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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Uasernenstndien

die Leute, die im dritten Jahre dienen. Für sie ist der alles beherrschende
Gedanke die Gewißheit, daß sie nach dem dritten Jahre doch entlassen werden
müssen. Unter dieser Aussicht in die Zukunft betrachten sie die Gegenwart.
Arreststrafen von fünf oder zehn Tagen fechten sie wenig an; nur hüten sie
sich, es so arg zu treiben, daß sie auf die Festung kommen, denn der dortige
Aufenthalt -- abgesehen von seinen sonstigen Unannehmlichkeiten -- wird
ihnen nicht als Dienstzeit angerechnet. Meist sind sie denn auch durch Er¬
fahrung gewitzigt genug, die Grenze genau einzuhalten. Überhaupt ist der
im dritten Jahre dienende Soldat gerieben, verschmitzt, mit allerhand Kunst¬
griffen aufs innigste vertraut. Nach Ablauf der ersten beiden Jahre sind die
Leute so genau in die militärischen Geheimnisse eingeweiht, daß es schon aus
diesem Grunde besser wäre, sie zu entlassen, ehe sie imstande sind, den Re¬
kruten Belehrungen zu erteilen. Die Verbitterung macht aus der Mannschaft
des dritten Jahrgangs im Verhältnis zu der des zweiten und den Rekruten in
moralischer Beziehung häufig Soldaten zweiter Klasse. Und am schlimmsten
ist es, wenn vorher gut beleumundete Leute infolge getäuschter Hoffnungen
im dritten Jahre Taugenichtse werden. Den militärischen Übungen endlich
bringen die, die sie bereits zweimal mitgemacht haben, zum drittenmale auch
nicht den nötigen Ernst entgegen, ihr größter Stolz besteht vielmehr darin,
sich möglichst in der Kunst des "Drückens" zu vervollkommnen, das heißt,
sich selbst uach Möglichkeit jeder Thätigkeit zu entziehen und andern die Arbeit
aufzuhalsen. Nimmt mau dazu, daß durchschnittlich in der That die ver¬
hältnismäßig schlechter,! Elemente zurückgehalten werden, so wird sich niemand
darüber wundern, daß die Soldaten, die im dritten Jahre dienen, auf ihre
übrigen Kameraden oft einen geradezu demoralisirenden Einfluß ausüben.

Für ihren bürgerlichen Beruf aber werden die Leute in diesem dritten
Jahre vollends verdorben. Die Unthätigkeit, das Bestreben, sich der Arbeit
zu entziehen, wird ihnen zur Gewohnheit, einen Teil zum mindesten von
der Bitterkeit, die sich in ihnen während des letzten Dienstjahres angesammelt
hat, nehmen sie mit sich hinaus in das bürgerliche Leben. Sie haben das
dritte Jahr als Strafe betrachtet und sind der festen Überzeugung, daß ihre
Strafe und ihr Vergehen, falls überhaupt von einem Vergehen die Rede sein
kann, im Mißverhältnis zu einander gestanden haben. In die Heimat zurück¬
gekehrt, verleihen sie ihrer Stimmung nach Kräften Ausdruck und suchen den
Militärdienst herabzusetzen. Was sie zwei Jahre lang dem Vaterlande zuliebe
getragen hätten, ist ihnen im dritten zur unerträglichen Last geworden, weil
ihnen weder die Notwendigkeit noch die Gerechtigkeit der Maßregel einleuchtet.

Wer alles dies gehörig in Erwägung zieht, wird nicht bezweifeln, daß
die ganze Frage keine rein militärische ist, sondern mit der sozialen in engster
Beziehung steht. Es ist höchst wahrscheinlich -- oft genug kann man der¬
artige Äußerungen von Beteiligten hören ^, daß eine streng durchgeführte


Uasernenstndien

die Leute, die im dritten Jahre dienen. Für sie ist der alles beherrschende
Gedanke die Gewißheit, daß sie nach dem dritten Jahre doch entlassen werden
müssen. Unter dieser Aussicht in die Zukunft betrachten sie die Gegenwart.
Arreststrafen von fünf oder zehn Tagen fechten sie wenig an; nur hüten sie
sich, es so arg zu treiben, daß sie auf die Festung kommen, denn der dortige
Aufenthalt — abgesehen von seinen sonstigen Unannehmlichkeiten — wird
ihnen nicht als Dienstzeit angerechnet. Meist sind sie denn auch durch Er¬
fahrung gewitzigt genug, die Grenze genau einzuhalten. Überhaupt ist der
im dritten Jahre dienende Soldat gerieben, verschmitzt, mit allerhand Kunst¬
griffen aufs innigste vertraut. Nach Ablauf der ersten beiden Jahre sind die
Leute so genau in die militärischen Geheimnisse eingeweiht, daß es schon aus
diesem Grunde besser wäre, sie zu entlassen, ehe sie imstande sind, den Re¬
kruten Belehrungen zu erteilen. Die Verbitterung macht aus der Mannschaft
des dritten Jahrgangs im Verhältnis zu der des zweiten und den Rekruten in
moralischer Beziehung häufig Soldaten zweiter Klasse. Und am schlimmsten
ist es, wenn vorher gut beleumundete Leute infolge getäuschter Hoffnungen
im dritten Jahre Taugenichtse werden. Den militärischen Übungen endlich
bringen die, die sie bereits zweimal mitgemacht haben, zum drittenmale auch
nicht den nötigen Ernst entgegen, ihr größter Stolz besteht vielmehr darin,
sich möglichst in der Kunst des „Drückens" zu vervollkommnen, das heißt,
sich selbst uach Möglichkeit jeder Thätigkeit zu entziehen und andern die Arbeit
aufzuhalsen. Nimmt mau dazu, daß durchschnittlich in der That die ver¬
hältnismäßig schlechter,! Elemente zurückgehalten werden, so wird sich niemand
darüber wundern, daß die Soldaten, die im dritten Jahre dienen, auf ihre
übrigen Kameraden oft einen geradezu demoralisirenden Einfluß ausüben.

