbehrlichkeit des Unternehmergenies in der <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0074" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/213188"/> <fw type="header" place="top"> Lin amerikanischer Sozialist</fw><lb/> <p xml:id="ID_194" prev="#ID_193" next="#ID_195"> welche Rolle die angebliche Unentbehrlichkeit des Unternehmergenies in der<lb/> kapitalistischen Beweisführung spielt, Wie entbehrlich aber dieses Genie ist,<lb/> das beweist zur Genüge — in diesem Pnnkte dürfte Grvnlund unwiderleglich<lb/> sein — die Existenz der Aktiengesellschaften. Die Aktionäre liefern nichts als<lb/> das Geld und haben mit der technischen wie mit der kaufmännischen Leitung<lb/> des Unternehmens nicht das geringste zu thun. Und gerade von den größten<lb/> Privatunternehmungen gilt meistens dasselbe. Nicht durch geniale Befähigung<lb/> zum Eiscnbnhntechniker wird ein Vanderbuilt Eisenbahnkönig, sondern durch<lb/> den Spekulationssinn, d. h. dnrch den Schacher-und Schwindelgeist, mit dem<lb/> er eine gewisse Anzahl von Eisenbahnaktien in seinen Besitz bringt. Die er¬<lb/> forderliche Menge von Ingenieur-, Bau- und Verwaltnngstalent haben die<lb/> höhern unter seinen bezahlten Arbeitern zu liefern. Im Sozialistenstaate<lb/> würden diese Leute dem Gemeinwesen dienen, anstatt daß sie jetzt im Dienste<lb/> eines betrügerischen und räuberischen Protzen arbeiten — das ist der ganze<lb/> Unterschied. Der Schwindel- und Schachergeist würde außer Thätigkeit ge¬<lb/> setzt und überflüssig gemacht werden, sobald nicht mehr zur Bereicherung von<lb/> Kapitalisten, sondern zur Befriedigung der Bedürfnisse des Volkes produzirt<lb/> würde. Auch bei kleinern Unternehmungen ist der Fall nicht selten, daß die<lb/> Angestellten dem Prinzipal geistig überlegen sind. Wenn die kleinern Unter¬<lb/> nehmer den Gedanken, daß sie verstaatlicht werden sollen, schrecklich finden,<lb/> so ist das aus mehrern Gründen thöricht. Unter andern darum, weil ganz<lb/> allgemein der Staatsdienst für ehrenvoller gehalten wird als der private Geld¬<lb/> erwerb, und weil sie selber gar nichts andres sind als Beamte des Gemein¬<lb/> wesens, nur, als Sklaven ihrer Privatkundschaft, in der denkbar unehrenvollsten<lb/> Form. Wir fügen hinzu, daß zwar der Trieb nach unabhängigem Erwerb<lb/> von sehr mächtigen idealen und materiellen Beweggründen angestachelt wird,<lb/> unter denen die Sehnsucht, reich zu werden, der stärkste ist, daß er sich aber<lb/> auf dem europäischen Kontinent in immer kleinere Kreise zurückzieht. Die<lb/> Schrecken der Existenzunsicherheit und das Überwiegen der ungünstigen Chancen<lb/> treiben die weniger bemittelten mehr und mehr, für sich und ihre Kinder Zu¬<lb/> flucht an der Staatskrippe zu suchen. Unbegründet ist auch, darin hat Grvn¬<lb/> lund ebenfalls Recht, die Befürchtung, mit dem Privatreichtum würden die<lb/> edlern Formen des Luxus schwinden, weil das arbeitende Volk keine ästhetischen<lb/> Bedürfnisse habe. Die edelsten und höchsten Kunstwerke, sagt er. sind nicht<lb/> auf Bestellung von Geldprotzen gemeißelt, gemalt und gedichtet worden;<lb/> sondern für ein ganzes Volk, dessen einzelne Glieder keineswegs reich waren,<lb/> und nicht um des Geldgewinns willen, sondern aus dem Drange ihrer Seele<lb/> heraus haben Phidias, Sophokles, die mittelalterlichen Künstler ihre unsterb¬<lb/> lichen Werke geschaffen. Erst bei beginnendem Verfall Pflegen die Künste zu<lb/> Metzen des Reichtums herabzusinken; in der Zeit ihrer höchsten Blüte dienen<lb/> sie dem Gemeinwesen. Gegenstände freilich, deren Wert lediglich in ihrer Kost-</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0074]
