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Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr.

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Uasernenstudien

dienen muß, während sein Kamerad fröhlich in die Heimat zurückkehrt, sein
Kamerad, der sich vielleicht obendrein noch einer bessern materiellen Lage
erfreut als er. Wie viel Bitterkeit muß sich da in den jungen Herzen an¬
häufen! Nicht besser ist es in dem andern Falle, wo mehr die Rücksicht auf
die häuslichen Verhältnisse als ans die Führung bei der Auswahl der Dis-
positionsurlauber den Ausschlag giebt. Eine Anzahl Leute mit Arrestrafen
werden entlassen, andre ohne solche müssen bleiben. Ist die Entrüstung dessen,
der sich kein Bergehen hat zu schulden kommen lassen, ungerechtfertigt, wenn
er zurückgehalten wird, währeud andre, die sich weniger gut aufgeführt haben,
die Kaserne verlassen können? Er hat sich zwei Jahre lang redlich Mühe
gegeben, und nun doch alles umsonst! Die paar hundert Thaler, die er be¬
sitzt, siud sein Unglück geworden. Oder -- schlimmer noch mit Rücksicht auf
die Moral! -- der Umstand, daß der Vater noch lebt, daß die Mutter nicht
der Unterstützung des Sohnes bedarf. Man erlebt es hin und wieder in den
Kasernen, daß rohe Menschen diesen Gedanken in frevelhafte Worte kleiden.

Es wäre eine schwere Ungerechtigkeit, wenn man gegen die, die die Listen
der Dispositionsurlauber anzufertigen haben, gegen die Kompagniechefs im
besondern, deshalb irgend welche Vorwürfe erheben wollte. Sie handeln nach
bestem Wissen und in bester Absicht. In der Einrichtung selbst liegt der
Fehler, nicht in der Handhabung. Der Unterschied in der militärischen Aus¬
bildung, in der Führung, in den häuslichen Verhältnissen der Leute ist durch¬
schnittlich so gering, der Unterschied zwischen zwei- und dreijähriger Dienstzeit
so empfindlich für jeden einzelnen und seine Lebensinteressen, daß eine durch¬
aus gerechte Ausgleichung völlig außer dem Bereich der Möglichkeit liegt.
Darin aber liegt die große Gefahr. Nichts bcdeuklicheres, als wenn Bürger
auch mir mit dem geringsten Schimmer von Berechtigung die -Gerechtigkeit
des Staats verdächtigen! Man hat wohl hin und wieder von dem günstigen
Einfluß geredet, den die Aussicht, als Belohnung für gute Führung uach
dem, zweiten Jahre entlassen zu werden, auf die Moral im Heere ausübe.
Das ist theoretisch recht schön, nur ist von einer solchen Einwirkung praktisch
leider sehr wenig zu spüren. Wer etwas Ehrgefühl hat, wird eben so gut
wie jeuer Aussicht zuliebe aus Furcht vor Strafe, in Hoffnung auf Avancement,
ja schließlich aus reinem Pflichtgefühl sich eines guten Betragens befleißigen.
Viele denken aber gar nicht so weit: sie verlassen sich ans ihr gutes Glück
oder finden sich mit dem billigen Trost ab: "Falls ich Mißgeschick haben
soll, habe ich es auch, wenn ich mich noch so sehr in Acht nehme," und lassen
die Dinge gehen, wie sie wollen. Und ist einmal ein Soldat bereits mit
einer Arreststrafe bedacht worden, so denkt er nur zu häufig: "Die Ver¬
günstigung des Dispositivnsurlaubs ist nun doch verwirkt, also kommend es
auf ein paar Strafen mehr oder weniger nnn nicht mehr an."

Vollends gleichgiltig in Bezug auf den Ehrbegriff sind durchschnittlich


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dienen muß, während sein Kamerad fröhlich in die Heimat zurückkehrt, sein
Kamerad, der sich vielleicht obendrein noch einer bessern materiellen Lage
erfreut als er. Wie viel Bitterkeit muß sich da in den jungen Herzen an¬
häufen! Nicht besser ist es in dem andern Falle, wo mehr die Rücksicht auf
die häuslichen Verhältnisse als ans die Führung bei der Auswahl der Dis-
positionsurlauber den Ausschlag giebt. Eine Anzahl Leute mit Arrestrafen
werden entlassen, andre ohne solche müssen bleiben. Ist die Entrüstung dessen,
der sich kein Bergehen hat zu schulden kommen lassen, ungerechtfertigt, wenn
er zurückgehalten wird, währeud andre, die sich weniger gut aufgeführt haben,
die Kaserne verlassen können? Er hat sich zwei Jahre lang redlich Mühe
gegeben, und nun doch alles umsonst! Die paar hundert Thaler, die er be¬
sitzt, siud sein Unglück geworden. Oder — schlimmer noch mit Rücksicht auf
die Moral! — der Umstand, daß der Vater noch lebt, daß die Mutter nicht
der Unterstützung des Sohnes bedarf. Man erlebt es hin und wieder in den
Kasernen, daß rohe Menschen diesen Gedanken in frevelhafte Worte kleiden.