Für ihren bürgerlichen Beruf aber werden die Leute in diesem dritten
Jahre vollends verdorben. Die Unthätigkeit, das Bestreben, sich der Arbeit
zu entziehen, wird ihnen zur Gewohnheit, einen Teil zum mindesten von
der Bitterkeit, die sich in ihnen während des letzten Dienstjahres angesammelt
hat, nehmen sie mit sich hinaus in das bürgerliche Leben. Sie haben das
dritte Jahr als Strafe betrachtet und sind der festen Überzeugung, daß ihre
Strafe und ihr Vergehen, falls überhaupt von einem Vergehen die Rede sein
kann, im Mißverhältnis zu einander gestanden haben. In die Heimat zurück¬
gekehrt, verleihen sie ihrer Stimmung nach Kräften Ausdruck und suchen den
Militärdienst herabzusetzen. Was sie zwei Jahre lang dem Vaterlande zuliebe
getragen hätten, ist ihnen im dritten zur unerträglichen Last geworden, weil
ihnen weder die Notwendigkeit noch die Gerechtigkeit der Maßregel einleuchtet.

Wer alles dies gehörig in Erwägung zieht, wird nicht bezweifeln, daß
die ganze Frage keine rein militärische ist, sondern mit der sozialen in engster
Beziehung steht. Es ist höchst wahrscheinlich — oft genug kann man der¬
artige Äußerungen von Beteiligten hören ^, daß eine streng durchgeführte


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[0072] Uasernenstndien die Leute, die im dritten Jahre dienen. Für sie ist der alles beherrschende Gedanke die Gewißheit, daß sie nach dem dritten Jahre doch entlassen werden müssen. Unter dieser Aussicht in die Zukunft betrachten sie die Gegenwart. Arreststrafen von fünf oder zehn Tagen fechten sie wenig an; nur hüten sie sich, es so arg zu treiben, daß sie auf die Festung kommen, denn der dortige Aufenthalt — abgesehen von seinen sonstigen Unannehmlichkeiten — wird ihnen nicht als Dienstzeit angerechnet. Meist sind sie denn auch durch Er¬ fahrung gewitzigt genug, die Grenze genau einzuhalten. Überhaupt ist der im dritten Jahre dienende Soldat gerieben, verschmitzt, mit allerhand Kunst¬ griffen aufs innigste vertraut. Nach Ablauf der ersten beiden Jahre sind die Leute so genau in die militärischen Geheimnisse eingeweiht, daß es schon aus diesem Grunde besser wäre, sie zu entlassen, ehe sie imstande sind, den Re¬ kruten Belehrungen zu erteilen. Die Verbitterung macht aus der Mannschaft des dritten Jahrgangs im Verhältnis zu der des zweiten und den Rekruten in moralischer Beziehung häufig Soldaten zweiter Klasse. Und am schlimmsten ist es, wenn vorher gut beleumundete Leute infolge getäuschter Hoffnungen im dritten Jahre Taugenichtse werden. Den militärischen Übungen endlich bringen die, die sie bereits zweimal mitgemacht haben, zum drittenmale auch nicht den nötigen Ernst entgegen, ihr größter Stolz besteht vielmehr darin, sich möglichst in der Kunst des „Drückens" zu vervollkommnen, das heißt, sich selbst uach Möglichkeit jeder Thätigkeit zu entziehen und andern die Arbeit aufzuhalsen. Nimmt mau dazu, daß durchschnittlich in der That die ver¬ hältnismäßig schlechter,! Elemente zurückgehalten werden, so wird sich niemand darüber wundern, daß die Soldaten, die im dritten Jahre dienen, auf ihre übrigen Kameraden oft einen geradezu demoralisirenden Einfluß ausüben. Für ihren bürgerlichen Beruf aber werden die Leute in diesem dritten Jahre vollends verdorben. Die Unthätigkeit, das Bestreben, sich der Arbeit zu entziehen, wird ihnen zur Gewohnheit, einen Teil zum mindesten von der Bitterkeit, die sich in ihnen während des letzten Dienstjahres angesammelt hat, nehmen sie mit sich hinaus in das bürgerliche Leben. Sie haben das dritte Jahr als Strafe betrachtet und sind der festen Überzeugung, daß ihre Strafe und ihr Vergehen, falls überhaupt von einem Vergehen die Rede sein kann, im Mißverhältnis zu einander gestanden haben. In die Heimat zurück¬ gekehrt, verleihen sie ihrer Stimmung nach Kräften Ausdruck und suchen den Militärdienst herabzusetzen. Was sie zwei Jahre lang dem Vaterlande zuliebe getragen hätten, ist ihnen im dritten zur unerträglichen Last geworden, weil ihnen weder die Notwendigkeit noch die Gerechtigkeit der Maßregel einleuchtet. Wer alles dies gehörig in Erwägung zieht, wird nicht bezweifeln, daß die ganze Frage keine rein militärische ist, sondern mit der sozialen in engster Beziehung steht. Es ist höchst wahrscheinlich — oft genug kann man der¬ artige Äußerungen von Beteiligten hören ^, daß eine streng durchgeführte

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/72>, abgerufen am 22.12.2024.