Lin amerikanischer Sozialist
welche Rolle die angebliche Unentbehrlichkeit des Unternehmergenies in der
kapitalistischen Beweisführung spielt, Wie entbehrlich aber dieses Genie ist,
das beweist zur Genüge — in diesem Pnnkte dürfte Grvnlund unwiderleglich
sein — die Existenz der Aktiengesellschaften. Die Aktionäre liefern nichts als
das Geld und haben mit der technischen wie mit der kaufmännischen Leitung
des Unternehmens nicht das geringste zu thun. Und gerade von den größten
Privatunternehmungen gilt meistens dasselbe. Nicht durch geniale Befähigung
zum Eiscnbnhntechniker wird ein Vanderbuilt Eisenbahnkönig, sondern durch
den Spekulationssinn, d. h. dnrch den Schacher-und Schwindelgeist, mit dem
er eine gewisse Anzahl von Eisenbahnaktien in seinen Besitz bringt. Die er¬
forderliche Menge von Ingenieur-, Bau- und Verwaltnngstalent haben die
höhern unter seinen bezahlten Arbeitern zu liefern. Im Sozialistenstaate
würden diese Leute dem Gemeinwesen dienen, anstatt daß sie jetzt im Dienste
eines betrügerischen und räuberischen Protzen arbeiten — das ist der ganze
Unterschied. Der Schwindel- und Schachergeist würde außer Thätigkeit ge¬
setzt und überflüssig gemacht werden, sobald nicht mehr zur Bereicherung von
Kapitalisten, sondern zur Befriedigung der Bedürfnisse des Volkes produzirt
würde. Auch bei kleinern Unternehmungen ist der Fall nicht selten, daß die
Angestellten dem Prinzipal geistig überlegen sind. Wenn die kleinern Unter¬
nehmer den Gedanken, daß sie verstaatlicht werden sollen, schrecklich finden,
so ist das aus mehrern Gründen thöricht. Unter andern darum, weil ganz
allgemein der Staatsdienst für ehrenvoller gehalten wird als der private Geld¬
erwerb, und weil sie selber gar nichts andres sind als Beamte des Gemein¬
wesens, nur, als Sklaven ihrer Privatkundschaft, in der denkbar unehrenvollsten
Form. Wir fügen hinzu, daß zwar der Trieb nach unabhängigem Erwerb
von sehr mächtigen idealen und materiellen Beweggründen angestachelt wird,
unter denen die Sehnsucht, reich zu werden, der stärkste ist, daß er sich aber
auf dem europäischen Kontinent in immer kleinere Kreise zurückzieht. Die
Schrecken der Existenzunsicherheit und das Überwiegen der ungünstigen Chancen
treiben die weniger bemittelten mehr und mehr, für sich und ihre Kinder Zu¬
flucht an der Staatskrippe zu suchen. Unbegründet ist auch, darin hat Grvn¬
lund ebenfalls Recht, die Befürchtung, mit dem Privatreichtum würden die
edlern Formen des Luxus schwinden, weil das arbeitende Volk keine ästhetischen
Bedürfnisse habe. Die edelsten und höchsten Kunstwerke, sagt er. sind nicht
auf Bestellung von Geldprotzen gemeißelt, gemalt und gedichtet worden;
sondern für ein ganzes Volk, dessen einzelne Glieder keineswegs reich waren,
und nicht um des Geldgewinns willen, sondern aus dem Drange ihrer Seele
heraus haben Phidias, Sophokles, die mittelalterlichen Künstler ihre unsterb¬
lichen Werke geschaffen. Erst bei beginnendem Verfall Pflegen die Künste zu
Metzen des Reichtums herabzusinken; in der Zeit ihrer höchsten Blüte dienen
sie dem Gemeinwesen. Gegenstände freilich, deren Wert lediglich in ihrer Kost-
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