Es wäre eine schwere Ungerechtigkeit, wenn man gegen die, die die Listen
der Dispositionsurlauber anzufertigen haben, gegen die Kompagniechefs im
besondern, deshalb irgend welche Vorwürfe erheben wollte. Sie handeln nach
bestem Wissen und in bester Absicht. In der Einrichtung selbst liegt der
Fehler, nicht in der Handhabung. Der Unterschied in der militärischen Aus¬
bildung, in der Führung, in den häuslichen Verhältnissen der Leute ist durch¬
schnittlich so gering, der Unterschied zwischen zwei- und dreijähriger Dienstzeit
so empfindlich für jeden einzelnen und seine Lebensinteressen, daß eine durch¬
aus gerechte Ausgleichung völlig außer dem Bereich der Möglichkeit liegt.
Darin aber liegt die große Gefahr. Nichts bcdeuklicheres, als wenn Bürger
auch mir mit dem geringsten Schimmer von Berechtigung die -Gerechtigkeit
des Staats verdächtigen! Man hat wohl hin und wieder von dem günstigen
Einfluß geredet, den die Aussicht, als Belohnung für gute Führung uach
dem, zweiten Jahre entlassen zu werden, auf die Moral im Heere ausübe.
Das ist theoretisch recht schön, nur ist von einer solchen Einwirkung praktisch
leider sehr wenig zu spüren. Wer etwas Ehrgefühl hat, wird eben so gut
wie jeuer Aussicht zuliebe aus Furcht vor Strafe, in Hoffnung auf Avancement,
ja schließlich aus reinem Pflichtgefühl sich eines guten Betragens befleißigen.
Viele denken aber gar nicht so weit: sie verlassen sich ans ihr gutes Glück
oder finden sich mit dem billigen Trost ab: „Falls ich Mißgeschick haben
soll, habe ich es auch, wenn ich mich noch so sehr in Acht nehme," und lassen
die Dinge gehen, wie sie wollen. Und ist einmal ein Soldat bereits mit
einer Arreststrafe bedacht worden, so denkt er nur zu häufig: „Die Ver¬
günstigung des Dispositivnsurlaubs ist nun doch verwirkt, also kommend es
auf ein paar Strafen mehr oder weniger nnn nicht mehr an."

Vollends gleichgiltig in Bezug auf den Ehrbegriff sind durchschnittlich


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[0071] Uasernenstudien dienen muß, während sein Kamerad fröhlich in die Heimat zurückkehrt, sein Kamerad, der sich vielleicht obendrein noch einer bessern materiellen Lage erfreut als er. Wie viel Bitterkeit muß sich da in den jungen Herzen an¬ häufen! Nicht besser ist es in dem andern Falle, wo mehr die Rücksicht auf die häuslichen Verhältnisse als ans die Führung bei der Auswahl der Dis- positionsurlauber den Ausschlag giebt. Eine Anzahl Leute mit Arrestrafen werden entlassen, andre ohne solche müssen bleiben. Ist die Entrüstung dessen, der sich kein Bergehen hat zu schulden kommen lassen, ungerechtfertigt, wenn er zurückgehalten wird, währeud andre, die sich weniger gut aufgeführt haben, die Kaserne verlassen können? Er hat sich zwei Jahre lang redlich Mühe gegeben, und nun doch alles umsonst! Die paar hundert Thaler, die er be¬ sitzt, siud sein Unglück geworden. Oder — schlimmer noch mit Rücksicht auf die Moral! — der Umstand, daß der Vater noch lebt, daß die Mutter nicht der Unterstützung des Sohnes bedarf. Man erlebt es hin und wieder in den Kasernen, daß rohe Menschen diesen Gedanken in frevelhafte Worte kleiden. Es wäre eine schwere Ungerechtigkeit, wenn man gegen die, die die Listen der Dispositionsurlauber anzufertigen haben, gegen die Kompagniechefs im besondern, deshalb irgend welche Vorwürfe erheben wollte. Sie handeln nach bestem Wissen und in bester Absicht. In der Einrichtung selbst liegt der Fehler, nicht in der Handhabung. Der Unterschied in der militärischen Aus¬ bildung, in der Führung, in den häuslichen Verhältnissen der Leute ist durch¬ schnittlich so gering, der Unterschied zwischen zwei- und dreijähriger Dienstzeit so empfindlich für jeden einzelnen und seine Lebensinteressen, daß eine durch¬ aus gerechte Ausgleichung völlig außer dem Bereich der Möglichkeit liegt. Darin aber liegt die große Gefahr. Nichts bcdeuklicheres, als wenn Bürger auch mir mit dem geringsten Schimmer von Berechtigung die -Gerechtigkeit des Staats verdächtigen! Man hat wohl hin und wieder von dem günstigen Einfluß geredet, den die Aussicht, als Belohnung für gute Führung uach dem, zweiten Jahre entlassen zu werden, auf die Moral im Heere ausübe. Das ist theoretisch recht schön, nur ist von einer solchen Einwirkung praktisch leider sehr wenig zu spüren. Wer etwas Ehrgefühl hat, wird eben so gut wie jeuer Aussicht zuliebe aus Furcht vor Strafe, in Hoffnung auf Avancement, ja schließlich aus reinem Pflichtgefühl sich eines guten Betragens befleißigen. Viele denken aber gar nicht so weit: sie verlassen sich ans ihr gutes Glück oder finden sich mit dem billigen Trost ab: „Falls ich Mißgeschick haben soll, habe ich es auch, wenn ich mich noch so sehr in Acht nehme," und lassen die Dinge gehen, wie sie wollen. Und ist einmal ein Soldat bereits mit einer Arreststrafe bedacht worden, so denkt er nur zu häufig: „Die Ver¬ günstigung des Dispositivnsurlaubs ist nun doch verwirkt, also kommend es auf ein paar Strafen mehr oder weniger nnn nicht mehr an." Vollends gleichgiltig in Bezug auf den Ehrbegriff sind durchschnittlich

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 51, 1892, Viertes Vierteljahr, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341855_213113/71>, abgerufen am 22.12.2024.